Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(28/29): 1539
DOI: 10.1055/s-2003-40380
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Demenz - Der konkrete Fall

Dementia - case reportG. Stoppe1 , K. Sehmer-Kurz1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bereich Humanmedizin der Georg-August-Universität
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Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe

Psychiatrische Universitätsklinik

Wilhelm Klein-Straße 27

CH-4025 Basel

Phone: ++41/61/325-5217

Fax: ++41/61/325-5582

Email: gstoppe@gwdg.de

Publication History

eingereicht: 7.4.2003

akzeptiert: 23.6.2003

Publication Date:
10 July 2003 (online)

Table of Contents #

Anamnese

Eine 79-jährige, bis dahin allein in ihrem Haushalt lebende Frau, wurde notfallmäßig eingeliefert, weil sie verwirrt durch die Straßen lief. Fremdanamnestisch war zu erfahren, dass der Hausarzt seit 6 Monaten eine vorher bei der Patientin nicht bekannte zunehmende Ängstlichkeit mit 25 mg Amitriptylin (Saroten®) behandelt hatte. Als in der Folgezeit die Unruhe stärker wurde, verordnete er zusätzlich Clorazepat (Tranxilium®). Die Patientin sei im Übrigen relativ gesund gewesen, habe auch keine anderen Medikamente gebraucht.

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Befunde

Die klinische Untersuchung zeigte eine unruhige, zeitlich und örtlich desorientierte Frau, die sich nur mühsam artikulieren konnte. Einfache Aufforderungen konnte sie befolgen, jedoch stark verlangsamt. Es bestanden deutliche Vigilanzschwankungen mit vermehrter Schläfrigkeit einerseits und unruhigem Umherlaufen andererseits. Konzentration und Aufmerksamkeit waren schwer gestört. Der Allgemeinzustand war etwas reduziert. Es fanden sich Hinweise auf eine vernachlässigte Körperpflege.

Bei den Routineuntersuchungen fanden sich Zeichen einer Exsikkose. EKG und Röntgenuntersuchung des Thorax waren regelrecht. Ein kraniales Computertomogramm zeigte keinen Hinweis auf einen raumfordernden Prozess oder ein ischämisches Ereignis. Die Patientin wurde nach entsprechender konsiliarischer Untersuchung unter der Diagnose eines deliranten Syn-droms notfallmäßig in die psychiatrische Klinik verlegt.

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Therapie und Verlauf

Unter stationärer Beobachtung und angemessener Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr kam es zu einer weitgehenden Reorientierung der Patientin. Der initial erhobene Mini-Mental-Status-Test verbesserte sich von 19 auf 26 von 30 möglichen Punkten. In den weiterführenden neuropsychologischen Untersuchungen fanden sich persistierende Hinweise auf eine Störung vor allen Dingen des Kurzzeitgedächtnisses. Zudem bestanden ausgeprägte visuo-konstruktorische Defizite. Die kraniale Kernspintomographie (MRT) zeigte eine bilateral temporale Atrophie. Die Hirnperfusionsszintigraphie mit 99mTc-ECD (Neurolite®) und Einzelphotonenemissionstomographie (SPET) ergab bilaterale temporo-parietale Perfusionsdefizite. In der Liquor-Diagnostik fand sich bis auf eine Erniedrigung von Ab1 - 42 und eine Erhöhung des Tau-Proteins kein auffälliger Befund.

Bei somit konsistenten Hinweisen auf eine Demenz vom Alzheimer-Typ, die das Auftreten eines Delirs begünstigt hat, wurde eine Therapie mit einem Cholinesterasehemmer begonnen. Zusätzlich wurde eine tägliche Unterstützung durch die betreffende Sozialstation vermittelt. Nach Probebeurlaubungen konnte die Patientin entlassen werden. Die Überprüfung des „Funktionierens in eigener Verantwortung” wurde mit dem Hausarzt und mit der zuständigen Sozialstation besprochen.

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Fazit

Das erstmalige Auftreten von Angst und Unruhe kann erstes klinisches Zeichen einer Demenz (vom Alzheimer-Typ) sein. Durch für alte Menschen und insbesondere Demenzpa-tienten inadäquate medikamentöse Behandlung (stark anticholinerges trizyklisches Antidepressivum und später Benzodiazepin mit langer Halbwertszeit) verschlechterte sich die Symptomatik weiter, so dass die Patientin mit einem deliranten Syndrom notfallmäßig eingewiesen werden musste. Durch Weglassen der Medikation, adäquate Flüssigkeitszufuhr und tagesstrukturierende Maßnahmen erholte sich die Patientin deutlich. Nach Beginn einer Therapie mit einem Cholinesterasehemmer und Regelung der sozialen Verhältnisse konnte die Patientin sogar wieder in die ambulante Behandlung entlassen werden. Delirante Syndrome sind ein häufiges klinisches Notfallsymptom, was im höheren Lebensalter immer zu einer Demenzdiagnostik Anlass geben sollte.

Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe

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