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DOI: 10.1055/s-2000-9553
Die Diagnosis Related Groups für Deutschland: »Clinician, take the lead!«
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Die Diagnosis Related Groups (DRGs) werden als pauschalierendes Entgeltsystem ab dem 1.1.2003 für alle stationären Behandlungsfälle mit Ausnahme der Psychiatrie eingesetzt [1]. Damit sorgen die DRG für weitreichendere Änderungen als alle bisherigen Reformen der Krankenhausvergütung zusammen.
Vorbild sind die australischen AR-DRGs in der Version 4.1 [2] [3]. Die Entgeltberechnung erfolgt dabei nach einem komplizierten Algorithmus und unterscheidet sich damit komplett von unserem bisherigen System der Tages- und Abteilungspflegesätze, sowie der Fallpauschalen und Sonderentgelte. Jeder Behandlungsfall wird zunächst einer Hauptkategorie zugeordnet, die sich an Organsystemen orientiert. So finden sich Erkrankungen der Kreislauforgane in der Gruppe F und die der Verdauungsorgane in Gruppe G. Dann wird der Fall abhängig von der Hauptdiagnose und den Prozeduren einer sogenannten DRG-Basisfallgruppe zugeordnet. Dies ist z. B. bei einem Patienten mit Myokardinfarkt, der zur Koronarangiographie aufgenommen wird, die F41. Anschließend erfolgt anhand der dokumentierten Nebendiagnosen und Komplikationen eine weitere Differenzierung nach Schweregraden, hier in die F41A (höchster Schweregrad) oder F41B (mittlerer Schweregrad). Aus der Basis-DRG sowie dem Schweregrad werden Kostengewichte kalkuliert und mit dem für Deutschland noch nicht feststehenden Basisfallpreis multipliziert. Die Dokumentation von Diagnosen und Prozeduren ist bei den DRGs unmittelbarer Bestandteil der Entgeltberechnung. Da unvollständig dokumentierte Fälle niedriger vergütet werden, wird die umfassende Dokumentation aller Behandlungsfälle zur Existenzfrage eines jeden Krankenhauses. Gerade im Bereich der konservativen Fächer besteht ein erheblicher Nachholbedarf bei der Dokumentation.
Das australische DRG-System ist eines der modernsten Fallklassifizierungsysteme der Welt [4]. Interessant ist der Weg, auf dem die Australier zu diesem System gekommen sind. Zunächst wurden fast 30 Mio. australische Dollar und 5 Jahre in eine Begutachtung der bereits in anderen Ländern bestehenden DRG-Systeme investiert. Begleitet wurde dieser Prozess durch das australische Casemix Clinical Committee (ACCC), das seit 1990 aus medizinischer Sicht Stellungnahmen zur Weiterentwicklung des DRG-Systems abgibt. In diesem Komitee sind verschiedene Fachdisziplinen vertreten. Darüber hinaus werden für konkrete Fragestellungen Clinical Classification and Coding Groups (CCCGs) eingesetzt, die sich um die DRG-Weiterentwicklung in den einzelnen Disziplinen kümmern. Durch die intensive Einbindung von Klinikern aller Fachrichtungen entwickelten sich zunächst die Australian National DRGs (AN-DRG, 1992) und schließlich die AR-DRGs, die seit 1999 eingesetzt werden. Ein Workshop der diesjährigen 12. Casemix-Conference in Cairns hieß nicht zufällig: »Clinicians taking the lead« [5]. Die Transparenz und ausgezeichnete Dokumentation der AR-DRGs werden die Umsetzung auf deutsche Verhältnisse deutlich erleichtern. Dies ist wichtig, weil das DRG-System in Deutschland erheblich schneller als in Australien entwickelt werden soll.
Bis zur geplanten Einführung der deutschen DRGs verbleiben nur noch 2 Jahre. In dieser Zeit muss das deutsche System mit den Kodierrichtlinien und den für deutsche Verhältnisse neu kalkulierten Kostengewichten entwickelt werden. Auf diesem Weg sind die ersten Schritte getan: Der ICD-10 SGB V und der OPS-301 stehen seit dem 15.11.2000 als die ersten in Deutschland für ein DRG-System angepasste Diagnosen- und Prozeduren-Klassifikationen zur Verfügung [6] . Diese sollen jährlich weiterentwickelt werden.
Die komplette Abkehr von dem bestehenden Krankenhausfinanzierungssystem bietet sicher zahlreiche Chancen. Dazu gehören eine bessere Kostentransparenz sowie die Verlagerung von Leistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich. Dies würde die im Gesundheitsreformgesetz 2000 ausdrücklich geforderte integrierte Versorgung entscheidend stärken, ist aber nur dann sinnvoll, wenn die bestehende Budgetdeckelung im ambulanten Bereich aufgehoben werden würde.
Wie in jedem Land drohen aber auch in Deutschland bei der Einführung des DRG-Systems Gefahren. So könnte durch die sehr kurze Vorbereitungszeit ein Flickwerk entstehen. Die bisher nicht bestehende Kostentransparenz, die eine Voraussetzung zur Ermittlung valider DRG-Kostengewichte ist, kann kaum innerhalb weniger Monate hergestellt werden. Auch die Tendenz, durch übergenaue Dokumentation (Up-Coding oder DRG-Creep) das Entgelt eines Falles zu verbessern, ist ein immanenter Nachteil [7]. Allerdings zeigen die Erfahrungen anderer Länder, dass dieser Trend nach einigen Jahren auch wieder abnimmt. Zudem wird ein noch neu zu entwickelndes Kontrollsystem die Dokumentation in den Krankenhäusern überwachen und gegebenenfalls Budget-Abschläge durchführen.
Die vor uns liegenden Monate werden entscheidende Weichenstellungen für die weitere Entwicklung der deutschen Krankenhauslandschaft bringen. Dazu gehören die Festlegung der Grundzüge des deutschen DRG-Systems. Die Kliniker sollten über ihre Fachgesellschaften versuchen, die laufenden Verhandlungen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu begleiten. Nur so kann sichergestellt werden, dass die deutschen DRGs das werden, was sie in Australien bereits sind: ein medizinisch wie ökonomisch transparentes Entgeltsystem. Clinician: take the lead!
Literatur
- 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Gesetzliche Krankenversicherung. (GKV) Gesundheitsreform Krankenhausfinanzierungsgesetz - KHG 2000
- 2 DRG-Vereinbarung zwischen DKG und GKV. Klinik Management Aktuell 2000: 11-14
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3 http://www.health.gov.au/hfs/casemix/ardrg1.htm
- 4 Fischer W. Das AR-DRG System ist klinisch und ökonomisch sehr flexibel. Führen & Wirtschaften. 2000; 4 336-337
- 5 Roeder N, Nowy R, Achner S. Australische DRGs in der Diskussion, Tagungsbericht von der 12. Casemix-Konferenz in Cairns. Das Krankenhaus. 2000; 10 779-785
-
6 www.dimdi.de
- 7 Lünge M, Lauterbach K W. Upcoding - eine Gefahr für den Einsatz von Diagnosis Related Groups (DRG)?. Dtsch Med Wschr. 2000; 125 852-856
Dr. med. Peter Lütkes
Privatdozent Dr. med. Andreas Kribben (Korrespondenz)
Abteilung für Nieren- und Hochdruckkrankheiten
Medizinische Klinik und Poliklinik
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55
45122 Essen