Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(36): 1060-1061
DOI: 10.1055/s-2000-7230
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ärztliche Fehler

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Offene Erörterungen [4] [5]iderlegen überzeugend das zählebige Dogma von der angeblichen ärztlichen Unfehlbarkeit. Nicht eingegangen ist auf die breite Skala möglicher Reaktionen von unzufriedenen Patienten. Sie reicht von der Strafanzeige über die Zivilklage und den direkten Kontakt zur Berufshaftpflichtversicherung bis zum Verfahren vor einer Einrichtung der jeweiligen Landesärztekammer. Immer muss der Patient aktiv werden, es bedarf der ausreichenden Motivation. Mit Sicherheit gibt es mehr Komplikationen und nicht zufriedenstellende Ergebnisse als die Summe aller erörterten Folgeschritte. Die bei den Ärztekammereinrichtungen üblichen, rein schriftlichen Verfahren sagen nichts über die Beweggründe der Patienten. Die in Baden-Württemberg übliche Anhörung der Parteien liefert benötigte Zusatzinformationen:

Banalisierung der Maßnahme durch den Arzt als »harmlos«, »eine Kleinigkeit«, aber trotzdem ein Misserfolg. Eine übersteigerte Erwartungshaltung der Patienten, eventuell ärztlich induziert. Beurteilung der Vorbehandlung als fehlerhaft durch Nach- oder Mitbehandler, meist ohne hinreichende Kenntnis des vorliegenden Sachverhalts. Unbedachte kritische Äußerungen durch nichtärztliche Mitarbeiter. Patienten fühlen sich durch ihren Arzt nicht genügend beachtet, nicht richtig ernstgenommen, im Extremfall geradezu missachtet. Nach dem Tod eines Patienten regen sich ungelöste Schuldgefühle, z.  B. wenn Ehemann beim Obstpflücken tödlich verunglückt und Frau auf Teneriffa.

Zusammen mit der Kostenfreiheit der Ärztekammerverfahren für Patienten senkt das die Hemmschwelle weit genug ab, um ein Verfahren zu beantragen. Tatsächlich steigt deren Zahl seit Jahren [1] [3].

Die aus hoher Warte aufgelisteten Fehlertypen [5] finden sich in der Praxis der hiesigen Kommission kaum wieder. Die latente Unzufriedenheit mit der erbrachten ärztlichen Leistung ist der eigentliche Anlass. Dabei bedarf es nicht unbedingt eines wirklichen Gesundheitsschadens. Natürlich liegen ärztliche Fehlhandlungen vor, aber viel eher banaler Art als im Editorial [5] angeführt. Gedacht ist dabei an:

Nichterkennen des Abweichens vom Regelverlauf der Krankheit. Übersehen einer wesentlichen Änderung des bisherigen Krankheitsbildes, entweder wegen unvermuteter Komplikation oder neu aufgetretener Zusatzerkrankung. Bei nicht eindeutigem Befund wird nicht hierarchisch-konsequent vorgegangen, d.  h. es werden nicht primär die ungünstigsten oder häufigsten denkbaren Ursachen bestätigt oder ausgeschlossen, dafür fernliegende Diagnosen gestellt.

Im Grunde sind das Bewertungs- oder Verhaltensfehler, Ausdruck eines Defizits im zwischenmenschlichen Bereich. Die richtigen Forderungen nach optimaler Qualität [5]assen diesen Sektor freilich außer Betracht.

Die Norddeutsche Schlichtungsstelle in Hannover erledigt mit Abstand die meisten Verfahren innerhalb eines Jahres. Die dort ermittelte Verteilung auf Fach-/Teilgebiete [4] darf weitgehend verallgemeinert werden. Mitgeteilt werden so genannte relative Intensitäten, d.  h. Teilmengen eines hoch selektierten Kollektivs. Bezogen ist alles auf die mit Schlichtungsbescheid abgeschlossenen Verfahren, aber das sind nur etwa zwei Drittel aller Anträge. Die Raten der Widersprüche und Rücknahmen steigen an [3].

Die Verteilung nach Disziplinen ist wichtig. Aussagekräftiger sind aber Zahlen über betroffene Ärzte in Bezug zur Zahl der im jeweiligen Fachgebiet Berufstätigen. Wegen der ungleichen Klassenbesetzungen ergeben sich dabei Risiken unvermuteten Grades [3], teils höheren (z. B. niedergelassene plastische Chirurgen), teils niedrigeren (Anästhesisten, Allgemeinmediziner, Internisten).

Einige Kommissionen haben ihre Bescheide evaluiert. Eine Rate von nur 8,6 % nachträglicher Gerichtsverfahren in Hannover [4] ist fast konkurrenzlos niedrig, verglichen mit den 10,5 % in Nordrhein, 12,9 % in Baden-Württemberg oder 13,0 % in Westfalen [3]. In Baden-Württemberg ging es in zwei von drei Verfahren um die Höhe der zu gewährenden Entschädigung. Wie soll ein derartiger Streit vermieden werden, wenn die Kommissionen nicht verbindlich entscheiden?

Im Ergebnis ist das Problem des ärztlichen Fehlers sehr vielschichtig, darf nicht nur auf die Verfahren vor den Gutachterkommissionen/Schlichtungsstellen reduziert werden und muss unbedingt die Patientenseite mit einbeziehen.

Literatur

  • 1 Deutscher Bundestag .Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD. Drucksache 13/11452
  • 2 Neumann G. Behandlungsfehlervorwurf - Fachgebiet und Risiko.  Ärztebl Baden-Württem. 1999;  54 178-179
  • 3 Neumann G. Behandlungsfehlervorwurf und Ergebnisqualität. In: Ekkernkamp A, Scheibe O (Hrsg.): Qualitätsmanagement in der Medizin. 8. Ergänzungslieferung 11/1999 Landsberg, ecomed
  • 4 Scheppokat K D. Ärztlicher Fehler.  Dtsch med Wschr. 2000;  125 363-367
  • 5 Schölmerich J. Ärztliche Fehler.  Dtsch med Wschr. 2000;  125 341-342

Prof. Dr. G. Neumann

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