Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(36): 1058
DOI: 10.1055/s-2000-7204
Dauer und Wandel - 125 Jahre DMW
Dauer und Wandel - 125 Jahre DMW
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

125 Jahre DMW - Entwicklung und Perspektive

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Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die DMW zieht durch die Jahrhunderte! »Runde« 125 Jahre sind es seit ihrer Geburt. Grund zum Feiern? Aber sicher! Seit 1875 informiert die DMW als Zeitschrift mit anspruchsvollem Namen und Inhalt in deutscher Sprache Ärzte in aller Welt - vor allem natürlich in Deutschland - über Neues in der Medizin, über Trends und Themen, Entwicklungen und Entdeckungen, über Forschung und Praxis, natürlich nicht nur aus Deutschland - und das wöchentlich. Respekt!

Das Kürzel der Zeitschrift sitzt fest in den klugen Köpfen, die hinter ihr stecken, lesend und schreibend. Ihr Name steht für Einklang von Anspruch und Wirklichkeit, auch wenn es Anlass für nachdenkliche Rück- und Ausblicke gibt. Wie wandelt sich der Charakter der Zeitschrift, wie ist es um ihre Resonanz bestellt, wie wird sie als deutschsprachiges und noch dazu wesentlich auf internistische Belange konzentriertes Blatt dem Konkurrenzdruck gerade der englischsprachigen Journale standhalten? Wird sie überhaupt als gedrucktes Medium erhalten bleiben oder in absehbarer Zukunft nur noch als elektronisches Journal im Internet zu finden sein?

Nun, eine deutschsprachige medizinische Wochenschrift in anspruchsvoller Aufmachung wünschen sich ganz offensichtlich genügend Abonnenten. Mit annähernd 14 000 Abonnenten ist die DMW fraglos Spitzenreiterin unter den deutschsprachigen medizinischen Zeitschriften. Zwar gibt es auflagenstärkere Streu- und Kostenlospublikationen; diese verfolgen aber andere Ziele und sprechen ein anderes Publikum an. Die Abonnenten der DMW werden über internationale Forschungsergebnisse und neue Trends in der Medizin mit Anwendungsbezug auf die eigene Praxis informiert und das in deutscher Sprache. Neueste Ergebnisse von der Forschungsfront erfahren sie - wenn nicht aus den Originalbeiträgen der DMW selbst -, häufig aus kurzen Berichten und Referaten, denn aktuelle Forschungsergebnisse erscheinen oft in englischer Sprache. Schade eigentlich, denn in den Gründungs- und Konsolidierungsjahrzehnten der DMW war Deutsch noch die unangefochtene Wissenschaftssprache in der Medizin. Zwei von Deutschland ausgehende Weltkriege mit fatalen Ergebnissen für die deutsche Kultur in der Welt, ein allmähliches Erstarken des Englischen als Lingua franca der Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, besonders aber die Veränderungen und die Globalisierung der Wissenschaftskommunikation sind hierfür verantwortlich. Der Trend zur englischen Sprache wird sich wahrscheinlich noch verstärken.

Doch blicken wir hier noch einmal kurz zurück auf 125 Jahre DMW: Nach einem geradezu fulminanten Aufbruch und ersten Jahrzehnten, die durch starke Herausgeberpersönlichkeiten - namentlich Börner und Schwalbe - geprägt waren, hatte die Wochenschrift bald ein Wirkungsniveau erreicht, das kaum zu überbieten war. Dies hatte Gründe. Zum einen war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fraglos immer noch die Pionierzeit medizinischer Journale mit naturwissenschaftlich-klinischer Prägung und hohen Auflagen. Als es galt, dieses Feld wenige Jahre nach der Reichseinigung mit nationalem Anspruch auch in Deutschland zu besetzen, war die DMW zur Stelle. Die DMW nahm sofort Anteil an der Berichterstattung über eine deutsche Medizin, die - neben anderen - besonders auf einem medizinischen Forschungsgebiet mit hoher Praxisrelevanz eine internationale Vorreiterrolle erreicht hatte: auf dem der Bakteriologie sowie der antiinfektiösen Prophylaxe und Therapie. Und Forscher wie Koch, Behring, Ehrlich wollten nicht mehr nur publizieren, sondern sie wollten schnell publizieren, ihre Resonanz in der Breite des ärztlichen Leserpublikums finden. Diese Möglichkeit bietet die DMW bis heute nahezu uneingeschränkt. Dass darüber hinaus eine Medizin, die in fast allen Gebieten und global Richtung und Geschwindigkeit der Forschung bestimmte, in der ursprünglichen Sprache veröffentlicht wurde, war auch Teil des für das späte Kaiserreich so typischen Anspruchs, Kulturmission zu betreiben.

Der anfängliche Schwung der DMW brach sich 1914/18 in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden Wirtschaftskrisen. Aber auch die erste Generation deutscher Spitzenforscher in der Medizin war gestorben, das Zeitalter der Epigonen angebrochen. Die DMW setzte nun keine Forschungsakzente mehr, aber sie blieb Echo der Forschung, vollzog Entwicklungen in der medizinischen Wissenschaft mit, nahm praxisbezogen an der Erläuterung und Verbreitung dieser Entwicklungen teil. Dieser Prozess setzte sich auch - trotz aller zeittypischen Einflüsse und Verformungen, denen sich auch die DMW beugen musste - in der Phase der deutschen Diktatur zwischen 1933 und 1945 fort. Mit der Nachkriegszeit begann eine bis heute fortdauernde weitgehende Konzentration auf das internistische Themenfeld, die einher geht mit einer bis in die Sprache der Originalbeiträge nachzuvollziehenden Versachlichung in der Darstellung.

Man mag diesen Trend mit romantisch verklärtem Blick auf die »wilden« Gründerjahrzehnte bedauern, man muss sich ihm aber auch stellen und ihn als Chance auffassen. Mit ihren neuen und teils auch alten Kernfeldern in der Kardiologie, Gastroenterologie, Stoffwechselmedizin und Infektiologie sowie mit ihren thematisch ausgesuchten Editorials und der Pro & contra-Rubrik ist die DMW immerhin die meistzitierte unter den internationalen deutschsprachigen Zeitschriften. Ihre Auflage erreicht nahezu ausgewogen Niedergelassene und Kliniker. Seit 1997 ist die DMW mit Volltext-Arbeiten unter DMWaktiv im Internet präsent, seit 2000 auch in der Zeitschriften-Datenbank Thieme-connect. Ihr Impact-Faktor liegt derzeit bei 0,684. Den Liebhabern dieser Evaluationsmode mag dies gering erscheinen, den Skeptikern wird es gleichgültig sein.

Zurecht darf man einräumen: Es gibt eine lebendige medizinische Wissens- und Wissenschaftskultur, und die deutschsprachige DMW ist ein bedeutender Teil von ihr, seit 125 Jahren. Gratulation!

Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart

Institut für Geschichte der Medizin

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 327

69120 Heidelberg

Christian StaehrLeiter Zeitschriftenredaktion 

Georg Thieme Verlag

Rüdigerstraße 14

70469 Stuttgart

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