Zeitschrift für Palliativmedizin 2013; 14(3): 89-90
DOI: 10.1055/s-0033-1335919
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Finanzierung der stationären Palliativversorgung

Claudia Bausewein
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Publication Date:
24 June 2013 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

eine große Errungenschaft der letzten Jahren ist die Integration der Palliativmedizin in das deutsche Gesundheitswesen. Das hat viele Vorteile sowohl für die Patienten als auch für die in der Palliativversorgung Tätigen, aber auch eine ganze Reihe Nachteile. Durch die Finanzierungssystematik der Regelversorgung verliert die Palliativmedizin eine gewisse Sonderstellung. Das spüren vor allem diejenigen Palliativstationen, die bisher noch den Status einer ‚Besonderen Einrichtung’ genossen haben und deren Abrechnung mit den Krankenkassen jetzt in das Fallpauschalensystem nach DRG überführt wird.

Eine Task Force des DGP-Vorstands zur Finanzierung der stationären Palliativversorgung hat sich deshalb im Dezember 2012 mit einem externen Berater getroffen, der früher selbst im Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) tätig war. Es war ernüchternd zu hören, dass die Finanzierung der stationären Palliativversorgung nicht außerhalb des DRG-Systems zu realisieren ist. Eine „Ausnahmeregelung“ sei inhaltlich weder zu rechtfertigen noch politisch gewollt und somit nicht durchsetzbar. Die oft in der Diskussion geltend gemachten spezifischen inhaltlichen Merkmale der Palliativversorgung rechtfertigen keine alternative Finanzierungsgrundlage. Denn wenn diese Merkmale tatsächlich – bei entsprechend präziser Leistungsbeschreibung – im DRG-System zu unterschiedlichen Kostenaufwänden führten, würde das in der Kalkulation des InEK auffallen. Diese Unterschiede im Kostenaufwand rechtfertigen bei Überschreitung eines gewissen Schwellenwertes dann ein Zusatzentgelt. Dies ist durch die Schaffung des OPS-Kode 8–982 „Palliativmedizinische Komplexbehandlung“ und das entsprechende Zusatzentgelt ZE60 erfolgt. Das Zusatzentgelt soll die kalkulierte Differenz bei den verursachten Kosten der Patienten mit palliativmedizinischer Komplexbehandlung aufgrund einer verhältnismäßig zu langen Liegedauer ab dem 7. Tag ausgleichen. Neben der palliativmedizinischen Komplexbehandlung wurde 2012 auch der OPS-Kode 8-98e für spezialisierte stationäre Palliativversorgung (SSPV) eingeführt, der bisher aber noch nicht erlösrelevant ist. Das wird sich vermutlich ändern, zumal die DGP die rechnerische Überprüfung der Kostenrelevanz des OPS 8-98e beim InEK beantragt hat.

Was bedeutet diese Entwicklung für uns in der Palliativmedizin Tätigen? Um unsere Zukunft zu sichern, müssen wir uns zunächst mit dem System arrangieren und unsere Leistungen möglichst gut dokumentieren und die Kodierung optimieren. Sonst sind einige Palliativstationen gefährdet. Die DGP arbeitet gerade Kodier-Empfehlungen aus, die wesentliche und relevante Informationen zur sinnvollen Verschlüsselung palliativmedizinscher Leistungen zusammenfassen.

Trotz dieser Entwicklung stellen sich aber einige grundsätzliche Fragen über die Finanzierung palliativmedizinischer Leistungen. Das DRG-System beruht auf der Vergütung entstandener Kosten und bildet deshalb v. a. diejenigen Prozeduren mit technischen Leistungen ab. Die palliativmedizinische Denkweise widerspricht in gewisser Hinsicht dem DRG-System, da es um Zeit und Präsenz von Menschen in „höherer Dosis“ geht, also um Personalaufwand. Was die palliativmedizinische Betreuung u. a. ausmacht sind häufige Patientengespräche, pflegerische Maßnahmen oder Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen – diese Maßnahmen sind in der Systematik des DRG-Systems nicht wirklich abgebildet. Die Palliativmedizin zeichnet sich besonders dadurch aus, unnötige Interventionen und kostspielige Therapien zu vermeiden und zu hinterfragen und stattdessen auf die spezielle Krankheitssituation des Patienten medizinisch sinnvoll einzugehen und nicht nur auf das, was medizinisch möglich ist. Dies kann wertvoller sein als die übliche medizinische Routine. Auch das Aushalten einer Situation, das Mitgehen in einer schwierigen Lebensphase lässt sich nicht unbedingt in Diagnosen und Prozeduren abbilden, gehört aber zu den Kernaufgaben der Betreuung von schwerkranken und sterbenden Menschen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das DRG-System die Einteilung der Patienten in Diagnosegruppen vorsieht. In der Palliativmedizin beschreiben aber Diagnosen die Situation unserer Patienten und ihre Nöte nur ungenau. Denn wenn ein Patient unter Atemnot leidet, ist es für die Betreuung und den Ressourcenverbrauch sekundär, ob die Atemnot aufgrund eines Mamma- oder eines Lungenkarzinoms vorliegt. Wichtiger ist aber, welche psychosozialen und spirituellen Probleme der Patient zusätzlich hat, wie eingeschränkt er durch die Erkrankung (d. h. der Funktionsstatus) ist und wie belastend sich dies auf die Familie auswirkt. Wichtig ist auch, ob sich der Patient in einer stabilen oder instabilen, sich verschlechternden oder sterbenden Situation befindet. Diese Aspekte beschreiben die Komplexität der Palliativpatienten.

In Australien wurde gezeigt, dass die Komplexität eines Palliativpatienten vielmehr mit dem Ressourcenverbrauch und damit den Kosten verbunden ist, als die Diagnose [1]. Eine in Australien entwickelte Komplexitätsskala – Grundlage für die Finanzierung der Palliativmedizin in Australien – wird derzeit in England getestet und soll auch dort zur Finanzierung der Palliativmedizin verwendet werden [2,3]. Die Komplexität hilft uns auch dabei, Patienten in verschiedenen Einrichtungen miteinander zu vergleichen und zu beurteilen, ob wir überhaupt dieselben Patientengruppen betreuen.

Selbst wenn die Finanzierung der Palliativmedizin zunächst über das DRG-System erfolgt, sollten wir politisch immer wieder deutlich machen, dass die aufgebauten palliativmedizinischen Strukturen der letzten Jahre in Gefahr sind, wenn sich dieser Fachbereich in ein Finanzierungssystem zwängen soll, dass ihm nicht gerecht wird.

 
  • Literatur bei der Verfasserin