Aktuelle Neurologie 2002; 29: 33-34
DOI: 10.1055/s-2002-27799
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Gewichtszunahme und Gewichtsabnahme - ein Problem antiepileptischer Therapie

Weight Gain and Weight Loss - A Problem of Antiepileptic TherapyGerhard  Luef1
  • 1Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck
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Publication Date:
03 May 2002 (online)

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Gewichtsveränderung als Nebenwirkung durch Behandlung mit Antiepileptika wurde bislang, ähnlich wie bei der Behandlung mit Psychopharmaka, deutlich unterschätzt. Die zu einer Gewichtszunahme bzw. Abnahme führenden Mechanismen sind weitgehend ungeklärt. Es ist daher von großer klinischer Relevanz, diese Ursachen aufzuklären sowie Zusammenhänge zwischen der Nebenwirkung einer Gewichtszunahme und der daraus resultierenden Begleiterkrankungen und Begleiterscheinungen wie Noncompliance zu verstehen.

Gewichtszunahme wird vorwiegend bei den neueren GABAergen Substanzen wie Vigabatrin [1] und Gabapentin [2] und am häufigsten bei dem Standardantiepileptikum Valproinsäure [3] [4] [5] beschrieben. Gewichtsabnahme wiederum ist eine häufige Beobachtung unter Felbamattherapie [6] und wird noch häufiger unter Topiramat [7] [8] beobachtet.

Klinische Relevanz hat hauptsächlich die medikamenteninduzierte Gewichtszunahme, die auch viel häufiger vorkommt als ein Gewichtsverlust. Dies ergibt sich zum einen aus einer erhöhten allgemeinen Morbiditätsrate und zum anderen aus einer Gefährdung der Therapiecompliance.

Die klinische Aufmerksamkeit wurde durch das Syndrom der polyzystischen Ovarien bzw. durch Beobachtung eines Auftretens von polyzystischen Ovarien bei an einer Epilepsie erkrankten Frauen, geweckt. In diesem Zusammenhang wurde auch über die vermehrte Insulinausschüttung eine Insulinresistenz und Adipositas beobachtet.

Eine Untersuchung zur Lebensqualität an 99 Patienten an der Wiener Psychiatrischen Klinik zeigte, dass die Hälfte der Patienten unter einer Therapie mit atypischen Neuroleptika Gewicht zugenommen hatten und diese Nebenwirkung als außergewöhnliche Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden wird. Eine Gewichtszunahme ist auch bei an Epilepsie Erkrankten als ein wesentlicher Compliance gefährdender Faktor anzunehmen.

Um ein eventuelles eigenmächtiges Absetzen der Medikation als Folge einer unerwünschten Gewichtszunahme zu vermeiden, sollte die individuelle Einstellung der Patienten bzw. deren Risikofaktoren erhoben werden. Die Patienten müssen vom betreuenden Arzt entsprechend informiert, beraten und kontrolliert werden.

Adipositas muss auch als eigene Entität erkannt werden, um weitere Folgekrankheiten wie Diabetes mellitus, zerebrovaskuläre und kardiovaskuläre Krankheiten zu vermeiden.

Als mögliche Ursachen der Gewichtszunahme werden zum jetzigen Zeitpunkt verschiedene Hypothesen diskutiert:

die hohe Affinität dieser Medikamente zum Histaminrezeptor 9, die starke Sedierung der Patienten 10, vermehrtes Durstgefühl der Patienten als Folge der anticholinergen Wirkkomponente 11, Blockierung der serotonergen Transmission 12, Störung des Gleichgewichtes der Kohlenhydrat- und Fettoxidation 13, direkte GABAerge Mechanismen 14 15, Beeinflussung der Insulinresistenz durch Fettsäuren wie VPA 16 17 18.

Im Gegensatz zu einer Gewichtszunahme konnte im Rahmen klinischer Studien mit Topiramat als Zusatz- oder Monotherapie bei Epilepsiepatienten bei ca. 10 % verminderter Appetit wie auch eine Gewichtsabnahme als Nebenwirkung beobachtet werden [7] [8]. In pharmakologischen Tierstudien konnte gezeigt werden, dass Topiramat zu einer signifikanten dosisabhängigen Gewichtsabnahme und zu einem selektiven Körperfettverlust führt.

Ziel einer von uns durchgeführten prospektiven Studie, war die Untersuchung des durchschnittlichen Gewichtsverlustes unter Topiramatbehandlung über einen Zeitraum von durchschnittlich 12 Monaten. 64 Erwachsene (m : w = 33 : 31) mit einem Durchschnittsalter von 37,4 Jahren (9 - 73) und partiellen bzw. idiopathisch generalisierten Epilepsien wurden in diese prospektive offene Studie inkludiert.

Die Topiramatinitialdosis betrug 25 mg/Tag und wurde langsam auf 200 mg/Tag aufdosiert. Zur besseren Anfallskontrolle wurde die Topiramatdosis bei Bedarf erhöht. Folgende Parameter wurden erhoben und analysiert: Bodymass-Index (BMI), Körperfettanteil mittels Bodyimpedanz, Leptine, Cholesterin (HDL, LDL), Triglyzeride, Insulin/Glukose (Insulinresistenz).

Insgesamt 30 % der Patienten zeigten eine Gewichtsreduktion unter Topiramat. Der dabei beobachtete durchschnittliche Gewichtsverlust betrug 4,5 kg (1 - 30 kg). Die maximale durchschnittliche Gewichtsreduktion ab Baseline betrug 14 % des Ausgangsgewichtes. Frauen verloren mehr Gewicht als Männer und insgesamt war die Gewichtsreduktion von der Höhe des Ausgangsgewichtes abhängig.

Der Gewichtsverlust dürfte mit einem erhöhten Grundumsatz zusammenhängen, genaue Mechanismen dazu sind jedoch noch nicht bekannt.

Antiepileptika können Veränderungen des Körpergewichts unterschiedlich beeinflussen. Es sollten daher bei Neueinstellungen bzw. Therapieumstellungen Gewichtsfaktoren wie BMI mitberücksichtigt werden.

Literatur

Dr. med. Gerhard Luef

Universitätsklinik für Neurologie

Anichstraße 35

6020 Innsbruck · Österreich