Klinische Neurophysiologie 2008; 39(2): 109-110
DOI: 10.1055/s-2008-1078715
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bildgebung des akuten Schlaganfalls

Imaging of Acute StrokeE. B. Ringelstein 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster, Münster
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Publication Date:
09 June 2008 (online)

Die zerebrale Bildgebung hat die Neurologie insgesamt revolutioniert. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die ersten CT-Geräte erprobt. 1979 erhielt Godfrey Hounsfield den Nobelpreis für die Erfindung der Computertomografie (CT). Erstmals konnte mit der CT (wenn auch noch mithilfe von Röntgenstrahlen) nicht-invasiv in das Schädelinnere Einblick genommen werden. Etwa 10 später wurde das „Nuclear resonance imaging”, das später in „Kernspintomografie” umbenannte Verfahren, entdeckt und mit Verzögerung erhielten auch dessen Entdecker, Paul C. Lauterbur und Sir Peter Mansfield, hierfür 2003 den Nobelpreis. Es ist zumindest mit den derzeit üblichen Feldstärken völlig unschädlich.

Zuvor war zerebrale Bildgebung nur mithilfe lebensgefährlicher Eingriffe möglich gewesen, z. B. der Luftenzephalografie der Liquorräume oder der mit Direktpunktion durchgeführten Karotis- oder Vertebralisangiografie. Unter den damaligen Verhältnissen war es daher ein weiterer Segen, dass in den 70er Jahren bereits die Entwicklung der Dopplersonografie als Ultraschallmethode für die Untersuchung der extrakraniellen Arterien begann, deren Weiterentwicklungen heute weltweit die am meisten verfügbare, gefäßdiagnostische Methode für die Neurologie darstellt.

Die Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden Arterien, die seit etwa 1982 auch intrakraniell als Transkranielle Dopplersonografie im Schädelinneren anwendbar wurde, setzt eine hohe Expertise des Untersuchers voraus und ist nur mit besonderem Aufwand erlernbar. Deshalb werden heute zunehmend die Kontrastmittel-gestützte CT- oder MR-Angiografie zusammen mit der Schnittbilddiagnostik „in einem Arbeitsgang” zur Gefäßdarstellung bevorzugt. So vorteilhaft diese Techniken wegen ihrer relativen Nicht-Invasivität, ihrer Multimodalität und der zunehmenden Genauigkeit für den Patienten, und so bequem sie wegen ihrer zunehmend leichteren Verfügbarkeit und schnellen Erledigung für den anfordernden Arzt sind, so sehr verleiten sie zur diagnostischen Bequemlichkeit und zu einer unguten Art von Medizin, die dem Patienten potenziell schaden kann, wenn der Kliniker den Patienten dem (Neuro-)Radiologen zur Diagnosestellung unkritisch überlässt.

Eine Gefahr besteht darin, dass dieses reichhaltige Bildgebungsangebot zu einer bedenklichen Trägheit im differenzialdiagnostischen Denken und zu oberflächlicher klinischer Diagnostik verleitet, und dass die Verantwortung für den Patienten zunehmend auf bildgebende Disziplinen übertragen wird. Damit erhöht sich die Gefahr, dass bedeutungslose Neben- oder Zufallsbefunde ätiopathogenetisch überbewertet werden und der Patient nutzlose aber riskante Therapien erhält. Hier müssen sich klinisches Know-how und Bewertung technischer Befunde harmonisch ergänzen. Dosierte und durchdachte Inanspruchnahme des diagnostischen Hochleistungsapparates schont nicht nur Ressourcen, sondern erzieht auch den Nachwuchs zu kompetenten Ärzten.

Die kernspintomografischen und modernen computertomografischen Untersuchungen sind bereits höchst informativ. Dennoch können die sonografischen Befunde für die Schlaganfallpatienten wesentliche Ergänzungen und eigenständige, spezifische diagnostische Informationen liefern, wie der nachfolgenden Artikel von Jauß und Hamerüber Ultraschalldiagnostik in der Akutphase des Schlaganfalls zeigt [1]. Die moderne neuroangiologische Ultraschalldiagnostik hat den großen Vorteil der sofortigen Verfügbarkeit, der totalen Nicht-Invasivität, der Anwendbarkeit an prinzipiell allen Patienten (was für die Kernspintomografie nicht zutrifft), der zusätzlich leicht und sofort erhältlichen funktionellen Informationen (Sonografie mit Geschwindigkeitsmessung und Pulsatilität usw.) integriert in den morphologischen Befund (B-Bild und Farbkodierung). Außerdem können Strömungsrichtungen, z. B. im Circulus arteriosus Willisii oder in den großen basalen Hirnarterien eindeutig festgelegt werden, was mit der Kernspinangiografie nur bedingt und nur mit zusätzlichem technischen Aufwand möglich ist. Für die MR-angiografische oder CT-angiografische Differenzierung eines Verschlusses einer großen basalen Hirnarterie von einer hochgradigen Stenose, oder die Differenzierung einer mittelgradigen Stenose von einem Bildartefakt, verlassen sich die entsprechend sonographisch ausgerüsteten Einrichtungen auch weiterhin gerne auf den Ultraschallbefund statt auf das Bild. Auch der Vorteil der bettseitigen Untersuchung, ohne dass der schwerstkranke Schlaganfallpatient transportiert, begleitet und abgesichert werden muss, schont den Kranken und die Personalressourcen, zumal die Ultraschallmethoden beliebig oft für verlaufsdiagnostische Zwecke wiederholbar sind. Ultraschall kann zusätzlich pathophysiologisch bedeutsame Informationen dem zerebrovaskulären Kreislauf entlocken, die mit keiner anderen Methode erhältlich sind. Der Nachweis asymptomatischer Mikroembolien in den Hirnarterien aus weiter proximal gelegenen Emboliequellen ist zwar zeit- und personalaufwändig, erlaubt aber eine individuell gute Prognosefestlegung, und die räumliche Eingrenzung der Emboliequelle, und hat sich in randomisierten klinischen Studien (RCT; Randomised Clinical Trials) als sehr nützliches, wissenschaftliches Werkzeug und als klinisch-prognostisch relevant und therapeutisch wegweisend erwiesen (z. B. in der CARESS-Studie).

In dem vorliegenden Heft erscheinen ferner Beiträge zur Wertigkeit der einfachen zerebralen Computertomografie, des Perfusions-CT, der CT-Angiografie sowie Beiträge zur Rolle der MR-Tomografie und ihrer verschiedenen Sequenzen und der MR-Angiografie soweit sie für die „Bildgebung des akuten Schlaganfalls” relevant sind. Der Beitrag von Allroggen und Kraemerüber moderne Bildgebung des Hirninfarktes beschreibt die Indikation und Leistungsbreite dieser Methoden für den klinischen Einsatz im Routinebetrieb, wie er heute an Universitätskliniken und Häusern der Maximalversorgung, vor allem auch an Kliniken mit Zertifizierten Stroke Units, verfügbar sein sollte [2].

Mithilfe spezieller MRT-Sequenzen (T2*; sprich: Te-Zwei-Stern), einer Gradienten-Echosequenz der Kernspintomografie, gelingt es, Blutabbauprodukte von stattgefundenen intraparenchymatösen Blutungen des Gehirns, auch sehr kleiner Blutungen, noch über Jahre mit großer Verlässlichkeit und Empfindlichkeit nachzuweisen. In der Zwischenzeit wissen wir, dass sehr viele vaskulär vorgeschädigte Gehirne solche Mikroblutungen („Microbleeds”) aufweisen, ohne dass man schon sicher beurteilen kann, welche Bedeutung diesen zukommt. Nach derzeitigem Kenntnisstand stellen sie eher unspezifische Zeichen einer diffusen vaskulären Hirnschädigung dar, meistens auf der Grundlage einer zerebralen Mikroangiopathie, werden aber überzufällig häufig und in großer Zahl bei Patienten mit Zerebraler Amyloidangiopathie (CAA) gefunden. Die CAA ist eine spezifische, meist sporadische, in einzelnen Sippen auch genetisch verursachte, zerebrale Mikroangiopathie, die zu großer Brüchigkeit der von Amyloideinlagerungen befallenen Wände der Hirnarterien und damit zu hoher Anfälligkeit für kortexnahe Massenblutungen neigt. Welche Bedeutung solchen „Microbleeds” für die Akuttherapie des Schlaganfallpatienten zukommt, man denke nur an Lysetherapie oder Marcumarbehandlung, wird in dem Beitrag von Wersching et al. unter Berücksichtigung der neuesten Literatur und eigener Daten dargestellt [3]. Dieses Thema wird uns wahrscheinlich noch weitere Jahre wissenschaftlich beschäftigen.

Schließlich berichten Ritter und Schulte-Altedorneburgüber die aktuelle bildgebende Diagnostik der größeren Hirnblutungen, die im Gegensatz zu den „Microbleeds” zu schweren Insult-Syndromen führen und lebensbedrohlich sind [4]. Auch diese Schlaganfallpatienten bedürfen eines kompetenten, akuten Managements, das sich allerdings vom ischämischen Schlaganfall unterscheidet bezüglich Wertigkeit der bildgebenden Verfahren, Dringlichkeit und Zeitpunkt von Verlaufsuntersuchungen und den daraus ableitbaren pathophysiologischen und therapeutischen Schlussfolgerungen.

Damit gibt das vorliegende Heft einen breiten Überblick über die derzeit relevanten bildgebenden (und z. T. funktionellen) Untersuchungsverfahren im Sinne eines „state-of-the-art”-Resumées. Er soll dazu beitragen, dass diese Notfalldiagnostik gezielter, schneller und ökonomischer eingesetzt wird und damit die volle Ausschöpfung der therapeutischen Potentiale für den Schlaganfallpatienten innerhalb der engen Zeitfenster ermöglicht.

Literatur

  • 1 Jauß M, Hamer HM. Ultraschalldiagnostik zerebrovaskulärer Krankheiten in der Akutphase und Nachsorge.  Klin Neurophys. 2008;  39 111-124
  • 2 Allroggen A, Kraemer C. Bildgebende Verfahren zur Darstellung des Hirninfarktes und seiner Ursachen.  Klin Neurophys. 2008;  39 125-136
  • 3 Wersching H, Stehling C, Knecht S. Zerebrale Mikroblutungen.  Klin Neurophys. 2008;  39 137-141
  • 4 Ritter MA, Schulte-Altedorneburg G. Bildgebung der intrazerebralen Blutung. CT, MRT oder beides?.  Klin Neurophys. 2008;  39 142-148

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. E. B. RingelsteinFAHA 

Klinik und Polklinik für Neurologie

Albert-Schweitzer-Straße 33

48129 Münster

Email: ringels@uni-muenster.de

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