DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2008; 6(02): 6-7
DOI: 10.1055/s-2008-1077203
Science
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom

Karl-Ludwig Resch
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Publication Date:
29 April 2008 (online)

Kommentar

Klinisch kam ich früher gar nicht so selten mit dem „Morbus Sudeck” in Berührung. Schon damals galt, was in der Medizin meist richtig ist: ,Viele Namen - wenig Ahnung'. Ähnliches galt und gilt für das therapeutische Konzept: ,Jeder setzt das ein, was er kann'. Zugegeben, ich konnte mich früher des Eindrucks auch nicht immer ganz erwehren, dass Sudeck-Patienten typischerweise psychologisch „etwas auffällig” sind. So schnell verwechselt man Ursache und Wirkung! Dabei muss man sich nur einmal vorurteilsfrei vorstellen, mit einem massiv schmerzenden Arm von Freunden und Kollegen nicht ernst genommen zu werden, von Fachmann zu Fachfrau zu ziehen, allerlei quälende Prozeduren über sich ergehen zu lassen und zunehmend die Hilflosigkeit der Profis zu realisieren! Wer da nicht depressiv wird...

Heute kann man sich ja recht schnell einen ersten Eindruck zu einem Thema verschaffen, entweder im „freien”, unkontrollierten Internet (vgl. etwa de.wikipedia.org/wiki/CRPS) oder in „qualitätsgefilterten” medizinischen Fachdatenbanken wie Medline (www.pubmed.gov). In Medline etwa sind für die letzten drei Jahre gerade mal 64 randomisiert kontrollierte Studien zu diesem Themenbereich gelistet. Dass im gleichen Zeitraum exakt 50 Übersichtsarbeiten publiziert wurden, zeigt wie groß der Bedarf ist, die vielen heterogenen Informationen zusammenzutragen, zu ordnen und adäquate Schlüsse zu ziehen („wenig Ahnung”).

Einen exzellenten Überblick mit kostenlosem Zugang zu vielen aktuellen Publikationen bieten die Seiten der amerikanischen Selbsthilfeorganisation „Reflex Sympathetic Dystrophy Syndrome Association” (www.rsds.org), die zusammen mit außergewöhnlich vielen anderen Internet-Aktivitäten von Selbsthilfeorganisationen bzw. von Betroffenen wie etwa der einer Schweizer Psychotherapeutin (www.morbus-sudeck.ch) zeigen, wie wenig zufriedenstellend die derzeitigen „üblichen” Behandlungskonzepte sind.

Sie zeigen auch, dass in der Praxis durchaus bedeutsame Probleme nur wenig wissenschaftlichen Enthusiasmus provozieren, wenn der Erfolg nicht absehbar ist. Bemerkenswerterweise finden sich in Chats und auf Laien-Seiten konkrete Hinweise, dass eine osteopathische Behandlung subjektiv als hilfreich empfunden wurde. Und dass das möglicherweise kein Zufall ist, darauf gibt eine gut 10 Jahre alte Publikation im JAOA [2] einen mehr als plausiblen Hinweis. Der Autor, K.E. Nelson vom Chicago College of Osteopathic Medicine, stellt dort fest, dass er in der osteopathischen Literatur eine beachtliche Zahl von Untersuchungen zur somatischen Dysfunktion des oberen Thorax fand, deren Manifestation „auffallende Ähnlichkeiten mit denen der RSD hat und uns Einblicke in die bislang nicht geklärte Physiologie dieser Erkrankung geben könnte”.

Eine gezielte Sammlung von osteopathischen Falldokumentationen, eine geplante (prospektive) Dokumentation von osteopathischen Behandlungen des CRPS und schließlich eine Therapiestudie mit geeigneter Kontrollgruppe (z.B. „übliche” Standardtherapie) könnte hier sukzessive Licht ins Dunkel bringen - und möglicherweise für viele Patienten künftig einen Erfolg versprechenden Therapieansatz.

K. L. Resch

 
  • Literatur

  • 1 Mos M de, Bruijn AG de, Huygen FJ, Dieleman JP, Stricker BH, Sturkenboom MC. The incidence of complex regional pain syndrome: a population-based study. Pain. 2007; 129
  • 2 Nelson KE. Osteopathic medical considerations of reflex sympathetic dystrophy. J Am Osteopath Assoc. 1997; 97