Zahnmedizin up2date 2008; 2(4): 303-318
DOI: 10.1055/s-2008-1038337
Kinder- und Jugendzahnheilkunde

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Traumatologie im Milchgebiss

Gabriele Viergutz, Gisela Hetzer
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Publication Date:
11 August 2008 (online)

Einführung

Aktualisierung von Therapiekonzepten

Ein besseres Verständnis der Heilungs- und Reparationsvorgänge nach Zahntrauma, aber auch neue Materialien und Hilfsmittel haben im zurückliegenden Jahrzehnt zu einer Aktualisierung von Therapiekonzepten beigetragen. Für die Behandlung von Milchzahnverletzungen liegen aktuelle Leitlinien der International Association of Dental Traumatology (IADT) vor [[1]]. Diese Therapieempfehlungen beruhen überwiegend auf umfangreichen Literaturrecherchen und Expertenmeinungen. Dagegen gibt es nur wenige Langzeitstudien mit adäquaten Fallzahlen, mit denen sich die Überlegenheit einer bestimmten Vorgehensweise gegenüber einer anderen belegen lässt [[2]]. Generell gilt für die Behandlung von Milchzahnverletzungen ein auf biologischen Prinzipien beruhendes, schadenbegrenzendes und möglichst non-invasives Vorgehen. Priorität beim Management eines Milchzahntraumas haben eine effektive Schmerzausschaltung und die Sorge um die regelrechte Weiterentwicklung des nachfolgenden Zahnkeims. Für die Behandlung verletzter Milchzähne gelten demnach andere Prioritäten als für die Behandlung verletzter bleibender Zähne.

Merke: Im Milchgebiss haben eine effektive Schmerzausschaltung und die Sorge um die regelrechte Weiterentwicklung des nachfolgenden Zahnkeims Vorrang.

Epidemiologie

Milchzahnverletzungen kommen relativ häufig vor, aber sie werden von den Eltern oft bagatellisiert. Die Kinder werden vor allem dann einem Zahnarzt vorgestellt, wenn das Trauma mit Weichteilverletzungen und Blutungen aus dem Mund einhergeht oder wenn die verletzten Zähne beim Essen schmerzen und die Nahrungsaufnahme verweigert wird.

In der Altersgruppe der Null- bis Sechsjährigen treten Milchzahntraumen mit einer Häufigkeit von elf bis 30 Prozent auf [[2]]. Besonders hoch ist die Verletzungsgefahr im Alter von 12 bis 24 Monaten, wenn die ersten Steh- und Gehversuche unternommen werden. In diesem Alter stürzen die Kinder vor allem im häuslichen Umfeld (Stürze auf Bett- oder Tischkanten, aus dem Kinderwagen oder Treppenstürze). Später überwiegen Unfälle beim Spielen, bei sportlichen Betätigungen oder im Straßenverkehr. Immer dann, wenn die Beschreibung des Unfallherganges nicht mit dem klinischen Befund übereinstimmt, kann eine Kindesmisshandlung vorliegen. In diesen Fällen sollte eine zweite Untersuchung durch einen Kinderchirurgen oder Pädiater veranlasst werden.

Cave: Wenn Anamnese, Unfallzeitpunkt und ‐hergang und klinischer Befund nicht zusammenpassen, an Kindesmisshandlung denken!

Am häufigsten sind die oberen und unteren Schneidezähne von einem Trauma betroffen, selten die Eckzähne und Milchmolaren (Abb. [1], [2]). Grundsätzlich findet man im Milchgebiss die gleichen Verletzungsarten wie im bleibenden Gebiss.

Abb. 1 Dreijähriger Junge; Dislokation der Milchschneidezähne 51 und 61 und Risswunde der Gingiva. Abb. 2 Komplizierte Kronen-Wurzel-Fraktur am Zahn 84 bei einem 2¿-jährigen Mädchen nach einem Sturz aus dem Hochbett. Merke: Aufgrund der hohen Elastizität des Alveolarknochens überwiegen im Milchgebiss Verletzungen am Zahnhalteapparat.

Der betroffene Milchzahn ist gelockert und in Abhängigkeit von der Richtung der Krafteinwirkung disloziert. Im Hinblick auf eine Keimschädigung sind Intrusionen und Avulsionen die schwersten Verletzungsarten. Am häufigsten werden Keimschäden nach einer intrusiven Milchzahndislokation beobachtet [[3]].

Literatur

  • 1 Flores M T, Andersson L, Andreasen J O, Bakland L K, Malmgren B, Barnett F, Bourguignon C, DiAngelis A, Hicks L, Sigurdsson A, Trope M, Tsukiboshi M, von Arx T. Guidelines for the management of traumatic dental injuries. III. Primary teeth.  Dent Traumatol. 2007;  23 66-71
  • 2 Flores M T. Traumatic injuries in the primary dentition.  Dent Traumatol. 2002;  18 287-298
  • 3 Sleiter R, von Arx T. Posttraumatische Entwicklungsstörungen bleibender Zähne.  Schweiz Monatsschr Zahnmed. 2002;  112 214-219
  • 4 Andreasen J O, Andreasen F M. Essentials of traumatic injuries of the teeth. Copenhagen; Munksgaard 1994
  • 5 Berthold C, Bartel C, Schäfer E, Petschelt A, Raab W HM, Weiger R, Hülsmann M. Schienentherapie nach dentoalveolären Traumata. Wissenschaftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. 2005
  • 6 Flores M T, Holan M, Borum M, Andreasen J O. Injuries to the primary dentition. Andreasen JO, Andreasen FM, Andersson L Textbook and color atlas of traumatic injuries to the teeth. Copenhagen; Munksgaard 2007: 516-541
  • 7 Soporowski N J, Allred E N, Needleman H I. Luxation injuries of primary anterior teeth – prognosis and related correlates.  Pediatr Dent. 1994;  16 96-101
  • 8 Borum M K, Andreasen J O. Sequelae of trauma to primary maxillary incisors. I. Complications in the primary dentition.  Endod Dent Traumatol. 1998;  14 31-44
  • 9 Holan G. Long-term effect of different treatment modalities for traumatized primary incisors presenting dark coronal discoloration with no other signs of injury.  Dent Traumatol. 2006;  22 14-17
  • 10 Spinas E, Melis A, Savasta A. Therapeutic approach to intrusive luxation injuries in primary dentition. A clinical follow-up study.  Eur J Paediatr Dent. 2006;  7(4) 179-186
  • 11 Andreasen J O, Ravn J J. The effect of traumatic injuries to primary teeth on their permanent successors. II. A clinical and radiographic follow-up study of 213 teeth.  Scand J Dent Res. 1971;  79 284-294

Dr. Gabriele Viergutz

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Poliklinik für Kieferorthopädie
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