Geburtshilfe Frauenheilkd 1980; 40(6): 524-528
DOI: 10.1055/s-2008-1037370
Geburtshilfe

© 1980 Georg Thieme Verlag, Stuttgart · New York

Das Ende der materialistischen Betrachtungsweise des Kindergebärens?

Can the Materialistic Concept of Reproduction be Terminated?W. Maier
  • Bayerisches Statistisches Landesamt, Neuhauser Straße 51, 8000 München 2
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Zusammenfassung

In der Bundesrepublik Deutschland sind Überlegungen zu den gegenwärtig niedrigen Geburtenziffern ideologisch gefärbt, und Begriffe wie Geburtenzahl und Bevölkerungsentwicklung degradieren mehr und mehr zu parteipolitischen Kampfthesen. Diesen gefühlsmäßigen Bewertungen liegen die materialistischen Grundwerte der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts und ihre Verquickung mit bevölkerungspolitischen Thesen zugrunde. Man verwickelt sich in unauflösbare Widersprüche, sobald man sich mit dem bevölkerungspolitischen Thema der Vermehrung oder Verminderung der Bevölkerungszahl eines Staates beschäftigt. Das ist darauf zurückzuführen, daß aus den wirtschaftstheoretischen Erkenntnissen der klassischen Nationalökonomie, eines axiomatisch angenommenen Strebens und Denkens nach günstigsten Gewinnchancen unmittelbar bevölkerungspolitische Konsequenzen gezogen werden, nämlich die Suche nach der optimalen Bevölkerungsgröße. Die materialistische Betrachtungsweise des Kindergebärens, die in eine Identifikation von Individuum und Nation einmündet, kann verhindert werden, indem man begreift, daß in kapitalintensiven Volkswirtschaften Produktivitätssteigerungen in Konsumsteigerungen, nicht hingegen, quasi im Sinne eines Naturgesetzes, in Bevölkerungsvermehrungen eingereiht werden können; die menschliche Arbeitskraft erhält in technologisch modern eingerichteten Wirtschaftsgesellschaften demographisch ein vermindertes Gewicht. Auf Grund dieser Situation sind in einer niedrigen Geburtenziffer durchaus ein positiver Beitrag zur wirtschaftlichen Prosperität und die Voraussetzung für eine gute fachliche Ausbildung, aber auch für eine fundierte Allgemeinbildung der Bevölkerung zu erblicken. Dies bedingt in der Ära moderner Technologie allgemeinen Wohlstand und Frieden.

Abstract

Discussions of the presently low birth rate in the Federal Republic of Germany are idealogical and concepts such as birth rate and population trend are more and more used in partisan political fights. These emotional evaluation are largely based on the materialistic value system of the national economies of the nineteenth century and their interlacing with demographic political theses. As soon as the population political problem of the increase or decrease of the population of a state in discussed the discussants become embroied in unsolvable contradications. The reason for these contradications is the search for an optimal size of the population according to the economic theoretical ideas of a classical national economy where the search for optimal profit is axiomatic and where these ideas have immediate demographic political consequences. The materialistic concept of reproduction can be impeded when the identification of the individual with his nation is discontinued and when it is recognized that in a capital intensive economy increase of the productivity leads to increase in consumption but not like a natural law to an increase in the population. Human labor has demographically less impact on a modern technological economy. Therefore a low birth rate is a positive contribution to the economic prosperity. A low birth rate is the pre-requisite for the excellence of the professional and general education of the population. This type of education in times of modern technology assures general prosperity and peace.

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