Geburtshilfe Frauenheilkd 1980; 40(7): 593-601
DOI: 10.1055/s-2008-1037219
Geburtshilfe

© 1980 Georg Thieme Verlag, Stuttgart · New York

Zeitpunkt des spontanen Blasensprungs: Sein Einfluß auf Geburtsverlauf und kindliches Wohlergehen

Time of Rupture of the Membranes: Its Influence on Delivery and Infant Well-BeingS. C. Gieren, V. M. Roemer, E. M. Pfisterer
  • Universitäts-Frauenklinik Tübingen (Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. H. A. Hirsch)
  • Abteilung für Geburtshilfe und Frauenheilkunde II (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. K. Hammacher) und
  • Universitäts-Frauenklinik Basel (Direktor: Prof. Dr. O. Käser)
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie ist eine retrospektive elektronische Analyse (IBM-System 370/135) von 2967 Geburten der Jahrgänge 1974 und 1975 der UFK Tübingen und 3805 Geburten der Jahrgänge 1973 und 1974 an der UFK Basel. Datenerhebung (Schlüssel, Lochbeleg etc.) und Datenverarbeitung waren in beiden Kliniken identisch. Alle Fälle wurden einer Vorselektion unterworfen, bei der nur Einlingsgeburten berücksichtigt und Totgeburten sowie Schnittentbindungen eliminiert wurden. Das resultierende Datenmaterial beider Kliniken wurde in 4 Kollektive unterteilt, die sich durch den Zeitpunkt des spontanen Fruchtblasensprunges unterschieden: MM < 2 cm = „Vorzeitiger Blasensprung“, MM 2-5 cm = „Frühzeitiger Blasensprung“, MM 6-10 cm = „Rechtzeitiger Blasensprung“, Blasensprung in der Austreibungsperiode = „Später Blasensprung“. Die klinischen und biochemischen Daten dieser 4 Gruppen (N = 3686) wurden miteinander verglichen. Es ergaben sich folgende Ergebnisse: Bei jeder zweiten Erstgebärenden begann die Geburt mit einem „vorzeitigen Blasensprung“. Die Zahl der vaginal-operativen Entbindungen lag nach „vorzeitigem Blasensprung“ höher als in den drei Vergleichskollektiven mit spontanem Blasensprung zu einem späteren Zeitpunkt. Die Frequenz der Nabelschnurkomplikationen (Umschlingungen) war am größten in jenem Kollektiv mit vorzeitigem Fruchtblasensprung. Alle biochemischen Parameter im Blut aus Nabelarterie und Nabelvene zeigten eine eindeutige Abhängigkeit vom Zeitpunkt des spontanen Fruchtblasensprunges: Je später die Fruchtwasserhülle verlorenging, um so höher lagen die aktuellen pH-Werte und um so höher und besser waren die O2-Partialdrucke und die prozentuale Sauerstoffsättigung des Hämoglobins. Prinzipiell war der Blasensprung in der Austreibungsperiode bei allen untersuchten Parametern mit den besten Ergebnissen verbunden! In einer zweiten Selektion wurde ein „Idealkollektiv“ analysiert: Es war in bezug auf wesentliche geburtshilfliche Parameter homogen. Auch in diesem Datenmaterial war der „vorzeitige Blasensprung“ stets mit dem ungünstigsten fetal outcome verbunden. Die Beobachtung, daß diejenigen Kinder, die nach spontanem Blasensprung in der Austreibungsperiode zur Welt kamen, die geringste Komplikationsrate und die besten biochemischen Werte aufweisen, blieb nach wie vor erhalten. Die errechneten Daten stützen die Hypothese, daß ein vorzeitiger Blasensprung als Risikomerkmal und Risikofaktor anzusehen ist, der per se in der Lage ist, auf die Geburt und die frühe Adaptionsperiode des Neonaten negative einzuwirken. Jede Schwangere mit „vorzeitigem Blasensprung “ Sollte daher als Risikopatientin behandelt warden. Weiterhin erscheint e suns gerechtfertigt, von einem „vorzeitigen Blasensprungsyndrom“ zu sprechen. Damit soll das häufige Zusammentreffen von Erstparität nach „vorzeitigem Blasensprung“ herausgestellet warden.

Abstract

All vaginal deliveries of the departments of obstetrics and gynecology of the University Tuebingen (N = 2967) during the years 1974 and 1975 and the University Basel (N = 3805) during 1973 and 1974 were analyzed retrospectively using an IBM-system 370/135 and soft-ware systems developed by the authors. In this study all multiple pregnancies, all stillborn neonates as well as deliveries by cesarean section were eliminated. The remaining deliveries of both departments (N = 3686) were pooled and divided into 4 main samples differing only in respect to the cervical dilatation at which spontaneous rupture of membranes took place: 1. Cervical dilatation (CD) of < 2 cm i.e. premature rupture of the membranes (PROM). 2. CD 2-5 cm, early rupture of the membranes. 3. CD 6-10 cm, well timed rupture of the membranes. 4. Rupture of the membranes during second stage of labor. Thus all cases with artificial amniotomy were excluded. This approach was chosen since CD was the only clinical symptom to rely upon in every case. The comparison of the clinical and biochemical data of the neonates belonging to these 4 groups led to the following results: In both departments more than 50% of all Primiparae started delivery with PROM. The incidence of operative vaginal deliveries in the sample with PROM was significantly higher than those in the group with rupture of membranes during second stage of labor. In both departments the incidence of cord entanglements was a maximum in the samples with PROM. The biochemical Parameters (pH, pO2, HbO2) measured in the umbilical artery and vein showed a definite association with the time of spontaneous rupture of membranes: the later the membranes were ruptured,the better were these variables. Fetuses with spontaneous rupture of membranes during second stage of labor always showed the best clinical outcome. Several additional selections were made in order to get neonates without an increased risk of fetal acidosis and neonatal depression: thus only primiparous women were examined, neonates born in between the 38. and 42. week of gestation were analyzed etc.: In all groups we found that spontaneous premature repture of the membranes was always associated with unfavorable outcome of the babies. Deliveries starting with premature rupture of membranes (CD<2cm) should therefore be regarded as cases at risk apart from infection disease morbidity which was nor further analyzed in this context. PROM by itself has negative consequences for the delivery and the early neonatal adaption-period. It seems justified to speak of PROM-SYNDROME which includes primiparity, cord-entanglenents and increased neonatal morbidity.

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