Handchir Mikrochir Plast Chir 2008; 40(4): 279-281
DOI: 10.1055/s-2007-989386
Historischer Beitrag

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Johann Friedrich Dieffenbach und sein Einfluss auf die Entwicklung der Plastischen Chirurgie

Johann Friedrich Dieffenbach and His Influence on the Development of Plastic SurgeryF.-E. Müller1
  • 1Essen
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eingereicht 25.9.2007

akzeptiert 23.10.2007

Publication Date:
15 July 2008 (online)

Die Schnelligkeit unserer Zeit verkürzt auch unser Gedächtnis für Vergangenes, für große Namen und große Leistungen. Zu leicht gerät in Vergessenheit, dass wir stets auf den Schultern derer stehen, die vor uns waren. So ist die Entwicklung und Anerkennung der Plastischen Chirurgie mit den Namen großer deutscher Chirurgen des 19. Jahrhunderts verknüpft, insbesondere mit Graefe, Langenbeck und vor allem von Dieffenbach. Sie alle wirkten in Berlin.

Lassen Sie mich an Johann Friedrich Dieffenbach erinnern, der auch der Vater der Plastischen Chirurgie genannt wird. 1792 in Königsberg, der Stadt Kants, geboren, studiert er später zunächst sechs Semester Theologie in Rostock und Greifswald, das damals noch zu Schweden gehörte. Bei der Erhebung Preußens gegen Napoleon ist auch der Theologiestudent Dieffenbach als Freiwilliger in einem Jägerregiment dabei. Zeitlebens sind in ihm die schrecklichen Erlebnisse des Krieges wachgeblieben. Dieffenbach legt nach der Heimkehr sein theologisches Examen nicht mehr ab. Im Dezember 1816, inzwischen 24 œ Jahre alt, hören wir von ihm aus Königsberg: „Ich studiere seit meiner Ankunft Medizin. Ja, die Medizin ist auf dem Grund der Theologie gebaut und eine herrliche Wissenschaft“ ([Abb. 1]).

Abb. 1 Der Burschenschaftler Dieffenbach (Ölgemälde, im Besitz seines Enkels, des Herrn Oberstleutnant a. D. Brustellin).

Dieffenbach wird später in Königsberg Opfer politischer Verwicklungen. Nur mit Mühe entgeht er der Relegation wegen angeblicher demagogischer Umtriebe. 1820 kann er sein Medizinstudium im rheinischen Bonn fortsetzen. Dort beschäftigt er sich bereits mit seinem Lieblingsthema, der Transplantation. Sein Studienfreund Heinrich Heine behauptet von ihm, er habe Hunden und Katzen die Schwänze abgeschnitten und diese wieder angenäht. Sein chirurgischer Lehrer in Bonn, Philip von Walter, verhilft dem mittellosen Studiosus Dieffenbach zu einem längeren Studienaufenthalt in Paris, wo er Dupuytren, den damals größten Chirurgen Frankreichs, und auch Dominique Larrey, den berühmten Chirurgen Napoleons, persönlich kennenlernt. Vor seiner Rückkehr erwägt Dieffenbach, den Griechen in ihrem Freiheitskampf gegen die Türkei ärztlich beizustehen.

Mit einer Dissertation „Nonullae de Regeneratione et Transplantatione“ promoviert er 1822 in Würzburg und erhält im darauf folgenden Jahr die „Approbation als Arzt und Operateur“. Dieffenbach stand im 32. Lebensjahr und blickte auf immerhin 26 akademische Semester zurück. Sogleich nach beendetem Staatsexamen ließ sich Dieffenbach in Berlin nieder, das damals 200 000 Einwohner und 160 praktizierende Ärzte zählte. Bereits eine Woche nach seiner Niederlassung schreibt er an seine Tante Dühr: „Meine Praxis mehrt sich, doch geschieht die meiste Behandlung nur, um einen Ruf zu bekommen, denn bis jetzt habe ich noch keinen Heller eingenommen. Nur Geduld, es wird mir schon glücken, ich habe immer ganz unverschämtes Glück in meiner Praxis und bin ein kühner Operateur.“

Wie waren seine Aussichten in der Chirurgie des damaligen Berlins? Dort gab es nur zwei namhafte Chirurgen, die Professoren Karl Ferdinand Graefe und Johann Nepomuk Rust. Einer von ihnen, der 36-jährige Graefe, blickte auf eine beispielhafte Karriere zurück. Mit nur 23 Jahren war an ihn der Ruf auf den Lehrstuhl für Chirurgie der neu gegründeten Berliner Universität ergangen. In den Befreiungskriegen erwarb er sich große Verdienste als Organisator des Lazarettwesens und Kriegschirurg. Über seine operative Geschicklichkeit äußert sich sein Schüler Pirogow: „Graefes Klinik besuchte man, um einen wahren Meister und virtuosen Operateur zu sehen. Seine Operationen imponierten durch ihre Gewandtheit und Akkuratesse sowie durch Sauberkeit und ungewöhnliche Schnelligkeit der Ausführung.“ Der zweite, Rust, war eher als akademischer Lehrer und auch Organisator geschätzt, sodass man ihm 1816 die Leitung der neu errichteten chirurgischen Abteilung der Berliner Charité übertrug ([Abb. 2]).

Abb. 2 Das Charité-Krankenhaus in Berlin.

Neben diesen beiden Größen suchte Dieffenbach selbstbewusst und unverzagt seinen Weg nach oben. Da es außer der Charité und dem Königlichen Klinikum keine anderen Krankenhäuser in Berlin gab, musste Dieffenbach seine Operationen entweder in seinem Sprechzimmer oder in der Behausung der Kranken durchführen. Doch schon innerhalb eines Jahres hatte er sich als Chirurg einen Namen gemacht. Als 37-Jähriger wird er zum 2. Chirurgen an der Charité ernannt, damals bedeutendstes Klinikum Berlins mit 580 Betten, davon 150 der Chirurgie zugehörig. 1832 wird er Professor und unumschränkter Herrscher der Charité. Im Gegensatz zu Graefe, dem vornehmen akademischen Lehrer und geadelten Leibarzt des Königs, ist Dieffenbach der Aufsteiger aus den kleinen Verhältnissen des praktischen Arztes. Unter Dieffenbach wird die Charité zur Wiege der Plastischen Chirurgie, zu der Kranke aus allen Ländern strömen, der Operationssaal der Charité zum Wallfahrtsort der strebsamen Chirurgen Europas.

1848 – nach dem plötzlichen Tod des erst 53-jährigen Graefe – wird Dieffenbach dann ordentlicher Professor und Direktor des Königlichen Chirurgischen Klinikums. Die nun folgende Zeit stellt den Höhepunkt seines Schaffens dar, hier verfasste er sein chirurgisches Testament, das zweibändige Werk „Die operative Chirurgie“. In der Einleitung dazu schreibt er: „Das macht den wahren Chirurgen, der auch Ungeschriebenes weiß und als erfindungsreicher Odysseus immer Neues zu erschaffen mag.“ Und sein Schüler Pirogow urteilt über ihn: „Dieffenbachs Erfindungsgabe in der Plastischen Chirurgie war unbegrenzt, jede seiner Operationen zeichnete sich durch etwas Neues, Improvisiertes aus.“

Beherzigt man das Wort Rudolf Virchows, dass historische Gerechtigkeit darin bestünde, jede Arbeit im Lichte ihrer Zeit zu betrachten – so gilt es bei Dieffenbach u. a. zu berücksichtigen, dass Antisepsis und Asepsis sowie Äthernarkose erst kurz vor seinem Tod bekannt wurden. Dieffenbach operierte also gewöhnlich an unbetäubten Kranken, zu denen auch Kinder gehörten. So lesen wir bei ihm über die Durchführung einer totalen Rhinoplastik, die er bei einem 10-Jährigen aus der Stirnhaut vornimmt: „ Das Kind hatte, einiges Schreien abgerechnet, die Operation gut überstanden. Es erschien nur leicht ermattet und erhielt zur Labung etwas Wein und wurde zu Bette gebracht.“ Schwieriger gestaltete es sich bei einem 15-jährigen Burschen, bei dem eine Gaumennaht vorgenommen wurde: „Der Patient erwies sich als sehr widerspenstig, bald schrie er gewaltig, bald spukte er mir und dem Gehilfen das Blut in das Gesicht. Doch endlich wurden wir mit der mühsamen Arbeit fertig.“

Dieffenbach betrachtete seine Eingriffe als „physiologische Operationen“, bei denen, wie er sich ausdrückte, „die Physiologie der Chirurgie die Hand reicht“. Insbesondere sein Studium der physiologischen Vorgänge der Hautlappenplastik verschafft ihm die wissenschaftliche Grundlage für seine Erfolge in der Plastischen Chirurgie. Häufig gingen auch tierexperimentelle Untersuchungen seinen operativen Methoden voraus. Frühen Ruhm erwirbt er sich, als er als erster die totale Nasenrekonstruktion vornimmt. Seine Wiederherstellungsoperation bei komplettem Verlust der Unterlippe hat sich als klassische Methode der Plastischen Chirurgie ein Jahrhundert behauptet. Genial sind auch seine Operationen zum Ersatz der Wange, besonders jene mit gleichzeitiger Rekonstruktion von Lippe und Nasenflügel ([Abb. 3]).

Abb. 3 Als Direktor des Königlichen Chirurgischen Klinikums. Nach BIOWs Daguerreotyp gezeichnet von Hellwig. Lithografie von C. Fischer.

Bereits 1829 erscheint der erste Teil seines Werkes „Chirurgische Erfahrungen über die Wiederherstellung zerstörter Teile des menschlichen Körpers nach neuen Methoden“. Die damalige chirurgische Welt wurde auf den jungen Berliner Operateur aufmerksam. Später wendet sich Dieffenbach den Lidoperationen zu. Er schreibt dazu: „Die plastischen Operationen an den Augenlidern gehören zu den schwierigsten und subtilsten der operativen Chirurgie. Sie begehren etwas Vollendetes, da die geringste Andersformung die Entstellung nicht behebt.“ So operiert er das damals als unheilbar geltende totale Symblepharon erfolgreich. Als besondere Glanzleistung gelingt Dieffenbach die Rekonstruktion des gänzlich zerstörten Augenlides, wobei die Hautlappenverschiebung eine hervorragende Rolle spielt. Sein Nachfolger, von Langenbeck, äußert dazu: „Die Rekonstruktion durch eine Verschiebeplastik in ihrer allgemeinen Bedeutung und vielfachen Anwendung bei den plastischen Operationen ist unbestritten eine Erfindung Dieffenbachs und würde allein ausreichen, um seinem Namen Unsterblichkeit zu sichern.“

Von den vielen weiteren operativen Methoden Dieffenbachs seien nur noch die zum plastischen Verschluss von Defekten der männlichen Harnröhre und die zur Beseitigung von Verwachsungen der Finger, der Syndaktylie, genannt.

Die Leistungen Dieffenbachs werden zusammenfassend von seinen Schülern Fritze und Reich so gewürdigt: „Ein Genie, das mit der geschicktesten Hand begabt und mit sinnreichsten Erfindungen die Geschichte der Plastischen Chirurgie mit seiner eigenen auf das Glücklichste verband.“

Der 11. November 1847 wurde Dieffenbachs Todestag. Im Auditorium der Klinik hatte er vor einer größeren Zuhörerschaft eben eine Operation vollendet. Erklärungen dazu gebend und den nächsten Kranken erwartend, hatte er auf einem Sofa Platz genommen. Plötzlich fiel sein Kopf zur Seite und Dieffenbach sank leblos zu Boden. Alle Wiederbelebungsversuche im entsetzten Auditorium blieben erfolglos. Dieffenbach war tot.

Interessenkonflikt: Nein

Literatur

Prof. Dr. Dr. med. Fritz-Eduard Müller

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