Aktuelle Neurologie 2007; 34(10): 577-581
DOI: 10.1055/s-2007-986246
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Perspektiven: Neurorehabilitation und restaurative Neurologie

Outlook in NeurorehabilitationH.  Masur1 , W.  Fries2 , V.  Hömberg3 , P.  Reuther4
  • 1Edith-Stein-Klinik, Fachklinik für Neurologische Rehabilitation Bad Bergzabern
  • 2Praxis für neurologische und neuropsychologische Rehabilitation München-Pasing
  • 3St. Mauritius Therapieklinik Meerbusch
  • 4Ambulantes Neurologisches Rehabilitationscentrum Ahrweiler
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Publication Date:
07 December 2007 (online)

Zusammenfassung

Die neurologische Rehabilitation liefert wesentliche Bestandteile der neurologischen Patientenversorgung. Speziell die Erkenntnisse zur Neuroplastizität des Gehirns und deren Umsetzung in neurorestaurativen und adaptativen Interventionen erlaubt zunehmend neurowissenschaftliche fundierte, effektive und evidenzbasierte Therapien. Der Bedarf an Rehabilitation wird durch die Bevölkerungsentwicklung zunehmen, weil die Zahl der chronisch neurologisch Kranken und Behinderten weiter steigen wird. Durchgängige rehaphasenabhängige, stationäre und ambulante Versorgungsstrukturen und alltags- und zielorientiert arbeitende, multiprofessionelle Teams müssen bis in die wohnortnahe Versorgung hinein erreichbar werden. Sektorenübergreifende klinische Behandlungspfade müssen abgestimmt und angewendet werden. Die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahre, die Aufgabenstellung „Reha zur Teilhabe”, die Bestätigung der Rehabilitation als Pflichtleistung der Sozialversicherungen, die Strukturförderung für sektorenübergreifende Versorgungsformen erleichtern die Entwicklung der Neurorehabilitation. Weitere Anreize zu hoher Ergebnisqualität sollten geschaffen werden. Intern und extern muss die Neurorehabilitation ihre Ergebnisse transparent machen und sich einem, an den Reha-Zielen orientierten Benchmarkingprozess unterziehen. Den sozialrechtlichen Paradigmenwechsel von der bislang dominierenden Funktionsbehandlung zur zusätzlichen teilhabeorientierten Reintegrationsbehandlung mit Einbezug des Patienten und seines Lebensrahmens muss von der Neurorehabilitation geleistet werden (community integration). Entsprechende neurologische, neuropsychologische und sozialmedizinische, wohnortnahe (community-based) Reintegrationskonzepte sind bekannt, aber bislang in Deutschland nur sehr begrenzt verfügbar und unzureichend finanziert. Diese Therapieverfahren müssen z. B. nachgehend nach der akuten Schlaganfallversorgung oder in der Versorgung der Schädel-Hirn-Verletzten erreichbar werden. Neurorehabilitation und ambulante Heilmittelanwendung müssen sich inhaltlich und konzeptionell ergänzen und weiterentwickeln, um die Nachhaltigkeit der Versorgung zu sichern. Zur Umsetzung dieser positiven Entwicklungen und der Nachhaltigkeit ihrer Ergebnisse muss die Neurorehabilitation ausreichende, qualitative und quantitative Ressourcen einfordern und erhalten. Zurzeit läuft ein kritischer, ökonomischer Wettbewerb, der die wissenschaftlich und sozialmedizinisch basierte Neurorehabilitation und die Patientenversorgung durch „Reha-Light”-Konzepte gefährdet. Die Leistungserbringer der Neurorehabilitation und die Sozialverwaltungen sollten sich aufgefordert fühlen, den hohen Auftrag des Gesetzgebers an die Rehabilitation wirklich umzusetzen und zu gestalten.

Abstract

Rehabilitation plays a central role in the treatment of neurological diseases. The enormous progress in neurosciences sets a major challenge for restorative neurology. Because of the demographic development in Germany with increasing numbers of old-aged people, also the number of age-related neurological diseases will increase. Thus, inpatient and outpatient neurological rehabilitation facilities must be generally available in order to achieve community integration for those affected. In a shift of paradigms German social laws stipulate now that participation in social life has to be the goal of all rehabilitation efforts rather than functional improvement alone. Correspondingly, new structural option have to be offered. It seems important to implement rational, evidence-based treatment and to adopt known community-based integration strategies in order to meet the high targets set by the official health policy. The current economic competition between rehabilitation suppliers should not undermine these goals by means of a „rehabilitation light”.

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Dr. Dr. med. habil. Paul Reuther

ANR Ahrweiler

Schülzchenstr. 10

53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler

Email: preuther@rz-online.de

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