Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(6): 295
DOI: 10.1055/s-2007-985264
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ärztliche Weiterbildung:Ein sowohl nationales als auch europäisches Thema

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Publication Date:
13 July 2007 (online)

Die deutsche Ärzteschaft ist nun schon zum zweiten Male bei der Europäischen Kommission mit der Ausgestaltung ihrer Weiterbildungsordnung angeeckt und musste Änderungen der nationalen ärztlichen Weiterbildung hinnehmen. Offenkundig gibt es deutliche Missverständnisse über Aufgabe und Verhältnis nationaler Weiterbildungsordnungen für Ärzte zu den mehrfach modifizierten Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zur ärztlichen Weiterbildung. Dies ist umso erstaunlicher, als diese europarechtlich verbindlichen Richtlinien bereits seit dem Jahre 1975, also mehr als 30 Jahre, für die Ärzteschaft in Europa (und den EFTA-Staaten) gültig sind.

Die Ärzte in Europa waren der erste sogenannte „reglementierte” Berufsstand, der europäischen Richtlinien unterworfen wurde. Die Gründe und Regeln, die 1975 die Philosophie der Richtlinie bildeten, haben sich bis heute nicht verändert. Grundgedanke war es, Ärztinnen und Ärzten der Mitgliedsstaaten der EU mit ihren in ihrem Herkunftsland erworbenen Ausbildungs- und Weiterbildungsdiplomen die freie Migration zu ermöglichen, ohne dass diese Diplome an den Staatsgrenzen ihre Gültigkeit verloren hätten, so wie es beispielsweise mit einer deutschen Facharzturkunde in den USA der Fall ist. Es wurden keinerlei inhaltliche Anforderungen an die Weiterbildung gestellt, sondern nur auf die nach nationalem Recht ordnungsgemäß zustande gekommene Urkunde und eine Mindestweiterbildungszeit im als Facharzttitel geführten Gebiet abgestellt.

Diese Beschränkung war und ist sehr weise. Erforderliche Inhalte und das Qualitätsniveau einer ärztlichen Weiterbildung haben einen sehr direkten Bezug zum jeweiligen Gesundheitssystem, in dem ärztlich gearbeitet wird. In einer Gesundheitsversorgung mit einem Primärarztsystem stellen sich andere Anforderungen an Inhalte und Qualität sowohl der „hausärztlichen” als auch der fachärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen als in einem anderen System, in dem bei freier Arztwahl Hausärzte und Fachärzte in einem breiten Bereich konkurrieren.

Die exzessive Verästelung der Gebührenordnung für Ärzte (EBM) ist der in Buchstaben und Zahlen gegossene Ausdruck dieses Sachverhaltes. Selbst geografische Verhältnisse eines Landes und soziokulturelle Umstände haben entscheidenden Einfluss auf die Anforderungen an die Weiterbildung. Es ist etwas anderes im dünnbesiedelten Norden Norwegens ärztlich tätig zu sein und mit der Tatsache leben zu müssen, dass der nächste Facharzt oder gar das nächste Krankenhaus 300 km entfernt sind oder in der Münchener Innenstadt zu praktizieren.

Nationale Ausrichtung der Weiterbildung macht also Sinn. Ebenso macht aber auch die europäische Dimension der Weiterbildung Sinn, sichert sie doch die ärztliche Migration in Europa. Dieser Aspekt, Deutschland den Rücken zu kehren, hat in den letzten Jahren große Bedeutung erlangt. Es gehört wenig visionäres dazu, zu prophezeien, dass sich dieser Trend noch verstärken wird. In Deutschland, in dem es politisches Programm wird, die staatstragenden und diesen Staat alimentierenden Eliten zur Verfolgung freizugeben, brauchen wir die Gewissheit, dass unsere Berufsqualifikationen in vielen anderen Ländern Europas gültig sind. Schon deswegen lohnt es sich, für Europa zu kämpfen.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Flörsheim

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