Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2007; 1(04): 289-308
DOI: 10.1055/s-2007-970825
Störungsübergreifende Themen und Methoden

Grundlagen der Begutachtung psychischer Erkrankungen

Sabrina Weber
,
Frank Schneider
Kernaussagen
  • Im Strafrecht dominiert die Begutachtung der Schuldfähigkeit. Voraussetzungen der aufgehobenen bzw. verminderten Schuldfähigkeit gemäß §§ 20 und 21 StGB sind fehlende bzw. deutlich eingeschränkte Einsichtsfähigkeit und/oder Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt, bedingt durch eine „krankhafte seelische Störung”, eine „tief greifende Bewusstseinsstörung”, „Schwachsinn” oder eine „schwere andere seelische Abartigkeit”.

  • Ein schuldunfähiger Täter kann für seine Tat nicht bestraft werden. Die Täter, die im Sinne der §§ 20 bzw. 21 StGB als schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig gelten und bei denen man nach Gesamtwürdigung ihrer Person und ihrer Tat eine weitere Gefährlichkeit erwartet, können nach den §§ 63 oder 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht werden.

  • Entsprechend der Schuldfähigkeit im Strafrecht kennt das Zivilrecht die Deliktsfähigkeit, die Fähigkeit, für Schädigungsfolgen vorsätzlicher oder fahrlässiger unerlaubter Handlungen zivilrechtliche Verantwortung zu übernehmen und Schadensersatzpflicht zu leisten.

  • Der Ausschluss der freien Willensbestimmung führt neben der Deliktsunfähigkeit auch zur Geschäfts- und Testierunfähigkeit (einer Unterform der Geschäftsfähigkeit). Schwere intellektuelle Beeinträchtigungen, erhebliche kognitive Einbußen und Orientierungsstörungen sowie psychotisches Erleben können zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führen.

  • Die Einrichtung einer Betreuung ist grundsätzlich unabhängig von der Geschäftsfähigkeit/-unfähigkeit dann indiziert, wenn eine Person wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen und sich um die Angelegenheiten ihres Lebens zu kümmern. Die Betreuungsanordnung ist rechtliche Folge einer Einwilligungsunfähigkeit.

  • Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen nach Betreuungsrecht sind grundsätzlich durch das Vormundschaftsgericht genehmigungspflichtig.

  • Während die zivilrechtliche Unterbringung lediglich bei Eigengefährdung indiziert ist, kann eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder auch bei erheblicher Gefährdung bedeutsamer Rechtsgüter Dritter angeordnet werden.

  • Die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit bildet die Grundlage von Renten- und Entschädigungsleistungen. Wie bei jeder Begutachtung muss auch und gerade hier an mögliche Simulationstendenzen und Aggravation gedacht werden.

  • Fahreignung und Fahrtüchtigkeit können durch psychische Erkrankungen, zentral wirksame Arzneimittel und den Konsum anderer psychotroper Substanzen aufgehoben sein.



Publication History

Publication Date:
19 June 2007 (online)

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

 
  • Weiterführende Literatur

  • Cording C, Weig W. Zwischen Zwang und Fürsorge. Die Psychiatriegesetze der deutschen Länder. . Baden-Baden: Deutscher Wissenschafts-Verlag 2003
  • Nedopil N. Forensische Psychiatrie. Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht.. Stuttgart: Thieme 2000
  • Rasch W, Konrad N. Forensische Psychiatrie.. Stuttgart: Kohlhammer 2004
  • Saß H. Affektdelikte.. Nervenarzt 1983; 54: 557-572
  • Schneider F, Frister H. Alkohol und Schuldfähigkeit: Entscheidungshilfen für Ärzte und Juristen.. Berlin: Springer 2002
  • Schneider F, Frister H, Olzen D. Begutachtung psychischer Störungen.. Berlin: Springer 2006
  • Venzlaff U, Förster K. Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen.. München: Urban & Fischer 2004