intensiv 2007; 15(6): 299-300
DOI: 10.1055/s-2007-963083
Literaturkommentar

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„Dekubitus” bei Intensivpatienten: Gibt es neue Hinweise zur Prävention?

Hardy-Thorsten Panknin
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Publication Date:
03 December 2007 (online)

Problemstellung

Zwischen 14 und 42 % aller Intensivpatienten entwickeln im Laufe ihres Aufenthaltes ein Dekubitalulkus, meist in der Steißbein- oder Fersenregion. Aufgrund der gerade bei Beatmungspatienten meist durchgeführten Sedierung und Analgesierung können die Patienten auf Schmerzen im Weichteilgewebe nicht adäquat durch motorische Reflexe reagieren. Als weitere Ursache kommen Durchblutungsstörungen der Haut infolge von Grundkankheiten (z. B. Schockzustand, Diabetes mellitus) hinzu.

In einer aktuellen Literaturübersicht wertete eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von E. de Laat, Krankenschwester und Spezialistin für die Pflege von Dekubitalulzera an der Universitätsklinik von Nijmegen, Holland, die aus der Literatur ableitbaren Risikofaktoren und neueren Präventionsmöglichkeiten für druckbedingte Hautschäden aus. Die Literatursuche umfasste den Zeitraum zwischen 1999 und Mai 2005. Insgesamt konnten 19 Arbeiten identifiziert werden.

Die Prävalenz des Dekubitalulkus bei Intensivpatienten - d. h. das Vorhandensein an einem Stichtag - wurde nur in einer der Studien ermittelt. Danach lag ein Druckschaden aller Ausprägungen (inklusive Grad I) bei 14,4 % der Intensivpatienten, ein Druckschaden Grad II - IV bei 9,1 % der Patienten vor. Die Inzidenz, d. h. das Auftreten bezogen auf die Zeitachse, wurde in 5 Studien dokumentiert: Bei der Verlegung von der Intensivstation hatten zwischen 5,2 und 15 % der Patienten einen Dekubitus entwickelt. 50 - 75 % der Lokalisationen betrafen - wie in früheren Literaturauswertungen - die Steißbeinregion und die Fersen, hinzu kamen jedoch neuerdings auch atypische Lokalisationen wie die Gesichts- und Brustregion. Ulzera in diesen Arealen traten bei Patienten auf, die aufgrund von pulmonalen Problemen für längere Zeiträume auf dem Bauch gelagert wurden.

Eine Studie von Pelosi et al. beschrieb, dass 75 % aller auf dem Bauch gelagerten Intensivpatienten ein Dekubitalulkus im Gesicht, am Thorax, an der Brust, am Knie oder an der Darmbeinschaufel entwickelten. Im Vergleich mit Patienten, die lediglich auf dem Rücken gelagert wurden, war zwar das Risiko, ein Dekubitalulkus zu entwickeln, nicht signifikant höher, nämlich 36,0 versus 27,5 % (p = 0,13). Patienten, die für bestimmte Zeiträume auf dem Bauch gelagert wurden, hatten jedoch eine signifikant höhere Anzahl von Dekubitalulzera (Grad II und höher) als Patienten, die ausschließlich in Rückenlage gepflegt wurden: 2,7 ± 1,7 versus 1,9 ± 1,3.

In 10 Studien wurden die Risiken für Dekubiti im Einzelnen analysiert. Nicht in jeder Studie wurden jedoch die gleichen Risikofaktoren als statistisch signifikant ermittelt. [Tab. 1] gibt daher die Anzahl der Studien an, in denen der jeweilige Risikofaktor bei multivariater Analyse Signifikanz erreichte. Es ist ersichtlich, dass der Schweregrad der Erkrankung des Patienten, eine Therapie mit β-adrenergen Substanzen (Noradrenalin) sowie die Einlieferung als Notfall ein stark erhöhtes Risiko für eine nachfolgende Dekubitalulkusentwicklung darstellten.

Tab. 1 Risikofaktoren für die Dekubitalulkusentstehung bei Intensivpatienten Risikofaktor (Anzahl der Studien) relatives Risiko 95 % Vertrauensbereich p-Wert APACHE-II-Score > 13 (1) 3,4 1,4 - 7,92 0,004 Notfalleinlieferung (1) 36,0 0,23 - 0,77 0,001 Dauer des Intensivaufenthaltes (2) 2,76 1,08 - 7,05 0,034 Therapie mir Noradrenalin (1) 8,11 3,64 - 18,0 < 0,001 Anämie (1) 2,81 1,24 - 6,34 0,013 Tage der Bettlägerigkeit (1) 1,05 0 - 0,02 0,006 fäkale Inkontinenz (1) 3,27 1,32 - 8,30 0,01 Alter des Patienten (1) 1,08 0 - 0,01 0,003 Koma/tiefe Sedierung (1) keine Angabe keine Angabe < 0,001

Hinsichtlich der Präventionsmöglichkeiten ließ sich aus den Studien entnehmen, dass die klassische Regel, wonach Patienten mit Dekubitusrisiko alle 2 Stunden gedreht werden sollen, nach wie vor von allen Autoren als gültig anerkannt wird. Bemerkenswert war jedoch das Ergebnis der in einigen Studien untersuchten realen Pflegepraxis: In einer Fragebogenstudie antworteten 83 % der Befragten, dass eine Umlagerung alle 2 Stunden zwar nach wie vor pflegerischer Standard sei, 57 % gaben jedoch an, dass nur bei maximal 50 % der Patienten ihrer Einheit eine solche Umlagerung zu den vorgegebenen Zeiten auch wirklich durchgeführt wurde. In der gleichen Studie wurden 74 Intensivpatienten über insgesamt 566 Stunden beobachtet. Die Ergebnisse sind in [Tab. 2] dargestellt.

Tab. 2 Umlagerungsfrequenz in der Realität (nach Krishnagopalan S et al. Crit Care Med 2002; 30: 2588 - 2592) Umlagerungshäufigkeit Anteil der Patienten ≤ 2 Stunden 2/74 (2,7 %) > 2 - 4 Stunden 17/74 (23 %) > 4 - 8 Stunden 38/74 (51 %) > 8 Stunden 17/74 (23 %)

Diese Beobachtungen werden durch eine holländische Studie gestützt, aus der hervorgeht, dass 37 % der Patienten nicht nach dem vorgegebenen Pflegestandard gedreht wurden.

In der Literatur wurden auch 2 neue Präventionsmöglichkeiten für Patienten, die in Bauchlage behandelt werden, vorgestellt. Zum einen eine weiche Gesichtsunterlage, die in einer kleinen randomisierten Studie die Häufigkeit von Gesichtsulzera signifikant reduzierte, zum anderen weiche Beatmungsmasken für die CPAP-Beatmung. Diese Masken sind mit einer Schaumstoffunterpolsterung im Bereich des Naseneingangs versehen, wodurch zum einen die Maske besser abgedichtet, andererseits die Druckbelastung der Oberlippe vermindert wird. Auch dieser Effekt ließ sich in einer kleinen randomisierten Studie statistisch absichern.

Literatur

  • 1 Laat de E HEW. et al . Epidemiology, risk and prevention of pressure ulcers in critically ill patients: a literature review.  J Wound Care. 2006;  15 1-7

Hardy-Thorsten Panknin

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