Geburtshilfe Frauenheilkd 1997; 57(9): 500-509
DOI: 10.1055/s-2007-1023126
Geburtshilfe: Komplikationen und Strategien

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geburtshilfliche Besonderheiten höhergradiger Mehrlinge - Fluch oder mehrfacher Segen?

Special Features in Obstetrics of Multifetal Gestation - Doom or Multiple Blessing?A. Strauss1 , R. Knitza1 , M. Ott1 , O. Genzel-Boroviczény2 , H. Versmold3 , H. Hepp1
  • 1Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München (Direktor: Prof. Dr. Hermann Hepp)
  • 2Neonatologie, Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Andreas Schulze)
  • 3Kinderklinik Benjamin Franklin Universitätsklinikum der Freien Universität Berlin (Direktor: Prof. Dr. Hans Versmold)
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Publication Date:
17 June 2008 (online)

Zusammenfassung

Hellins Hypothese der Häufigkeit von Mehrlingsschwangerschaften wurde in den vergangenen 15 Jahren durch die Verbreitung der Reproduktionsmedizin außer Kraft gesetzt. Folgerichtig beanspruchen (induzierte) höhergradige Mehrlinge in zunehmendem Maße geburtshilfliche Aufmerksamkeit. Am fetal outcome von 81 höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften, entbunden an der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Klinikum Großhadern vom 1.1.1980 bis 30.6.1995, läßt sich sowohl das Risiko, als auch der überwiegend positive Ausgang derartiger Extremschwangerschaften unter dem beschriebenen Betreuungsregime erkennen. Nach einer im Mittel jeweils 221 (31 +4 SSW), 213 (30 + 3 SSW) und 200 (28 + 4 SSW) Tagen dauernden Schwangerschaft wurden die Drillinge mit durchschnittlich 1400 g, die Vierlinge und Fünflinge mit 1100 g bzw. 1080 g Geburtsgewicht entbunden. Die Überlebensrate der Drillinge betrug 96,4% (188/195), wobei 70% (137/195) die Klinik ohne gesundheitlichen Schaden verlassen konnten. Im Vier- bzw. Fünflingskollektiv überlebten 98,1 % (51/52) und 80% (12/15). Ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit blieben 67% (35/52) der Vierlings- und 53% (8/15) der Fünflingskinder. Atemnotsyndrom, intrazerebrale Blutung, Frühgeborenenretinopathie, persistierender Ductus arteriosus, nekrotisierende Enterokolitis, Pneumothorax und Hydrozephalus waren die führenden neonatalen Morbiditätsursachen. Schwerwiegende neurologische Auffälligkeiten im Sinne allgemeiner Entwicklungsretardierung bzw. Zerebralparese waren bei 4 (6%) respektive 5 (8%) Vier/Fünflingen zu beklagen. Gesundheitsschaden wie auch Letalität zeigten eine deutliche Assoziation zu Gestationswochen < 30 und unterschieden sich weder im Verteilungsmuster, noch in Frequenz entscheidend vom Vergleichskollektiv frühgeborener Ein- und Zwillige gleichen Gestationsalters und Betreuungsregimes. Einschneidende prognostische Diskriminationskriterien ergeben sich hinsichtlich der Anzahl der Feten zwischen 4 und 5 und der Tragzeit dies- bzw. jenseits 210 Tage (30 + 0 SSW). Die Analyse der Familienzugehörigkeit verstorbener oder gesundheitlich geschädigter Kinder ernüchtert mit einer Bilanz von 49% (32/65), 62% (8/13) und 67% (2/3) betroffener Drillings-, Vierlings- und Fünflingselternpaaren.

Vor der abgeschlossenen 32. SSW sind vorwiegend fetale Entbindungsgründe einem zunehmenden Überwiegen maternaler Probleme nach diesem Gestationsalter gegenüberzustellen. Hinzu kommt der meist problemarme postpartale Verlauf an einem Perinatalzentrum nach der 32. SSW geborener höhergradiger Mehrlinge. Aus dem vorgelegten Zahlenmaterial und logistischen Überlegungen empfiehlt sich daher eine dem Einzelfall individuell angepaßte, nach Erreichen der genannten Gestationswoche jedoch großzügige Indikationsstellung zur Schnittentbindung.

Abstract

Through modern reproductive techniques Hellin's rule, approximating multiple births, is no longer applicable. Consequently perinatal centres have been facing an increasing number of multifoetal pregnancies during the last 15 years. The foetal outcome of 81 multifoetal pregnancies, delivered between January 1, 1980 and June 30, 1995 at the Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Klinikum Grosshadern, Munich, Germany, illustrates both the risk as well as the chance for healthy survival under the applied management protocol. Mean gestational ages at delivery were 221 days (31+4 weeks) for triplets, 213 days (30 + 3 weeks) for quadruplets and 200 days (28 + 4 weeks) for quintuplets, mean birth weight was 1400 g, 1100 g and 1080 g respectively. 96.4% of the triplets survived (188/195), 70% (137/195) could be discharged home without medical problems. 98.1 % (51/52) of the quadruplets and 80% (12/15) of the quintuplets survived, 67% (35/52) and 53% (8/15) respectively without health impairment. Respiratory distress syndrome, intracranial hemorrhage, retinopathy of prematurity, persistent Ductus arteriosus, necrotising enterocolitis and hydrocephalus are primary causes of neonatal morbidity. Serious neurological sequels such as developmental retardation and cerebral palsy were noted in 4 (6%) and 5 (8%) of the quadruplets and quintuplets. Health impairment and mortality show a clear association to gestational age under 30 weeks but do not differ significantly in frequency or distribution from single or twin neonates of equal gestational age and management. A threshold regarding prognosis seems to be the number of foetuses 4 versus 5 and the gestational age before or after 210 days (30 weeks). Before 32 weeks of gestation the indication for delivery was most often due to foetal problems. With progressing duration of pregnancy the risk for maternal complications rises and may warrant termination of pregnancy in the face of a usually uncomplicated postnatal course of foetuses born after 32 weeks of gestation at a perinatal centre. The presented data suggest that an individually adapted, liberal indication for delivery by caesarean section after 32 weeks is the safest management scheme for mother and foetuses.

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