Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2007; 2(6): 62-63
DOI: 10.1055/s-2007-1013669
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Im Gespräch
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Das Kreuz mit dem Kreuz. Nicht schonen, sondern stärken

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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Werner Kieser im Gespräch mit DHZ-Schriftleiter Siegfried Kämper

In vielen Naturheilpraxen finden sich Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Für die Therapie dieser Beschwerden stehen Heilpraktikern viele Behandlungsverfahren zur Verfügung, die häufig in erstaunlich kurzer Zeit gute Ergebnisse zeigen. Allerdings ist hierbei immer wieder zu beobachten, dass Patienten nicht zuletzt wegen einer zu schwachen Rückenmuskulatur bald wieder einen „Rückfall” erleiden. Das Kieser Training ist hierbei eine Möglichkeit, den Patienten an ein gesundheitsorientiertes Training heranzuführen, das ihm dauerhaft zu einer Beschwerdebesserung verhilft. Werner Kieser, Gründer dieses inzwischen marktführenden Unternehmens auf dem Gebiet des gesundheitsorientierten Krafttrainings, verrät uns Hintergründe seines Trainingskonzeptes.

Welcher Gedanke liegt Ihrer Trainingsmethode zugrunde?

Der Grundgedanke ist der, dass der Mensch am Widerstand wächst. Ab dem 25. Lebensjahr verlieren wir - insbesondere aufgrund körperlicher Passivität und mangelndem Widerstand - stetig an Muskelmasse. Stattdessen ersetzen Binde- und Fettgewebe die Muskulatur. Die Folgen: Verspannungen, Fehlhaltungen, Rückenbeschwerden, Bandscheibenprobleme, Osteoporose oder Stoffwechselerkrankungen wie Hypertonie, Hyperlipidämie, Adipositas sowie Diabetes mellitus Typ 2. Mit einem systematischen, ausgewogenen Muskelaufbau kann man solche Beschwerden therapeutisch behandeln oder ihnen vorbeugen. Zudem werden mit dem Training unausgewogene Kräfteverhältnisse der Muskeln, sog. intermuskuläre Dysbalancen, korrigiert.

Lassen Sie mich an einer synergistischen muskulären Dysbalance die Statikveränderungen erklären: Evolutionsbedingt ist unsere Glutealmuskulatur wesentlich stärker als die Lumbalextensoren. Beide Muskelgruppen arbeiten in einer Schlinge, in der die Gesäßmuskeln die Rückenstrecker tendenziell entlasten. Diese Entlastung fördert deren Kraftverlust, der schließlich zu chronischen Rückenbeschwerden führen kann. Kieser Training bewirkt einen gezielten Muskelaufbau der Rückenstrecker und der autochthonen Muskulatur der Wirbelsäule. Hier werden Kraftzuwächse bis zu 400 Prozent erzielt.

Während beim Sport oder bei der Gymnastik lediglich Ausschnitte aus der Gelenkamplitude überschwellig belastet und damit trainiert werden, bewirken unsere Geräte eine Kräftigung von der vollständigen Dehnung bis in die komplette Kontraktion. Damit wird auch die sogenannte „Kraftkurve” der Muskeln korrigiert. Die Kraftkurve ergibt sich aus den unterschiedlichen Kräften in den verschiedenen Gelenkwinkeln. Durch unsere alltägliche Arbeit und v. a. durch Sport verändert sich diese natürliche Kraftkurve. So wird etwa ein Wasserskifahrer seine Kraft der Rückenstrecker in der Lordose entwickeln, derweil sie in der gedehnten Position, in der sie am stärksten sein sollten, verkümmern.

Was geschieht mit dieser Kraft nach Ende des Kieser Trainings?

Im Normalfall bildet sich die Kraft ohne regelmäßiges Training wieder zurück. Im Falle der Rückenstrecker jedoch stellten wir fest, dass die Kraft fünf Monate nach Abschluss der Therapie noch fast unverändert vorhanden war und parallel dazu die Schmerzfreiheit.

Abb. 1 Herr Kieser im Gespräch mit Herrn Kämper.

Wie erklären Sie sich das?

Ich gehe davon aus, dass die nunmehr kräftigen Rückenstrecker eine Veränderung des Bewegungsmodus bewirkten; sie werden jetzt eingesetzt und damit bleibt die Kraft erhalten. Denn letztlich bewegen wir uns unseren Kraftverhältnissen entsprechend.

Welche Besonderheiten weist Ihre Trainingsmethode gegenüber konventionellen Verfahren auf?

Ohne jetzt jemandem zu nahe treten zu wollen, möchte ich mir den saloppen Satz erlauben: Fitness ist Astrologie, Kieser Training ist Astronomie. Beim Fitnesstraining ist das Ziel, eine rasche Veränderung der körperlichen Erscheinung herbeizuführen. Dadurch werden lediglich jene Muskeln ins Visier genommen, die spektakulär sind, z. B. Beine, Bauch und Po. Aus gesundheitlicher Sicht sind jedoch andere, zum Teil tiefer liegende Muskeln wichtiger und sollten vorrangig trainiert werden, wie Rückenstrecker, Rotatorenmanschetten oder die Nackenmuskulatur.

Können Sie den Unterschied zu anderen Geräten verdeutlichen?

Zur ausgewogenen Kräftigung stehen bei uns unterschiedliche Exercise- und zwei Medical-Maschinen zur Verfügung. Die von uns hergestellten Trainingsmaschinen erfüllen alle Anforderungen eines dynamischen, konzentrisch-exzentrischen Krafttrainings mit variablem Widerstand. Die Maschinen werden individuell auf den Kunden eingestellt, ermöglichen ein nahezu isoliertes Training der Muskeln über den gesamten physiologischen Bewegungsumfang und erlauben eine exakte Dosierung des Gewichts. Alle Eingelenkübungen verfügen über einen Excenter, der den Widerstand der Hebelwirkung der Muskeln anpasst. Dies ermöglicht ein effektives Training bei gleichzeitig größter Ausnutzung des Kraftpotenzials.

Wie viel Zeit muss man aufwenden, um effizient Muskulatur aufzubauen, diese zu halten und chronische Rückenschmerzen günstig zu beeinflussen?

In der Regel reicht es, zweimal wöchentlich 30 Minuten zu trainieren. Acht bis zehn Übungen genügen, denn jede Übung wird bis zur vollständigen lokalen Erschöpfung der angesteuerten Muskulatur ausgeführt. Richtig ist ein Gewicht, das etwa 60 Sekunden Übungsdauer erlaubt. Sobald 90 Sekunden möglich geworden sind, muss das Gewicht um ca. 5 Prozent erhöht werden.

In Ihren Studios finden sich keine Geräte, mit denen aktiv die Ausdauer trainiert werden kann?

Warum weigern Sie sich so konsequent dagegen?

Der für das Krafttraining erforderliche hohe Adrenalinspiegel hält etwa 30 bis 40 Minuten vor. Wer richtig trainiert, ist froh, wenn es vorbei ist. Ein Ausdauertraining danach ist weder möglich noch sinnvoll. Aber auch unmittelbar vor dem Krafttraining würde es die Energie aufbrauchen, die für das Krafttraining benötigt wird. Mit einigen Stunden Abstand kann ein Ausdauertraining jedoch problemlos durchgeführt werden. Im Gegensatz zum Training des Bewegungsapparates ist dazu aber keine Technologie notwendig. Alles, was man dazu benötigt, ist frische Luft. Zudem ist ein Kreislaufeffekt beim Kieser Training zwar nicht beabsichtigt, findet aber statt, wie neue Studien zeigen.

Ihr Training sieht kein separates Dehnen und Aufwärmen vor, wie man es aus anderen sportlichen Programmen kennt. Wie begründen Sie das?

Dehnen ist an den Geräten inklusive; d. h. das Gewicht der Maschine dehnt ausreichend. Der natürliche Dehnungswinkel ist in der maximalen Kontraktion des Antagonisten erreicht. Wenn beispielsweise der Bizeps die maximale Kontraktion erreicht hat, ist der maximale Dehnungswinkel und -effekt für den Trizeps geschaffen.

Auch das oft propagierte „Aufwärmen” ist bei Kieser Training nicht notwendig. Für die einzelnen Muskeln erfolgt ein separater Aufwärmeffekt an den Maschinen und macht ca. 90 Prozent der Trainingszeit aus. Ein spezielles Aufwärmen vorab wäre für diese Trainingsform sogar eher kontraproduktiv. Die langsamen Bewegungen unter vollständiger Drosselung der Blutzufuhr führen zu einem raschen Ansteigen der Kerntemperatur im Muskel, was zur vorzeitigen Beendigung der Übung führen kann, bevor die ATP-Reserven erschöpft sind.

Man trifft vereinzelt auf Patienten, denen mit der Medizinischen Kräftigungstherapie nicht geholfen werden konnte. Welche Ursachen haben Sie dafür bisher erkennen können?

Die Ergebnisse einer aktuellen Studie unserer hauseigenen Forschungsabteilung belegen, dass die Medizinische Kräftigungstherapie bei acht von zehn Rückenschmerzpatienten zur Schmerzfreiheit führt. Handelt es sich allerdings nicht um muskuläre Defizite, können etwa Stoffwechselstörungen oder innere Erkrankungen für die Beschwerden verantwortlich sein.

Haben Sie sich mit dem Problem der statischen Fehlhaltung (scheinbar kürzeres Bein, Beckenschiefstand) auseinandergesetzt?

Ich gehe zwar grundsätzlich davon aus, dass eine Fehlstatik aus einer asymmetrisch entwickelten Muskulatur, eben durch muskuläre Dysbalancen entsteht. Das Muskelkrafttraining sorgt meiner Meinung nach dafür, dass die Fehlstatik durch einen Ausgleich der Kräfte korrigiert wird. Ich bin mir aber auch bewusst, dass Wirbelgelenkblockaden nicht immer auf diese Weise gelöst werden können.

Abb. 2 Herr Kieser erläutert die Funktionsweise eines Geräts.

Wäre es nicht für Sie interessant, mit uns Heilpraktikern eine Zusammenarbeit anzustreben?

Für uns ist der Austausch mit wissenschaftlichen Zentren und anderen Kooperationspartnern grundsätzlich interessant. So arbeiten wir bereits mit vielen Orthopäden zusammen, und auch der Austausch mit Heilpraktikern könnte befruchtend sein. Grundsätzlich muss es im Sinne des Patienten darum gehen, dessen Statik wieder ins Lot zu bringen. Ich würde mich freuen, wenn Heilpraktiker Kieser Training einmal selbst testen und dann entscheiden, ob und in welcher Form eine Zusammenarbeit gewünscht wird. Der Hugendubel Verlag vertreibt aber auch ein Kartenset über Kieser Training, das Heilpraktikern die Möglichkeit gibt, ihren Patienten gezielt Kräftigungs-Übungen zu empfehlen.

Herr Kieser, ich danke Ihnen für das sehr aufschlussreiche und informative Gespräch!

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