Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(11): 503
DOI: 10.1055/s-2007-1011418
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Furcht als Therapiestrategie?

Ulrich Rendenbach, Katrin Große
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Publication Date:
05 December 2007 (online)

Wie oft entfahren dem Hausarzt im Gespräch mit seinen Patienten Appelle und Aussagen bezüglich dessen Körper wie: „Wenn Sie so weitermachen wie bisher, dann kann Ihnen am Ende keiner mehr helfen”, oder schlimmer noch: „Wenn Sie nicht mit dem Rauchen aufhören, dann muss das Bein irgendwann amputiert werden!” Appelle im Sinne von „wenn du das nicht so und so machst, wirst du bestraft, hat dein Verhalten ,böse Folgen' für deinen Körper und dein Leben und dann hast du das auch noch mit zu verantworten”. Gefühle wie Schuld und Scham, aber vor allem Angst und Furcht kommen somit ins Spiel, ja sollen den Patienten helfen, gewisses „schädliches” Verhalten einzustellen oder gar nicht erst zu entwickeln. Präventionsprogramme und DMP bedienen sich auch meist eines solchen „Furchtappells”. Inwiefern diese emotionsbehafteten Appelle beim Patienten die gewünschte Wirkung zeigen, ist fraglich, zumal das subjektive (Wohl)befinden weit vom ärztlich beobachteten Erkrankungsstatus entfernt sein kann. Warum soll er Antihypertensiva einnehmen, da er sich doch wohl fühlt. Trifft der Schlag einen Freund, jemanden aus der Familie, ist er vielleicht für einen Moment sensibilisiert, reflektiert das eigene Verhalten. Meist jedoch lebt er mit seiner eigenen Überzeugung und individuellen Risikoeinschätzung im alten Trott weiter. Heute gut gelebt, was soll schon morgen sein? Da hat er alles für seine Gesundheit getan und wird vom Auto überfahren! Es scheint, je intensiver, ja brutaler ein „Furchtappell” eingesetzt wird, desto weniger glaubhaft wird er. Ändert der Patient seine Meinung, seine Haltung, seine Einstellung, ja seinen Glauben? Kompensatorische Mechanismen scheinen einen „Einstellungswechsel” zu verhindern. Einerseits lässt sich ein üppiger Weihnachtsschmaus mit zünftiger sportlicher Aktivität kompensieren; andererseits lässt sich dies auch auf gedanklicher Ebene steuern: Ich bin zwar zu dick, rauche und trinke dafür aber nicht!

Erklärungen sind unabdingbar, müssen aber von der Norm abweichende Messergebnisse in einer Ermahnung oder Drohung gipfeln? Beim Patienten ruft das eher Widerstand und Trotz hervor, erinnern ihn die Zurechtweisungen an unliebsame Erfahrungen mit Autoritäten aus der Kind- und Jugendzeit. Der Mensch lernt in seiner Umgebung, von seinen Eltern, in der Gesellschaft, wie er zu leben hat. Wird aus ihm ein Patient, soll er jahrelang eingefahrenes Verhalten ändern. Er soll gegen seine Gewohnheit „gesünder leben”. Der Hausarzt soll helfen, auch wenn seine Appelle wirkungslos verklungen sind. Seine Mahnungen wurden ja verstanden. Der Mensch will, ja muss sich gut fühlen. Verstand, Emotionen und unbewusster Antrieb konkurrieren und manch einer denkt, sein Verstand habe gewonnen. Aber er benutzt diesen wohl eher, um nachträglich seine Handlungen zu rechtfertigen. Schließlich kann der Patient doch immer noch sein Leben ändern, wenn er selbst merkt, dass etwas nicht stimmt. Schließlich ist er ein mündiger Patient und ein pflichtbewusster Mensch, welcher naheliegende Aufgaben zuerst erledigt, um seinen Körper kann er sich später sorgen.

Es liegt fern, hier den Patienten zu skizzieren beziehungsweise eine Art „Patiententypologie” zu entwerfen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie ein Hausarzt seine Information, seine Botschaft dem Patienten darbietet und ob mit einer gewissen „Abschreckung” und „Furchteinflößen” nicht gerade das Gegenteil provoziert wird. Wird dann das bisherige Verhalten nicht geändert, verbleibt als Wirkung nur ein schlechtes Gewissen. Furchtappelle sind zwar ein bedeutsamer Aspekt präventiver Kampagnen, verfehlen aber fast regelhaft die beabsichtigte Wirkung.

Dr. med. Ulrich Rendenbach

Selbständige Abteilung für Allgemeinmedizin, Universität

Leipzig

Dipl.-Psych. Katrin Große

UniversitätsSchmerzCentrum,

Dresden

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