Fortschr Neurol Psychiatr 1986; 54(4): 106-118
DOI: 10.1055/s-2007-1001857
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine regionale Prospektivstudie psychischer Folgeerscheinungen der Notlagenabruptio*

A Regional Prospective Study of Psychical Sequelae to Legalized AbortionW.  Barnett , N.  Freudenberg , R.  Wille
  • Sexualmedizinische Forschungs- und Beratungsstelle der Christian-Albrechts-Universität Kiel
*Die Autoren danken den Herren Dr. Grillmaier, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Dr. Piepgras und Direktor Schüttrumpf. beide Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein, für die Sonderauszählungen der im Erhebungszeitraum für Kiel gemeldeten und abgerechneten Schwangerschaftsabbrüche sowie allen in Kiel niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten für Gynäkologie für ihre bereitwillige Unterstützung.
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Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

117 (45 %) of the 263 women of German nationality who underwent socially indicated abortions in the postal-code area 2300 (Kiel) in the first quarter of 1982 were investigated before the abortion as well as one year later. As far as age; marital status and number of children were concerned, these women did not differ significantly from the other 55 %.

One year later information was collected on the women's emotional adjustment by means of a questionnaire concerning feelings of guilt and loss, personal reports of adjustment process and the investigator's judgement. According to the findings, 79 % of the women had adjusted without any problems, 14 % were still in a state of emotional imbalance, 7 % were clearly impaired emotionally and in their everydays functioning.

21 % of the women, who had adjustment problems, had already been more depressive before the abortion. One year later, they were also more depressive than the other women, more dissatisfied with their lives in general and with their sex lives. They were in greater doubt as to whether they had made the right decision, showed less inclination to consider a further abortion and reported stronger post-abortive feelings of guilt.

Significantly connected with later emotional difficulties were low social class, a difficult financial situation, lack of intrapsychic differentation between sex and reproduction, no partner or negative relation with partner and partner disagreements, particularly in the case where the male partner was more in favour of abortion than the woman. Statistically insignificant, although tendencially noticable were social isolation, non-employment and pre-pregnancy psychical problems. Age, marital status, number of children, simultaneous abortion / sterilisation, previous abortions, a broken home in the patient's youth had no effect on the emotional adjustment after the abortion.

The common factor of all variables predicting post-abortive emotional problems seems to be an external motivation for abortion together with a greater ambivalence towards the pregnancy

Zusammenfassung

Von allen 263 Frauen deutscher Nationalität, bei denen im 1. Quartal 1982 im Postleitzahlbereich 2300 (Kiel), eine Notlagenabruptio durchgeführt wurde, wurden 117 (45 %) vor und 1 Jahr nach der Abruptio untersucht. Hinsichtlich Alter, Familienstand und Kinderzahl unterschieden sie sich statistisch nicht signifikant von den übrigen 55 %.

Die seelische Bewältigung ein Jahr nach der Abruptio wurde mittels eines Fragebogens über Strafängste, Verlust- und Schuldgefühle, der subjektiven Schilderung des Verarbeitungsprozesses und des Untersucherurteils erhoben. Danach hatten 79 % der Frauen die Abruptio unproblematisch verarbeitet, 14 % hatten ihr seelisches Gleichgewicht noch nicht wiedererlangt, ohne jedoch in ihren Alltagsaktivitäten beeinträchtigt zu sein, und 7 % zeigten eine deutliche, auch die Alltagsaktivitäten einschränkende Beeinträchtigung.

Die 21 % mit Bewältigungsschwierigkeiten waren bereits präabortiv depressiver als die Unbeeinträchtigten. Ein Jahr nach der Abruptio waren sie ebenfalls signifikant depressiver, unzufriedener mit ihrer Lebenssituation und ihrem Sexualleben. Sie zweifelten stärker an der Richtigkeit ihrer damaligen Entscheidung, zeigten eine geringere Bereitschaft zu einer erneuten Abruptio und berichteten über stärkere postabortive Schuldgefühle.

Signifikant häufiger mit späteren emotionalen Schwierigkeiten verbunden waren Unterschichtszugehörigkeit, finanzielle Schwierigkeiten, fehlende intrapsychische Trennung von Sexualität und Fortpflanzung, keine oder schlechte Partnerbeziehung sowie partnerschaftliche Dissonanzen, vor allem ein stärker als die Frau zur Abruptio tendierender männlicher Partner.

Statistisch nicht signifikant, jedoch in der Tendenz erkennbar mit pöstabortiven seelischen Problemen verbunden waren soziale Isolation, fehlende Berufstätigkeit und prägravide psychische Auffälligkeit. Keinen Einfluß hatten Alter, Familienstand, Kinderzahl, gleichzeitig mit der Abruptio durchgeführte Sterilisation, vorangegangene Schwangerschaftsabbrüche und ein nicht intaktes Elternhaus in der Jugend der Patientin.

Allen Risikofaktoren gemeinsam scheint eine in ungünstigen äußeren Umständen begründete Motivation zur Abruptio bei größerer Ambivalenz gegenüber der Schwangerschaft zu sein.

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