ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2006; 115(12): 546
DOI: 10.1055/s-2006-960157
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hat die herkömmliche prothetische Versorgung neben der Implantologie noch eine Zukunft?

Michael Walter
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Publication Date:
19 December 2006 (online)

Betrachtet man die Themen zahnärztlicher Kongresse, könnte man meinen, die prothetische Versorgung mit herkömmlichen Mitteln würde zunehmend an Bedeutung verlieren und vielleicht sogar den Charakter einer Sozialvariante annehmen. Eine solche Wahrnehmung bildet die Realität der durchschnittlichen deutschen Zahnarztpraxis jedoch nur unzureichend ab. Sie entspricht auch nur teilweise unserer aktuellen Wissensbasis und wird einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung nicht gerecht.

Rufen wir uns die Aufgaben prothetischer Therapie ins Gedächtnis. Im Selbstverständnis der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde heißt es beispielsweise: „Im Vordergrund steht ein patientenzentrierter, präventiver, auf Gesundheitsnutzen ausgerichteter Ansatz. Dieser wird ganzheitlich verstanden, zielt auf den Erhalt oraler Strukturen ab und bezieht die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität ausdrücklich ein.” Mehrdimensional begründete, patientenbezogene Entscheidungen haben oberste Priorität. Dabei sind Implantate nicht mehr wegzudenken. Wir sind in der Prothetik allerdings in der glücklichen Lage, der Implantatversorgung bezüglich der Lebenserwartung durchaus ebenbürtige Alternativen gegenüberstellen zu können. So sind Brücken mit hohen Langzeitüberlebensraten bestens dokumentiert. Langzeitdaten auf so breiter Basis sind für Implantatversorgungen - naturgemäß - noch nicht verfügbar. Stereotype, dogmatische Empfehlungen und Planungen sollten daher vermieden werden.

Ein gutes Beispiel ist die verkürzte Zahnreihe. Bei einigen Patienten wird das Belassen oder der Aufbau einer Prämolarenokklusion dem Setzen von posterioren Implantaten bei sorgfältiger Bewertung von Risiko und Nutzen vorzuziehen sein. Das heißt natürlich nicht, dass man bei bestehender medizinischer Indikation und subjektivem Bedarf nicht bis zum zweiten Molaren implantieren sollte. Es heißt aber, bei geringer subjektiver Beeinträchtigung und ungünstigen Voraussetzungen für Implantate auch guten Gewissens auf eine Versorgung verzichten oder begrenzte Therapieziele mit herkömmlichen (festsitzenden) Mitteln anstreben zu können. Die wissenschaftliche Grundlage dafür wurde aktuell in einer Publikation von Kanno und Carlsson sehr eingehend beschrieben (J Oral Rehabil 2006; 33: 850-862). In bestimmten Fällen wird bei verkürzter Zahnreihe auch nach wie vor die abnehmbare Teilprothese Mittel der ersten Wahl sein.

Im zahnlosen Unterkiefer gilt die implantatgestützte Deckprothese seit dem McGill-Konsensus als Standardbehandlung. Trotzdem wird auch in Zukunft eine erhebliche Zahl von Patienten mit einfachen Totalprothesen zu versorgen sein. Die Prävalenz der Zahnlosigkeit nimmt nur langsam ab, während das Durchschnittsalter der Betroffenen steigt. In dieser Klientel werden im Unterkiefer neben einfachen Implantatkonstruktionen Totalprothesen vorherrschen. Im Oberkiefer wird die Totalprothese vermutlich sehr deutlich überwiegen.

Fazit: Der medizinische Fortschritt ist nicht aufzuhalten - und das ist gut so. Implantate helfen uns beim Erreichen unseres Zieles einer bestmöglichen mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Wir können in der Prothetik aber weiterhin auf traditionelle, langzeitbewährte Therapiemittel aus rein medizinischen oder auch aus finanziellen Erwägungen zurückgreifen und aus einem großen Spektrum wählen. Diese Wahl sollte keine Qual sein, sondern dazu genutzt werden, bei der Therapieentscheidung „aus dem Vollen zu schöpfen” und noch besser auf den Patienten einzugehen.

Prof. Michael Walter

Dresden

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