Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2006; 1(4): 90
DOI: 10.1055/s-2006-954052
DHZ | magazin
Auch das noch ...
© Sonntag Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Da wirbelt die Säule - Anfänge der Chiropraktik im Kamasutra?

Siegfried Kämper
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 February 2007 (online)

Geschwängert durch die vielen positiven Eindrücke, welche die Traditionelle Chinesische Medizin bei mir hinterließ, konnte ich nicht glauben, dass die Chiropraktik wirklich erst vom amerikanischen Heilpraktiker D. D. Palmer - Fans von Dr. A. T. Still mögen mir verzeihen - „erfunden” worden sein sollte. Palmer reponierte bekanntlich seinem schwerhörigen Hausmeister durch einen Druck auf die richtige Stelle den Halswirbel so geschickt, dass mit Knack, Ruck und geheiltem Gehör die moderne Chiropraktik geboren war.

So forschte ich nach den Anfängen der chiropraktischen Behandlung bei alten TCM-Meistern. Doch enttäuscht musste ich bei meiner Recherche feststellen, dass die Chinesen der Antike so prüde waren, dass es schon unvorstellbar war, den nackten Körper einer Frau zu untersuchen, weshalb man unter Würdigung der Schamgefühle die Puls-, Zungen- und Augendiagnose erfand. Dass bei derartiger Keuschheit keine Anfänge der heute geübten Chiropraktik herauskommen konnten, die zum Teil doch sehr auf „Tuchfühlung” und Körperkontakt basiert, wurde mir schnell klar.

Ich suchte weiter südwestlich in Richtung Indien, wo die körperliche Berührung bekanntlich einen hohen Kultstatus genoss. Bei einem Round-Table-Fachgespräch in einem Gelsenkirchener Brauhaus ist als möglicher Quell für therapeutische Körperübungen gleich das Kamasutra in die Diskussion gekommen. Leider besaß die Gesprächsrunde - bestehend aus einem Verbandspräsidenten, einem Experten der TCM und meiner Wenigkeit - nur sehr oberflächliches Fachwissen auf Stammtischniveau, und es wurde schnell klar, dass Fachliteratur beschafft werden musste.

Meine erste Backpfeife im Dienste der Wissenschaft fing ich mir allerdings ein, als ich mit dem Kamasutra (Bildband versteht sich) nach Hause kam und meine liebe Frau offensichtlich dachte, ich wolle unser Liebesleben mit Akrobatik auffrischen bzw. mir heimlich eine Erotikbibliothek aufbauen. Ein weiteres Mal erstaunte mich meine liebe Frau, als ich feststellen musste, dass sie weit besser über die Inhalte und Techniken Bescheid wusste, als mir lieb war.

Ganz naiv ging ich schließlich davon aus, dass die auf den ersten Blick unbequemen Stellungen doch sicherlich eher einer Reposition von Wirbelgelenkblockaden dienen könnten als einem Liebesakt. Der Name des Werkes, nämlich „Kama” (sinnliche Lust als Lebensziel) und „Sutra” (Sammelwerk von Lehrsätzen) steht schließlich einer vollen und schmerzfreien Beweglichkeit der Wirbelsäule in keiner Weise entgegen.

Fazit meiner Recherche: Mallanaga aus der Sippe der Vatsyayanas (vermutlich ein berühmter Yogi) verfasste zwischen 400 - 200 vor Christus das Werk, welches die Liebeslehre in Sinnsprüche fasste. Nur einer der sieben Abschnitte beschäftigt sich dabei ausschließlich mit dem Liebesakt! Die anderen lehren Verhaltensweisen, die auf allen Gebieten des menschlichen Lebens zur Anwendung kommen sollten. Die hinduistische Gesellschaft bot für den Einzelnen keine großen Entfaltungsmöglichkeiten, weshalb verständlich ist, dass als Ausgleich für viele Einengungen die alles vereinende geschlechtliche Liebe sehr wichtig genommen wurde.

Vielleicht haben ja dann wenigstens die diversen Positionen einen lockernden Einfluss auf die Muskulatur und die Wirbelsäule, sodass es doch nicht völlig unsinnig ist, Liebesübungen mit Wirbelsäulengymnastik in einem Atemzug zu nennen. Die verschiedenen Stellungen des Kamasutras sind manchen Patienten-Behandler-Positionen, insbesondere bei den Beckentechniken, nicht ganz unähnlich, wenn auch deren Urheber sicher nicht ahnen konnte, dass ein Heilpraktiker sich mehr als 2300 Jahre später der Thematik aus diesem Blickwinkel zu nähern versuchen würde.

Abb. 1 Skulptur des großen Reliefs am Khajuraho-Tempel. Unverkennbar besteht eine „deutliche” LWS-Lordose.

Das für wissenschaftliche Zwecke erstandene Lehrbuch habe ich aus meiner Praxisbibliothek übrigens wieder entfernen müssen, weil sich regelmäßig (männliche) Patienten nach Kenntnisnahme des Buchtitels den Hals danach verrenkten, was meine Behandlungserfolge auf Dauer beeinträchtigt hätte. Zu Hause konnte ich es auch nicht im Regal stehen lassen, da meine liebe Frau mich (fast) jeden Abend nicht etwa zu Liebesübungen, sondern zu Trampolinspringen, Sit-ups und Liegestützen verdonnert hat. Leider dies wohl weniger, um meine Fitness für Kamasutraübungen aufzupeppen, sondern eher, um Überenergien (und Überpfunde) abzuleiten.

Fazit: Es ist doch nicht so einfach, orientalische Heilweisen in eine europäische Lebensweise zu integrieren.

    >