Aktuelle Neurologie 2006; 33(8): 429-430
DOI: 10.1055/s-2006-940234
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grenzen der Austauschbarkeit von Antiepileptika

Limitations of the Interchangeability of Antiepileptic DrugsG.  Krämer1 , C.  E.  Elger2
  • 1Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, Zürich
  • 2Klinik für Epileptologie der Universität, Bonn
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Publication Date:
06 October 2006 (online)

In diesem Heft werden die Ergebnisse einer internetbasierten Befragung von Neurologen, Nervenärzten, Neuropädiatern und anderen in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit der Versorgung von Menschen mit Epilepsie befassten Ärzten bei der Anwendung von Generika in der Epilepsietherapie vorgestellt. Bei mit über 600 erfreulich vielen Antworten (> 20 % der Angeschriebenen) berichtete etwa die Hälfte über verschiedenartige Probleme aufgrund eines Wirkungsverlustes oder vermehrter Nebenwirkungen (inkl. zusätzliche Praxisbesuche, Notarzt- oder Notfallambulanzkontakte, Krankenhausaufnahmen, Krankschreibungen oder Verletzungen). Auch wenn es sich um kasuistische Daten handelt, bestätigen diese die in den letzten Jahren publizierten Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie und anderer Fachgesellschaften, wonach Generika in der Epilepsietherapie nur in bestimmten Situationen (wie etwa Neueinstellungen oder ohnehin erforderliche Umstellungen der Medikation) in der Regel problemlos eingesetzt werden können, während ein Austausch bei erfolgreich eingestellten, anfalls- und nebenwirkungsfreien Patienten unterbleiben sollte. Probleme können dabei auch nicht nur durch eine Umsetzung von einem Originalpräparat auf ein Generikum entstehen, sondern auch - wenngleich dies seltener berichtet wurde - bei einem Wechsel von einem Generikum auf ein anderes oder von einem Generikum auf ein Originalpräparat.

Hier sei auch nochmals an die in dem Beitrag ausführlicher zitierte, schon 2002 anlässlich der Aut-idem-Diskussion veröffentliche Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft erinnert, die diese Bedenken teilt und sogar irrationale Ängste und Befürchtungen von Patienten als ausreichendes Argument gegen einen Austausch nennt. Die Aktualität des Themas ist in den letzten Wochen beispielsweise in Deutschland dadurch verdeutlicht worden, dass das Carbamazepin-Retardpräparat eines der größten Generikaherstellers ohne Vorankündigung zu erwartender Produktions- oder Lieferengpässe über mehrere Wochen nicht zur Verfügung stand. Dies hat nicht nur bei den betroffenen Patienten, sondern auch bei ihren behandelnden Ärzten für erhebliche Unruhe und Probleme gesorgt.

Die Zeiten, in denen die medikamentöse Behandlung einer Epilepsie mit „drei mal einer Tablette eines Standardpräparates” als - vermeintlich - fachlich angemessen galt, sind lange vorbei. Obwohl unseres Wissens nicht geplant ist, Antiepileptika in entsprechende Überlegungen einzubeziehen, erfüllen uns Aktivitäten des von der Bundesregierung neu eingerichteten Instituts zur Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit Sorge, Empfehlungen zur Erstattungsfähigkeit von Medikamentengruppen abzugeben. So sehr wir das Ziel einer ökonomischen Optimierung der Gesundheitsausgaben unterstützen, so eindeutig warnen wir vor Überlegungen einer unkritischen Gleichsetzung von Wirkstoffen oder Wirkstoffgruppen. Schon wenn man sich die Strukturformeln von Antiepileptika ansieht, fällt immer wieder auf, dass geringfügige Modifizierungen mit erheblichen Änderungen des Wirksamkeits- und Verträglichkeitsspektrums einhergehen können. Dies gilt von den älteren Wirkstoffen beispielsweise für Phenobarbital und Phenytoin, von den neueren für Carbamazepin und Oxcarbazepin oder für Gabapentin und Pregabalin. Nicht nur aufgrund klinischer Erfahrungen, sondern auch aufgrund evidenzbasierter Studien steht außer Frage, dass hier in aller Regel keine Austauschbarkeit besteht. In einer der Zulassungsstudien von Oxcarbazepin zur Kombinationstherapie refraktärer Epilepsien waren beispielsweise die weitaus meisten Patienten zuvor erfolglos mit Carbamazepin vor- und ausbehandelt worden.

Die medikamentöse Epilepsiebehandlung beruht heute auf einer individuellen Auswahl und Anpassung der verschiedenen Therapieoptionen. Es gibt wenige Erkrankungen, bei denen das gelegentliche oder auch nur einmalige Auftreten von Krankheitssymptomen derartig weitreichende Konsequenzen haben kann, wie dies bei epileptischen Anfällen der Fall ist. Es gibt auch wenige Krankheiten, bei denen das therapeutische Monitoring der Serumkonzentration von Wirkstoffen so etabliert ist, und bei denen Schwankungen der Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffs zu einem Verlassen des individuellen therapeutischen Bereichs führen können. Auch innerhalb von Antiepileptikagruppen mit gleichartigen Wirkmechanismen - beispielsweise Natriumkanalblocker oder GABAerge Substanzen - sind die Unterschiede zum Teil drastisch. Dies zeigt sich im klinischen Alltag beispielsweise daran, dass bei schwer behandelbaren Epilepsien sehr oft individuell auszutestende und anzupassende Kombinationen mehrerer Wirkstoffe derselben Klasse zum Erfolg führen.

Epilepsie hat auch durch die Einführung neuer und oft besser verträglicher Antiepileptika von seiner Stigmatisierung verloren und wird immer mehr zu einer „normalen” neurologischen Krankheit. Dennoch ist nach wie vor gerade die fehlende Sicherheit im Hinblick auf den weiteren Verlauf für die meisten Betroffenen eines der Hauptprobleme. Diese Sorge darf nicht durch medizinisch nicht vertretbare Präparate- oder sogar Wirkstoffgruppenwechsel verstärkt werden. Berücksichtigt man, dass erwachsene Epilepsiepatienten in über 50 % der Fälle eine einmal begonnene antiepileptische Therapie das weitere restliche Leben einnehmen müssen, so wird verständlich, dass diese Sorge bei zahlreichen Patienten dann in eine völlige Verunsicherung mit Compliancefehlern umschlägt, wenn allein aufgrund teilweise unwesentlicher Preisunterschiede ein permanenter Austausch eines Präparates mit Wechseln von Namen, Verpackungen sowie Tablettenform und -farbe stattfindet.

Dr. med. Günter Krämer

Medizinischer Direktor, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum

Bleulerst. 60

8008 Zürich, Schweiz

Email: g.kraemer@swissepi.ch

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