Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(42): 2402-2406
DOI: 10.1055/s-2005-918584
Kommentare
Klinische Forschung in Deutschland
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit der klinischen Arzneimittel-Forschung in Deutschland

Feasibility and impossibility of clinical research in GermanyJ. Boldt1 , S. Suttner2
  • 1Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
  • 2Klinikum der Stadt Ludwigshafen, Ludwigshafen
Further Information

Publication History

eingereicht: 22.3.2005

akzeptiert: 18.7.2005

Publication Date:
19 October 2005 (online)

Der Forschungsstandort Deutschland ist immer wieder heftig diskutiert worden und es wurde häufig der Ruf nach „Elite-Universitäten” formuliert [17]. Zweifelsohne ist Spitzenforschung in den Grundlagengebieten für eine hoch industrialisierte Nation sehr wichtig. Darüber hinaus muss Forschung jedoch auch in „niedrigeren” Gefilden durchgeführt werden. Hierzu gehört der Bereich der klinischen Forschung. Die von der Grundlagenforschung geschaffenen Erkenntnisse müssen letztendlich beim Patienten überprüft werden, da der Aussagewert tierexperimenteller Untersuchungen für Patienten zunehmend angezweifelt wird [15]. Somit geraten klinische Untersuchungen immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Wissenschafts- und Sachverständigenrat haben der klinischen Forschung schlechteste Noten ausgestellt [1] [6]. Dies wird auch anhand der Anzahl wissenschaftlicher (klinischer) Publikationen sichtbar: Das renommierte British Medical Journal (BMJ) publiziert weitestgehend nur klinische Forschungsergebnisse. Deutsche Beiträge machen ca. 6 % aller Beiträge aus - dies ist weniger als die Zahl der indischen Beiträge in diesem Journal [8].

Nach einer Studie der Boston Consulting Group ist Deutschland einer der weltweit bedeutendsten Standorte für die pharmazeutische Industrie [7]. Dabei ist Deutschland mittlerweile eher als Vertriebsstandort denn als Standort für Forschung und Entwicklung zu sehen: mit rund 115 000 Mitarbeitern nahm die deutsche pharmazeutische Industrie im Jahr 2000 eine führende Position in Europa ein, dabei waren lediglich 15 000 Mitarbeiter der Unternehmen mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Damit liegt Deutschland deutlich hinter Ländern wie USA, Japan, Großbritannien und Frankreich. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass patientenorientierte, klinische Forschung in Deutschland zu schwach ausgeprägt ist [6].

Mit dem 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (12. AMG-Novelle) aus dem Jahr 2004 ist sollten die Rahmenbedingungen für die klinische Arzneimittel-Forschung und damit für die Entwicklung neuer und besserer Arzneimittel in Deutschland vereinheitlicht und optimiert werden [21]. Die parallel zum neuen AMG verabschiedete „Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung - GCP-V)” hat außerdem zum Ziel, europäische Vorgaben zur Arzneisicherheit und Anforderungen an klinische Prüfungen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu harmonisieren [19]. Vor diesem Hintergrund sollen mögliche Konsequenzen der AMG-Novelle für die klinische Arneimittel-Forschung in Deutschland dargestellt und diskutiert werden.

Literatur

  • 1 Albrecht H. Spielmacher gesucht - Klinische Forschung in Deutschland soll besser werden.  Die Zeit. 2003;  48 29
  • 2 3. Bekanntmachung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen. http://www.bfarm.de/de/Arzneimittel/klin_pr/bekanntm/index.php?more = komment.php
  • 3 Blaeser-Kiel G. Klinische Studien - weniger wäre mehr.  Dtsch Ärztebl. 2001;  98 B2688-B2687
  • 4 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie .Therapieoptimierung bei Krebs in Deutschland gefährdet. www.dgho.de/aktuell/resolution_031 111_V06_final.pdf
  • 5 Dreyfuss D. To consent or not to consent, that is (not) the (sole) question.  Intensive Care Medicine. 2004;  30 180-182
  • 6 Flinntrop J. Klinische Forschung in Deutschland - mangelhaft weil unattraktiv.  Dtsch Ärztebl. 2001;  98 B2868
  • 7 Flinntrop J. Pharmaindustrie - Nur noch 10 Forschungsstätten.  Dtsch Ärztebl. 2001;  98 A3461
  • 8 Grundmann R T, Oestern H J. Berichterstattung: 11. Workshop „Good Clinical Practice”: Die wissenschaftliche Publikation - Standards und Erwartungen für die Zukunft.  Zentralbl Chirg. 2001;  126 822-827
  • 9 ICH Harmonised Tripartite Guideline for Good Clinical Practice. (CPMP/ICH/135/95)
  • 10 Jachertz N. Nationaler Ethikrat: Diskussionen über den „Gruppennutzen”.  Dtsch Ärztebl. 2005;  102 B464-B465
  • 11 Klinkhammer G. Ethikkommissionen - Problem der Haftung weiter ungelöst.  Dtsch Ärztebl. 2004;  101 B2874
  • 12 Laufs A. Die neue europäische Richtlinie zur Arzneimittelprüfung und das deutsch Recht.  MedR. 2004;  11 583-593
  • 13 Lemaire F. Suspension of the NIH ARDS Network fluids and catheter treatment trial.  Intensive Care Med. 2003;  29 1361-1363
  • 14 Mello M M, Studdert D M, Brennan T A. The rise of ligitation in human subject research.  Ann Intern Med. 2003;  139 40-45
  • 15 Pound P, Ebrahim S, Sandercock P, Bracken M B, Roberts I. Where is the evidence that animal research benefits humans?.  BMJ. 2004;  328 514-517
  • 16 Reinken U S. Klinische Prüfungen: Die neue Rolle des Sponsors.  Dtsch Ärztebl. 2004;  101 A91-A93
  • 17 Richter-Kuhlmann E A, Rabbata S. Die Politik entdeckt die Elite.  Dtsch Ärztebl. 2004;  101 B323-324
  • 18 Rittner C, Kratz E J, Walter-Sack I. Bericht der Arbeitsgruppe „Probanden-versicherung” des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen: Zur Angemessenheit des Probandenschutz nach § 40 Abs. 1 Nr.8 AMG. http://www.ek.med.tu-muenchen.de/ media/pdf/probandenversicherung.pdf
  • 19 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen. Bundesgesetzblatt 2004, Teil I Nr. 42, Bonn, 12.8.2004 http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl104s2081.pdf
  • 20 Wessler I, Burger R, Doppelfeld E. Ethik-Kommissionen - Verfahren vereinfacht.  Dtsch Ärzteblt. 2004;  101 B2614-B2616
  • 21 Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Bundesgesetzblatt 2004, Teil I, Nr. 41, Bonn, 5.8.2004 http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl104s2031.pdf

Prof. Dr. Joachim Boldt

Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Klinikum der Stadt Ludwigshafen

Bremserstraße 79

67063 Ludwigshafen

Phone: 0621/5033000

Fax: 0621/5033024

Email: BoldtJ@gmx.net

    >