Dtsch Med Wochenschr 2005; 130: S61-S63
DOI: 10.1055/s-2005-870871
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Evidence-Based Medicine und Reale-Welt-Studien am Beispiel des Diabetes mellitus

Evidence-based medicine and real-world studies using diabetes mellitus as paradigmM. Middeke1
  • 1DMW Chefredaktion
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Publication Date:
30 June 2005 (online)

Die deutlich steigende Inzidenz des Diabetes Typ 2 erfordert neue präventive und therapeutische Konzepte [6] [7]. Dies ist auch in Deutschland eine Herausforderung an die Versorgungsforschung und Versorgungsmedizin [3] [21] [23]. Erfreulicherweise gibt es in Deutschland bereits gute Konzepte und Beispiele für eine optimale Diabetesversorgung [5] [17] [22]. Seit der Veröffentlichung der UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study, 1998) ist bewiesen, dass eine bessere Stoffwechseleinstellung zu einer signifikanten Reduktion tödlicher und nicht tödlicher Ereignisse führt [24]. Unter den therapeutischen Optionen kommt dabei der Insulintherapie eine Schlüsselrolle zu, denn mit den oralen Antidiabetika können die notwendigen Therapieziele nur in begrenztem Umfang erreicht werden. Der Einsatz von Insulin ist unumgänglich, um in der Situation des Sekundärversagens einen therapeutischen Durchbruch zu erzielen; er wird aber leider von vielen Patienten abgelehnt.

Das inhalative Insulin könnte eine völlig neue Therapieoption darstellen. Es könnte aufgrund der neuen Applikationsweise die Hemmschwelle gegenüber herkömmlichem Insulin bei den Patienten, aber evt. auch beim Arzt durchbrechen. Die Wirksamkeit des inhalativen Insulins wurde in „klassischen” kontrollierten Zulassungsstudien belegt. Der tatsächliche Nutzen ist jedoch mit dieser Methodik nur schwer aufzeigbar, da klassische Studien üblicherweise nach strengen Ein-/Ausschlusskriterien ausgewählt werden. So wird ein hoch selektives Kollektiv experimentell in einem dazu noch „künstlichen Umfeld” behandelt und betrachtet.

Um den Nutzen eines neuen Therapieprinzips auch außerhalb klassischer Studien unter Praxisbedingungen zu prüfen, bedarf es neuer Studienkonzepte mit einem praxistauglichen Design, die insbesondere auch die gemeinsame Entscheidungsfindung (shared decision making) von Arzt und Patienten berücksichtigen. Gerade im Bereich Diabetes sind in letzter Zeit einige sehr interessante und aussagekräftige Studiendesigns entwickelt worden [4] [12]. Diese Konzepte und deren Anwendung wurden in einem Experten-Workshop am 25.2.2005 in Stuttgart vorgetragen und diskutiert. Die Beiträge der Referenten sind in diesem Supplement abgedruckt.

Der Workshop wurde von Thieme/DMW zusammen mit den Firmen Pfizer und Sanofi-Aventis durchgeführt. Das Spannungsfeld der Beiträge dieses Supplements reicht von „Economics-Based Medicine” und „Politics-Based Medicine” über „Intelligence-Based Medicine” bis zur „Patient-Based Medicine”, wobei das Bestreben erkennbar ist, dass der Patient -wie es sich gehört und von Sackett formuliert wurde [9] [19] [20] - im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Die Autoren dieses Supplements kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: aus der universitären Diabetologie, der Gesundheitswesen-Forschung, der Epidemiologie und Biostatistik, dem Krankenkassenwesen und der pharmazeutischen Industrie.

Literatur

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  • 20 Sackett D L, Strauss S, Richardson S R, Rosenberg W, Haynes R B. Evidence-Based Medicine: How to Practice and Teach EBM. London, Churchill Livingstone 2000
  • 21 Scherbaum W A, Hauner H. Versorgung von Menschen mit Diabetes in Deutschland - wo stehen wir heute?.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 1159-1160
  • 22 Schulze J, Rothe U, Müller G, Kunath H. Fachkommission Diabetes in Sachsen . Verbesserung der Versorgung von Diabetikern durch das sächsische Betreuungsmodell.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 1161-1166
  • 23 Scriba P C. Versorgungsforschung tut not!.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 2631
  • 24 UK Prospective Diabetes Study Group . Tight blood pressure control and risk of macrovascular and microvascular complications in type 2 diabetes.  BMJ. 1998;  317 703-713

Prof. Dr. M. Middeke

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