Klinische Neurophysiologie 2005; 36(3): 109
DOI: 10.1055/s-2005-867036
Editorial
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Oxaliplatintherapie: Hyperexzitabilität reine Funktionsstörung?

Oxaliplatin Neuropathy: Is the Hyperexcitability Purely Functional?B.  Mohammadi, J.  Großkreutz
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Publication Date:
26 September 2005 (online)

Oxaliplatin ist ein neueres Derivat bekannter platinhaltiger Chemotherapeutika, welches erfolgreich zur Behandlung überwiegend kolorektaler Karzinome eingesetzt wird. Dabei treten akut neuropathische Symptome auf. Die oxaliplatininduzierte Neuropathie unterscheidet sich von anderen chemotherapieinduzierten Neuropathien durch zwei zeitlich getrennte Phasen der Pathogenese. Zu Beginn der Behandlung kommt es bei fast allen Patienten zu ausgeprägten Hyperexzitabilitätsphänomenen wie Muskelkrämpfen, Parästhesien, Allodynie und kälte- wie wärmeinduzierter Schmerzempfindung. Erst in der Spätphase kommt es bei einer Untergruppe von Patienten zur typischen axonalen, sensibel betonten, distal symmetrischen Neuropathie, wie sie auch bei anderen Platinpräparaten zu beobachten ist.

Besser et al. beschreiben in der vorliegenden Ausgabe ausführlich die elektrophysiologischen Ansätze zur Objektivierung der Hyperexzitabilität in der Akutphase. Insbesondere zeigten sich repetitive Muskelantwortpotenziale nach Einzelreiz eines motorischen Nerven in der Elektroneurographie und Myokymieentladungen bzw. neuromyotone Entladungen in der Elektromyographie, die die Autoren als objektive Nachweismöglichkeit der Hyperexzitabilität anführen.

Der molekulare Mechanismus der oxaliplatininduzierten Hyperexzitabilität konnte durch Patch-Clamp-Untersuchungen aufgeklärt werden [1]. Die Substanz verändert selektiv die Inaktivierungseigenschaften von Natriumkanälen des peripheren Nerven, so dass es bereits Minuten nach Exposition zu repetitiven Entladungen am isolierten peripheren myelinisierten Axon kommt. Dieser Befund wird durch die klinische Wirksamkeit von Carbamazepin und Gabapentin zur Dämpfung der Hyperexzitabilität gestützt [2].

Der Einsatz von EMG-Techniken zeigt, wie von Besser et al. beschrieben, eine Hyperexzitabilität der motorischen peripheren Fasern. In leichter betroffenen Fällen überwiegen sensible Reizerscheinungen, die elektrophysiologisch schwerer fassbar sind. Zusätzlich zu den von Besser et al. beschriebenen Phänomenen zeigen sich repetitive Entladungen auch bei Registrierung der F-Wellen , die zwischen M- und F-Antwort auftreten. Anders als A-Wellen sind hier irreguläre, zeitlich variabel auftretende Einzelentladungen zu beobachten. Bei der Testung des H-Reflexes sind ähnliche repetitive Entladungen wie bei Auslösung von F-Wellen zu sehen. Somit stehen analog zur Neuromyotonie drei verschiedene elektrophysiologische Techniken zur Diagnostik der Akutphase der oxliplatininduzierten Neuropathie zur Verfügung.

Es bleibt vorerst unklar, ob die frühe Phase der Hyperexzitabilität nach Oxaliplatingabe eine reine Funktionsstörung darstellt. Bislang liegen keine Daten vor, die eine Korrelation zwischen Ausmaß der Akutsymptomatik und dem Auftreten der späteren axonalen Polyneuropathie zeigen. Auch konnte bislang ein neuroprotektiver Effekt für die Gabe von Carbamazepin und Gabapentin nicht gezeigt werden. Der Einsatz zur Prophylaxe und Behandlung der Akutsymptomatik ist jedoch gerechtfertig und erleichtert die Therapie mit Oxaliplatin.

Literatur

  • 1 Adelsberger H, Quasthoff S, Grosskreutz J, Lepier A, Eckel F, Lersch C. The chemotherapeutic oxaliplatin alters voltage-gated Na(+) channel kinetics on rat sensory neurons.  Eur J Pharmacol. 2000;  406 25-32
  • 2 Lersch C, Schmelz R, Eckel F, Erdmann J, Mayr M, Schulte-Frohlinde E, Quasthoff S, Grosskreutz J, Adelsberger H. Prevention of oxaliplatin-induced peripheral sensory neuropathy by carbamazepine in patients with advanced colorectal cancer.  Clin Colorectal Cancer. 2002;  2 54-58

Dr. Julian Großkreutz

Neurologische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

Email: grosskreutz.julian@mh-hannover.de

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