Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(7): 349-350
DOI: 10.1055/s-2005-863055
Ethik in der Medizin

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rationierung von GKV-Leistungen nach dem Alter? - Pro

Rationing sickness fund benefits by age? - ProF. Breyer1
  • 1Universität Konstanz und DIW Berlin
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Publication Date:
11 February 2005 (online)

Nachdem der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) innerhalb nur eines Jahrzehnts von 12 auf über 14 % gestiegen ist, sind maßgebliche Politiker überzeugt, dass um der Beschäftigung willen ein weiterer Anstieg nicht mehr hingenommen werden darf. Ihre Antwort im „Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz” von 2003 lautete: „Kürzung des Leistungspakets durch Ausgliederung (Brillen, Sterbegeld) und mehr Zuzahlungen der Versicherten bei Arztbesuchen, Medikamenten und Krankenhausaufenthalten.”

Aber dies kann erst ein Anfang sein, denn zahlreiche seriöse Hochrechnungen haben ergeben, dass sich der GKV-Beitragssatz bis 2040 mindestens verdoppeln würde, wenn es beim heutigen Leistungsversprechen („die gesamte Medizin auf neuestem Stand für alle”) bliebe. Die wichtigste Ursache hierfür ist die Explosion des medizinisch Machbaren. Ein weiterer Faktor ist die Umlagefinanzierung: Solange ältere Bürger, die ein Mehrfaches an Leistungen benötigen, den gleichen Beitragssatz zahlen wie jüngere, ist der Beitrag um so höher, je größer der Anteil der Alten ist. Hinzu kommt der dramatische Anstieg der Lebenserwartung, vor allem der fernen Lebenserwartung eines 65-Jährigen, die pro Jahrzehnt um ca. 1 Jahr zunimmt. Nach der „Kompressions-These” könnte dies die Ausgaben sogar senken, da die höchsten Kosten in den beiden letzten Lebensjahren entstehen und bei steigender Lebenserwartung sich in Zukunft weniger Menschen darin befänden. Eine neuere Studie von Daten einer schweizerischen Krankenversicherung hat jedoch ergeben, dass die Ausgaben sowohl der Überlebenden als auch der Sterbenden mit dem Alter zunimmt, so dass die Alterung per saldo doch zu Mehrausgaben führt [1].

Die beschriebene Entwicklung wirft zwei Fragen auf:

Wird sich das gewohnte System der GKV, nach dem alle von Medizinern als „notwendig” bezeichneten Leistungen aus Zwangsbeiträgen finanziert werden, auch noch in 30 oder 40 Jahren aufrecht erhalten lassen? Können wir noch einige Jahrzehnte abwarten, bevor wir die Weichen für eine Reform der Finanzierung stellen?

Meine Antwort auf beide Fragen lautet „nein”: Der GKV-Leistungskatalog wird in der Zukunft mehr „Lücken” haben als heute, und wir sollten uns jetzt schon Gedanken darüber machen, welche Leistungen dann privat finanziert werden sollen.

Literatur

  • 1 Zweifel P. et al . Population Ageing and Health Care Expenditure: New Evidence on the „Red Herring”.  Geneva Papers on Risk and Insurance. Issues and Practice. 2004;  29 652-666

Prof. Dr. Friedrich Breyer

Universität Konstanz

Fach D 135

78457 Konstanz

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