Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2005; 10(4): 221-230
DOI: 10.1055/s-2005-858500
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auswirkungen einer Bürgerversicherung in der Pflegeversicherung

Effects of an All Citizens' Health Insurance on Contribution Rates of Statutory Nursing Care InsuranceK. W. Lauterbach1 , M. Lüngen1 , B. Stollenwerk1 , A. Gerber1 , G. Klever-Deichert1
  • 1Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln (IGKE), Köln
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Publication Date:
18 August 2005 (online)

Zusammenfassung

Problemlage: Die soziale Pflegeversicherung weist mehrere Probleme auf. Seit dem Jahr 1999 wird ein Defizit ausgewiesen, das vorwiegend auf einer Verschiebung der Inanspruchnahme von stationären Sachleistungen zu Lasten von ambulanten Sachleistungen beruht. Nur aufgrund der Rücklage konnte eine Anhebung der Beitragssätze bisher vermieden werden. Zweitens sind die Leistungen für einzelne Gruppen der Anspruchberechtigten nicht ausreichend, z. B. bei Demenz. Drittens liegt in der ambulanten Pflege der Stufen I und II eine Unterfinanzierung vor. Die bestehende Begünstigung der stationären gegenüber der ambulanten Versorgung läuft dem grundsätzlichen Vorrang der häuslichen Pflege zuwider. Viertens wird mit zunehmender Alterung der Gesellschaft sich auch der Anteil Pflegebedürftiger vergrößern. Steigende Ausgaben bedürfen daher einer adäquaten Struktur der Lastenverteilung auf der Einnahmeseite. Fünftens nimmt die Schieflage zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung zu, da die Versicherten in der Privaten Pflegeversicherung zu den besseren Risiken gehören. Vorgehen: In der vorliegenden Analyse wurden mehrere Reformvorschläge untersucht. 1. Ausweitung der Versicherungspflicht auf die ganze Bevölkerung (Bürgerversicherung Pflege); 2. Einbeziehung anderer Einkommensarten in die Beitragsbemessung; 3. Verbesserte Leistungen bei Demenz; 4. Anhebung der ambulanten Leistungen in Pflegstufe I und II. Ergebnisse: Die Analyse zeigt, dass mit den untersuchten Maßnahmen eine Anhebung des Beitragssatzes von derzeit 1,7 % bis 2007 nicht notwendig wird. Ohne Einführung der Bürgerversicherung würde der Beitragssatz bis zum Jahre 2025 auf 2,33 % steigen. Mit der Verbesserung der Versorgung für Demenzerkrankte und der Anpassung der Pflegesätze in der ambulanten Pflege würde der Beitragssatz auf 2,52 % steigen. Durch die Einführung einer Bürgerversicherung könnte der Beitragssatz im Jahr 2006 einschließlich der verbesserten Versorgung Demenzkranker und der Anhebung ambulanter Pflegesätze auf 1,5 % gesenkt werden. Im Jahr 2025 würde der Beitragssatz 2,0 % betragen.

Abstract

Nursing care insurance was separated from health care insurance in Germany in 1995 and organized along the “traditional” separation of statutory and private health funds. Currently, statutory nursing care insurance (Soziale Pflegeversicherung) seems to come under increased financial pressure. Its expenses per insuree are nearly four times as high as those of private companies who could even lower their premiums. As both branches of nursing care insurance are by law obliged to offer absolutely identical transfers we plead for a merger for financial consolidation and solidarity. Furthermore, for reasons of distributive justice contribution rates should be levied upon all categories of income, not only upon salaries and wages, up to the current income ceiling. This would conform to an introduction of an All Citizens’ Health Insurance into the system of nursing care financing. Subsequently, we calculated that the current contribution rate would be 1.5 % instead of 1.7 %. In 2025, without the merger the contribution rate would be 2.33 % in statutory nursing care insurance while it could remain below 2 % with the implementation of an All Citizens’ Health Insurance. Moreover, even a scheme of intensified care for those elderly suffering from dementia and a raise in payment of ambulatory nursing care could be funded with this prospective contribution rate.

Literatur

1 Die folgenden Angaben stammen aus dem „Dritten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung” des BMGS, S. 73 ff.

2 Daneben existieren beispielsweise noch Tagespflege, Kurzzeitpflege und Nachtpflege.

3 Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 75.

4 Freiwillig Versicherte haben ein einmaliges Wahlrecht zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung. Davon haben 31 000 GKV-Versicherte Gebrauch gemacht, also 0,06 % der Versicherten (siehe BMGS. Die Soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004). Privat Krankenversicherte sind grundsätzlich bei der Krankenkasse ihrer Wahl auch pflegeversichert. Sie haben jedoch ein Wahlrecht, innerhalb von 6 Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht ein anderes Unternehmen zu wählen (siehe BMGS. Pflegeversicherung. Berlin, 2003).

5 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

6 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

7 Siehe die Anforderungen zum Nachweis der Elterneigenschaft unter http://www.vdr.de/internet/vdr/infopool.nsf/0/64C3E9529EDC9290C1256F39004A8EAB/$FILE/GR + Elterneigenschaft.pdf.

8 BMGS. Pflegeversicherung. Berlin, 2003.

9 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 52.

10 Kommission des BMGS zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme des BMGS. Berlin, August 2003: S. 188.

11 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 32.

12 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 52.

13 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, Anlage 2, S. 116.

14 BMGS. Dritter Bricht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 52.

15 In der Privaten Pflegeversicherung übernimmt diese Aufgabe die private Firma „medicproof - Gesellschaft für Medizinische Gutachten mbH”.

16 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

17 Gleichwohl sind die Sozialen Pflegekassen rechtlich selbstständige Körperschaften.

18 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

19 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der sozialen Pflegeversicherung. S. 117.

20 Die Welt, 21.2.2005.

21 BMGS. Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung. Anlage 3.

22 Kommission des BMGS zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme des BMGS. Berlin, August 2003, S. 189.

23 BMGS: Dritter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, S. 48.

24 Das Folgende in Anlehnung an die Pressemitteilung des BMGS zur Thematik http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/themen/pflege/index_6310.cfm (Zugriff Febr. 2005).

25 Siehe zu möglichen Ausgestaltungsvarianten der Beitragsbemessung: Projektgruppe Bürgerversicherung des SPD-Parteivorstandes. Modell einer solidarischen Bürgerversicherung. Berlin, 26. August 2004. http://www.medizin.uni-koeln.de/kai/igmg/buergerversicherungsmodell.pdf (Zugriff Febr. 2005).

26 Die Anhebung des Beitragssatzes für Mitglieder ohne Kinder wurde ebenfalls modelliert, da es dazu noch keine abschließenden empirischen Werte gab.

27 Kommission des BMGS zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme des BMGS. Berlin, August 2003, S. 198-199.

28 Weitere Informationen unter http://www.diw.de/deutsch/sop/index.html (Abfrage August 2004).

29 Freiwillig Versicherte haben ein einmaliges Wahlrecht zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung. Davon haben 31000 GKV-Versicherte Gebrauch gemacht, d. h. 0,06 % der Versicherten.

30 Der Betrag von 880 Euro entspricht einer Mischkalkulation. Je nach Personengruppe variiert das mindestens zu verbeitragende Einkommen von 805 Euro bis zu 1811,25 Euro.

31 Bei Veränderungen des Beitragsatzes in der Zukunft steigen somit auch die Beiträge von freiwillig Versicherten sowie Arbeitslosengeld-II-Empfängern.

32 In den Zukunftsprognosen wurde berücksichtigt, dass sich die obere Altersgrenze (d. h. 65 Jahre in 2005) Jahr für Jahr um 1 erhöht.

33 Siehe hierzu: Projektgruppe Bürgerversicherung des SPD-Parteivorstandes. Modell einer solidarischen Bürgerversicherung. Berlin, 26. August 2004.

34 Verwaltungsausgaben gemäß den Angaben des BMGS für das Jahr 2002: 4,8 % von 17,35 Mrd. Euro.

35 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

36 BMGS. Die soziale Pflegeversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001 und 2002. Bonn, 2004.

37 Dabei wurden die an das Jahr 2000 angepassten Hochrechnungsfaktoren verwendet.

38 Im Sinne von Absatz 5.1.

39 Kommission des BMGS zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme des BMGS. Berlin, August 2003.

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) K. W. Lauterbach

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Gleueler Straße 176 - 178

50935 Köln

Email: lauterbach@igke.de

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