Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2005; 10: 27-28
DOI: 10.1055/s-2005-858375
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Gesundheitsökonomie

Drug Benefit Evaluation and Health EconomyR. Rychlik1
  • 1Institut für Empirische Gesundheitsökonomie, Burscheid
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Publication Date:
16 August 2005 (online)

Unter diesem Titel fand am 22. April 2005 eine von Professor Oliver Schöffski geleitete Veranstaltung in Berlin statt, die dem gesundheitspolitischen Zeitgeist des GKV-Modernisierungsgesetzes in jeder Hinsicht gerecht wurde. Provokant ist in diesem Zusammenhang auch der Untertitel: „Modellierung - Gewinnung von Erkenntnissen zum klinischen Alltag”.

Provokativ deshalb, weil die Nutzenbewertung von Arzneimitteln Gegenstand des SGB V und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist. Zwar sollen danach „Erkenntnisse zum klinischen Alltag” gewonnen werden, gefordert werden jedoch in erster Linie klinische Studien (RCTs). Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung gesundheitsökonomischer Art steht zunächst nicht im Vordergrund.

Welchen Stellenwert hat da die Gesundheitsökonomie und ihr Instrument Modellierung? Professor Oliver Schöffski beantwortete diese Fragestellung bereits in seiner Einleitung eindeutig: „Ohne Modellierung wird man bei der Nutzenbewertung nicht auskommen”. Modellierungen werden dann verwendet, wenn

klinische Daten extrapoliert werden Daten fehlen Daten übertragen werden müssen.

Die Zusammenführung von Field und Desk Research ist für Schöffski daher unabdingbar. Erfrischend in diesem Zusammenhang war der erste Beitrag von Professor Reiner Hans Dinkel aus Rostock, der die langfristige Tragweite von Entscheidungen im Gesundheitswesen an der Abschätzung des Pflegebedarfs in Deutschland verdeutlichte, dabei aber gleichzeitig auch auf die nahezu selbstverständliche Anwendung von Modellierungen in der Demografie hinwies. Dennoch sei die Faktenresistenz der Entscheidungsträger auch in diesem Segment unverkennbar.

Im zweiten Beitrag stellte die renommierte Pharmakoökonomin Dr. Gisela Kobelt die Struktur der ökonomischen Evaluation dar. Neben klinischen und epidemiologischen Studien sowie Beobachtungsstudien lassen sich natürlich auch Datenbanken verwenden, die sich aber häufig durch unsichere Diagnosen und fehlende oder inkomplette Daten auszeichnen. Die entscheidungstheoretischen Grundlagen gesundheitsökonomischer Modelle wurden bereits in den 1980er-Jahren als strukturiertes Abbild der realen Welt entwickelt. Mittlerweile sind entscheidungstheoretische Modelle oder Markov-Modelle bei allen Erstattungsbehörden akzeptiert.

Dies unterstrich ebenfalls Dr. Rainer Rohrbacher von der HealthEcon AG in Basel. Diese Akzeptanz setzt jedoch qualitativ hochwertige Modellierungen voraus. Verglichen werden sollte darüber hinaus auch immer mit einem bereits im Markt befindlichen Produkt. Oberstes Gebot ist eine durchgängige Transparenz, um die Skepsis gegenüber der Validität zu mindern.

Professor Reinhard Busse nahm in diesem Zusammenhang Stellung zur HTA-Entwicklung in Deutschland. Auch hier ist Transparenz oberstes Gebot und ein hoher Qualitätsstandard unabdingbar. HTAs werden zukünftig eine sinnvolle Ergänzung zu Modellierungen im Arzneimittelsektor darstellen, wobei die Wirtschaftlichkeit bereits früher Zielkriterium der Bundesausschüsse war.

Wirtschaftlichkeit lässt sich ohne Wirksamkeit und Nutzen jedoch nicht ausreichend beschreiben. Klar ist aber auch, dass der Wirksamkeitsnachweis eines Arzneimittels nicht nur durch RCTs erfolgen kann.

Insgesamt forderte Busse mehr Innovation auch bei Entscheidungsträgern, bedauerte aber auch den zeitlichen Verzug in Deutschland.

Anschließend informierte Dr. Rito Bergemann über die Methoden und Technik von Modellierungen, die den Stand der Wissenschaft abbilden, aber möglichst auch von einem wissenschaftlichen Beirat bestätigt werden sollten. Als elementar sieht Bergemann, ebenso wie Rohrbacher, den Prozess der internen und externen Validierung.

Abschließend stellte Roman N. Casciano, Geschäftsführer der Analytica International Group in Lörrach, das so genannte EAGLE-Modell vor. EAGLE besteht aus einem epidemiologischen und einem gesundheitsökonomischen Modul zur Simulation der Langzeiteffekte verschiedener Diabetesbehandlungen auf diabetesbezogene Komplikationen und Kosten. Verwendet wurden Studienergebnisse aus DCCT, UKPDS und WESDR. Eingeschlossen waren sowohl Patienten mit Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes, deren Blutzuckereinstellung im Zeitverlauf bewertet wurde und somit sowohl Quer- als auch Längsschnittbetrachtungen ermöglichte. So können z. B. makrovaskuläre Komplikationen bei älteren Diabetikern bei guter und schlechter Blutzuckereinstellung oder die Kosten der terminalen Niereninsuffizienz bei unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen betrachtet werden. Erforderlich sind hierzu aber auch lokal relevante Daten zu Kosten und Demografie.

Zusammenfassend wurde deutlich, dass Modellierungen einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung, aber auch zur Gewinnung von Erkenntnissen zum klinischen Alltag leisten.

Prof. Dr. Dr. med. Reinhard Rychlik

Institut für Empirische Gesundheitsökonomie

Am Ziegelfeld 28

51399 Burscheid

Email: reinhard.rychlik@ifeg.de

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