physioscience 2005; 1(1): 3-4
DOI: 10.1055/s-2005-858220
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alles Gute für den Start!

M. J. Mayston1
  • 1University College London, Dep. of Physiology
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Publication Date:
26 April 2005 (online)

Die Physiotherapie hat in den vergangenen 30 Jahren einen weiten Weg zurückgelegt - vom Handwerk, als das sie viele bezeichnen würden, hin zu einer auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschung basierenden Tätigkeit. Dies spiegelt sich weltweit sowohl in der Einführung von Bachelor- und höheren Abschlüssen als auch in der Entwicklung von einer Berufsfachausbildung zu einer eher akademischen Ausbildung wider.

Die Zahl promovierter Physiotherapeuten steigt, die sich der Herausforderung stellen, grundlegende Zusammenhänge der von Therapeuten behandelten Krankheitsbilder zu erforschen und - was noch wichtiger ist - die Wirkung der therapeutischen Techniken zu untersuchen. Parallel dazu wurde die Physiotherapie zu einer höher spezialisierten Tätigkeit mit den Fort- und Weiterbildungsangeboten, die notwendig sind, damit sich die Therapeuten in ihrem jeweiligen Spezialgebiet Fachkenntnisse aneignen können.

Ich selbst arbeite in der Erwachsenen- und Kinderneurologie, vor allem in den Bereichen der Versorgung von Erwachsenen mit frischen Schlaganfällen und Kindern mit Zerebralparese. Als Berufseinsteigerin traf mich diese Tätigkeit sehr unvorbereitet. Zwar bekam ich von erfahrenen Kollegen viele Anregungen, aber aufgrund meines unzulänglichen Wissens schien es mir angebracht, spezielle Fortbildungen zu besuchen. Zu jener Zeit wurde die Neurophysiotherapie von Konzepten wie Bobath, Petö (vielleicht eher als konduktive Förderung bekannt) und der PNF (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) beherrscht. Dies veranlasste mich, einen Bobath-Kurs in London zu besuchen. Anschließend arbeitete ich als Bobath-Therapeutin am Bobath-Centre in London und wurde schließlich Instruktorin dieser Behandlungstechnik.

Leute wie die Bobaths waren ihrer Zeit voraus. Sie lenkten die Zielsetzung der Neurorehabilitation von einem eher orthopädisch ausgerichteten kompensatorischen Ansatz hin zum Bewusstsein, das ZNS positiv beeinflussen zu können -, wenn dem Patienten entsprechende Erfahrungen ermöglicht werden. Dieser Vorgang wird heute als Neuroplastizität bezeichnet.

Aber unser Wissen erweitert sich ständig, und die Forderung nach Evidenz-basierte Praxis wird immer lauter. Dies veranlasste mich Ende der 80er-Jahre, die Grundlage des Bobath-Konzepts und dessen praktische Umsetzung infrage zu stellen. Schließlich machte ich einen MSc (Master of Science) in Physiologie und den PhD (Doctor of Philosophy) in Neurophysiologie. Dabei habe ich viel gelernt, unter anderem, wie wichtig es ist, Dinge immer wieder zu hinterfragen und Wege zu finden, die Antworten auf diese Fragen liefern.

Natürlich war es nötig zu lesen. Aktuelle Publikationen - wissenschaftliche und therapiebezogene - ermöglichten es mir, mir den gegenwärtigen Wissensstand anzueignen, auch den praxisbezogenen mit entsprechendem wissenschaftlichem Nachweis. Natürlich reichen unsere Forschungsergebnisse nicht aus, um alle therapeutischen Maßnahmen rechtfertigen zu können. Aber wir müssen unbedingt unsere Arbeit kritisch unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Wissensstandes und der Forschungsergebnisse beleuchten, selbstverständlich auch unter Anerkennung der klinischen Erfahrungen, die von hervorragender Qualität sind. Es besteht ein gesteigertes Bewusstsein, dass dieser Prozess patientenorientiert sein muss, um relevant und effektiv sein zu können [1].

Wenn wir bereit sind, Evidenz-basierte Praxis auszuführen, müssen wir ständig hinterfragen, forschen, unser Wissen erweitern, auf Tatsachen zurückgreifen und unsere Arbeit dementsprechend anpassen. Dieser derzeitigen Herausforderung müssen sich die Physiotherapeuten des 21. Jahrhunderts stellen.

Wie kann das erreicht werden? Für mich ist es unter anderem sehr wichtig, dass es ein Forum für Diskussionen, Wissensaustausch und die Verbreitung von Forschungsergebnissen gibt. Da sich die Physiotherapie zu einem wissenschaftlich untermauerten Beruf entwickelt, ist es an der Zeit, auch in Deutschland eine eigene wissenschaftliche physiotherapeutische Fachzeitschrift mit einem Review-Verfahren wie physioscience herauszugeben.

Die Zeitschrift wird Therapeuten in ganz Deutschland ein Forum bieten, ihr Wissen und ihre Ideen auszutauschen und das Berufsbild wachsen zu lassen. physioscience wird sich in die physiotherapeutischen Veröffentlichungen anderer Länder einreihen, im weltweiten Bemühen, die Physiotherapie zu einem zu recht hoch respektierten Beruf weiterzuentwickeln.

Es bleibt zu hoffen, dass die Zeitschrift auch Beiträge aus Übersee suchen und anziehen wird, einschließlich Publikationen anderer mit der Physiotherapie verbundener Fachrichtungen, sodass sämtliche An- und Einsichten dargestellt und in Frage gestellt werden können. In dieser spannenden Ära der Veränderungen der Physiotherapie wird physioscience ihren Beitrag leisten, um persönliche und berufliche Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Ich wünsche diesem Vorhaben viel Erfolg.

Literatur

  • 1 Brown. What is evidence based practice? . Brown G; Esdaile S, Ryan S Becoming an Advanced Healthcare Practitioner Edinburgh; Butterworth Heinemann 2003

Margaret J. Mayston, PhD, MSc, BappSc, SRP

Course Coordinator for MSC in Neurophysiotherapy

Department of Physiology, University College London

Gower St.

GB - London WC1E 6BT

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