DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2004; 2(04): 28-29
DOI: 10.1055/s-2004-836016
Focus
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Stuttgart

Ist das alte Modell der sphenobasilaren Symphyse noch aktuell?

Tom Esser
D.O. M.R.O., Fürstenplatz 3, 14052 Berlin
,
Jean-Pierre Guillaume
D.O., COE Europäisches Colleg für Osteopathie, Seidl-Kreuz-Weg 11, 85737 Ismaning
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Publication Date:
30 May 2005 (online)

Pro

Tom Esser D.O. M.R.O.

Leiter des “Osteopathischen Zentrums für Kinder” in Berlin

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Dass die SSB positionell verdreht sein kann, haben auch röntgenologische Bilder von Dr. Greenman belegt. Allerdings ist für die Osteopathie genau wie bei der Wirbelsäule die Mobilität wichtiger als die Position. Da die SSB bis zum 25. Lebensjahr verknöchert, sollte man mehr von Spannungsverhältnissen (Elastizität/Resiliance) als von großen Bewegungen reden.

Neben dem Os sphenoidale und dem Os occipitale gehören auch alle Knochen unterhalb des Tentoriums mit zur Schädelbasis, wie das Os ethmodiale, die Pars orbitale des Os frontale, die Pars petrosa und die Pars mastoidea des Os temporale.

Die Schädelbasis verknöchert condral (knorpelig), das Schädeldach verknöchert desmal (membranös).

Für die Zirkulation im Schädel und das optimale Funktionieren des neuroendokrinen Systems muss der gesamte Schädel eine optimale Spannung und einen guten eigenen Rhythmus haben. Um dies zu testen und zu behandeln, wird die SSB benutzt.


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Mit der Entwicklung der kraniosakralen Osteopathie durch Dr. W. G. Sutherland erhielt der Schädel als zentraler Bereich des Körpers endlich die ihm gebührende Bedeutung. Sutherland hatte damit den altbekannten Spruch “Der Mensch ist so alt wie seine Wirbelsäule” umgeformt in “Der Mensch ist so alt, wie sein Schädel”. Denn so wie für die Vitalität eine mobile Wirbelsäule wichtig ist, gilt Gleiches auch für den Schädel, nur dass hier die Bewegungen feinstofflicher sind.

Ein Zuwenig an Bewegungen im Schädel kann einen negativen Effekt auf dessen Inhalt sowie über die myofaszialen Verbindungen auch auf den gesamten Körper haben.


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Die “Location”

Für Sutherland war besonders in seiner frühen (“knöchernen”) Phase, die SSB (engl. SBS) der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Schädels.

Die Stellung des Os spenoidale in Bezug auf das Os occipitale gibt Aufschluss für die Strukturierung des gesamten Schädels. Dabei lässt sich eine biomechanische Hierarchie der Knochen feststellen: Die Knochen, die mit dem Os sphenoidale direkt artikulieren, wie das Os frontale und der gesamte Gesichtsschädel (außer dem Unterkiefer), bewegen sich zusammen mit dem Os spenoidale. Die Knochen, die zusammen mit dem Os occipitale direkt artikulieren, wie die beiden Ossa parietalia, die beiden Ossa temporalia, Mandibula, Os hyoideum und das Os sacrale, bewegen sich zusammen mit dem Os occipitale.

So lässt sich - bei fehlenden, überlagernden Dysfunktionen - aus der Position der SSB nicht nur die gesamte Schädelposition bestimmen, sondern auch die Physiologie bzw. mögliche Symptome. Sutherlands Bezeichnungen der verschiedenen Schädelbasis-Dysfunktionen werden heute noch benutzt.

Ein Beispiel: Bei einem inferioren “vertical strain” befindet sich der Gesichtsschädel in Innenrotation (Os sphenoidale in Extension) und die Tuba auditiva in Außenrotation (Os occipitale in Flexion). Ein Patient wird hier also eher ein Problem mit dem Gesichtschädel (z.B.: Sinusitis) als mit den Ohren (z.B.: Otitis media) haben.


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Grenzen

Sutherlands mechanisches Modell ist hilfreich, hat aber auch seine Grenzen. Sutherland wechselte später zu einer funktionellen Sichtweise mit dem Schwerpunkt auf den Membranen (RTM) und Faszien. In seinen letzten Lebensjahren fand er dann zu einer biodynamischen Sichtweise mit dem Schwerpunkt auf der Flüssigkeitsebene. Diese beinhaltete auch energetische Aspekte wie “potency” und “breath of life”.


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Fazit

Es gibt unterschiedliche Sichtweisen, Fakt ist aber, dass die SSB klinisch eine zentrale und wichtige Stelle im und für den ganzen Körper darstellt. Man kann die topographische “location” der SSB diagnostisch und therapeutisch nutzen, sowohl aus biomechanischer, aus funktioneller wie auch aus biodynamischer Sicht. Hier spiegelt sich der ganze Körper auf allen Ebenen.

Wahrscheinlich kann jeder Osteopath, der schon mal durch einen etwas zu kräftigen Griff oder Unkonzentriertheit eines Kollegen, negative Reaktionen bekommen hat, die Bedeutung der SSB bestätigen - und jeder, der schon einmal “gut” an der SSB behandelt worden ist, von positiven Auswirkungen im Kopf und/oder Körper berichten.


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