Allgemeine Homöopathische Zeitung 2004; 249(4): 193-194
DOI: 10.1055/s-2004-828271
Praxis
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Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & CO. KG

Homöopathie in Lettland

Sonja Aevermann
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Publication Date:
19 July 2004 (online)

Zur Sonnwendfeier am 23. Juni 2003 hatte ich eine Einladung von lettischen Kollegen, die homöopathisch tätig sind. Neugierig fuhr ich los, ein Land zu besuchen, das ich bis dahin hauptsächlich als weißen Fleck auf der Landkarte kannte. Und ich war mehr als überrascht. Lettland ist das mittlere Land der 3 baltischen Staaten, die zum Einflussbereich der UdSSR gehörten. Im September 1991 erkennt die UdSSR neben den westlichen Demokratien die Unabhängigkeit Lettlands an. Es entsteht die Latvijas Republika, die Hauptstadt ist die alte Hansestadt Riga, die Landessprache lettisch, das zur indoeuropäischen Sprachenfamilie gehört, die Landeswährung sind Lats (1 Lats = 100 santim), die Einwohnerzahl beträgt ca. 2,4 Mio., davon sind 55 % Letten, die übrigen vor allem während der sowjetischen Besatzung eingewanderte Russen und Ukrainer.

Wegen der günstigen geographischen Lage wurde das lettische Territorium seit jeher von anderen größeren Ländern begehrt und umkämpft. Die Anfänge von Lettlands Geschichte reichen zurück bis ins Mittelalter. Schon 1201 gründete Bischof Albrecht aus Bremen die Stadt Riga an den Ufern des Flusses Daugava, die sich mit der Zeit zur größten und schönsten Stadt der nordöstlichen Ostseeregion entwickelte und bereits 1282 zu einem wichtigen Mitglied der Hanse wurde. Seither gab es viele Deutsche, die ein ganzes Leben oder wenigstens einen Teil davon in Lettland verbrachten. Einer der berühmtesten war Johann Gottfried Herder, der von 1764 bis 1771 als Domschullehrer und Pastor in Riga tätig war. Am 18. November 1918 wurde erstmalig ein unabhängiges Lettland proklamiert und Lettland erlebte eine wirtschaftliche Blütezeit. Doch bereits 1940 besetzte die Rote Armee das lettische Territorium. Ein Leidensweg für das lettische Volk begann. 1941 marschierte die deutsche Wehrmacht in Lettland ein und ab 1944/45 wurde Lettland von der Sowjetmacht besetzt. Fast 120 000 Letten wurden verhaftet und in sowjetische Konzentrationslager gesperrt. Ebenso viele Menschen flüchteten in den Westen. Am 25. März 1949 wurden 43 000 Einwohner von Lettland nach Sibirien verschleppt. In Lettland begann man mit einer „Russifizierungskampagne” großen Ausmaßes.

Abb. 1: Frau Dr. Aevermann, Frau Ozolina, Frau Dr. Rasna Kalnina (von li nach re).

Abb. 2: In der homöopathischen Apotheke in Riga.

Dass auch in dieser schweren Zeit die Homöopathie in Lettland überlebt hat, verdanken wir einer Frau: Mirdza Ozolina, der Chefin der Homöopathischen Apotheke in Riga. Bereits zu Lebzeiten Hahnemanns gab es 5 Ärzte in Riga, die homöopathisch arbeiteten und diese wünschten eine Apotheke, die homöopathische Medikamente herstellte. Dies führte 1833 zur Gründung der staatlichen homöopathischen Apotheke in Riga. Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Apotheke privatisiert. Leiter war Herr Apotheker Jungers, ab 1947 übernahm Frau Mirdza Ozolina die Leitung.

Zu dieser Zeit gab es viele homöopathisch arbeitende Ärzte in Lettland, u.a. auch die Schwester von Frau Ozolina, Frau Dr. Rasma Kalnina. 1940 wurde wie alles auch diese Apotheke verstaatlicht. Unter der Schreckensherrschaft Stalins wurde die Kollegin Dr. Rasma Kalnina wie viele anderen Letten nach Sibirien verbannt und musste dort im Wald als Holzarbeiterin arbeiten. Frau Ozolina entkam nur knapp der Deportation. Der russische Offizier, der sie abführen sollte, war jüdischer Abstammung und sprach lettisch. Dadurch konnte sie sagen, dass ihr Ehemann russisch sei. Dies war ihre Rettung. (Ozolina ist ein russicher Name und heißt auf deutsch „kleine Eiche”.) Sie konnte weiterhin die Apotheke führen und homöopathische Medikamente herstellen. Inzwischen lernte sie russisch, damit sie sich mit den Behörden auseinandersetzten konnte, was immer nötiger wurde, da man das Herstellen der homöopathischen Arzneien verbieten wollte.

„Wie oft bin ich nach Moskau gefahren, um mit den dortigen Behörden zu verhandeln”, erzählte sie. Da Polikliniken erlaubt waren, machte sie kurzerhand aus der Apotheke eine Poliklinik, die immerhin 12 homöopathisch arbeitende Ärzte beschäftigte. Außerdem kam es zu einer Unterschriftensammlung seitens der Rigaer Bevölkerung für die Homöopathie, und mit alldem bewaffnet fuhr sie nach Moskau und bekam die Erlaubnis, weiterhin homöopathische Medikamente herstellen zu dürfen.

Im Jahre 1996 hat sie die Apotheke vom Staat zurückbekommen. Schwierig in dieser Zeit der Isolation war die Beschaffung von Literatur. Man hatte noch einige alte Bücher aus der Zeit vor dem Krieg: eine Ausgabe von 1937 von W. A. Dewey „Katechismus der homöopathischen Therapie” und den „Stauffer”, der oft kopiert wurde. Eine Kollegin zeigte mir „ihren Stauffer”, den sie sich handschriftlich ins Lettische übersetzt hatte. Später konnte man noch ein Buch aus Ostdeutschland kaufen, „Homöopathische Arzneimittel für die Praxis” von Herwig Storch, VEB Georg Thieme Leipzig. Für die Kollegen, die Russisch konnten, stand dann noch die russische Literatur zur Verfügung, welche aber auch sehr schwierig zu bekommen war.

Heute ist die Apotheke ein florierendes Unternehmen und beliefert alle Apotheken in Lettland mit homöopathischen Medikamenten. Derzeit sind es 550 Einzelmittel, die hergestellt werden. Im ganzen Land wird die Apotheke unterstützt. Wenn z.B. im Botanischen Garten Cactus grandiflora erblüht ist, erhält die Apotheke einen Anruf, damit die Blüte abgeholt werden kann, um eine Verreibung durchzuführen.

Derzeit gibt es in Lettland ca. 20 homöopathisch arbeitende Ärztinnen und Ärzte, das Interesse ist steigend und seit Herbst 2003 existiert ein Kurs für Homöopathie an der Universität in Riga, den die Kollegen zu unterschiedlichen homöopathischen Themen halten werden. Die Leiterin der homöopathischen Ärztevereinigung Lettlands ist Frau Dr. Benita Limba.

Den Abschluss meines Aufenthaltes bei den lettischen Kollegen bildete das große Sängerfest. Die Letten sind bekannt für ihre Chöre und die Letten aus dem Inland und Ausland kamen in Riga zusammen. Beim Schlusskonzert standen 20 000 Sänger - alle in unterschiedlichsten lettischen Trachten - auf der Bühne. Es war ein erhebender Anblick, eine ergreifende Musik, und wir hatten den Eindruck, „ein ganzes Volk singt”.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Sonja Aevermann

Friedensstr. 20

65719 Hofheim

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