Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(15): 837
DOI: 10.1055/s-2004-823052
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gesundes Leben und die Kostenexplosion im Gesundheitswesen - Zuschrift 1

Zum Beitrag aus DMW 7/2004
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Publication Date:
31 March 2004 (online)

Zu diesem Brief bewogen hat mich vor allem der Verweis auf die „Gutmenschen“ [1]. Ich will nämlich lieber ein Gutmensch sein als das Gegenteil; das ist ja wohl ein „Bösmensch“. Es ist Ausdruck geänderter moralischer und sozialer Werte, dass ein zunächst satirisch gemeinter Begriff heute problemlos Argumente ersetzt.

Aber zur Sache: Als Internist und Psychotherapeut freue ich mich über jeden Raucher, der es schafft, abstinent zu werden. Ich selber habe übrigens nie geraucht. (Rauchen Gutmenschen eigentlich weniger als andere?) Ich freue mich aber für meine Patienten und nicht für die Volkswirtschaft. Je mehr Raucher, desto besser für die Volkswirtschaft! Raucher schaffen Arbeitsplätze in der Zigarettenindustrie, im Gesundheitswesen und der Werbebranche, füllen das Steuerloch des Staates und entlasten die Renten- und Pflegeversicherung. Aber auch für die Krankenversicherung ist es besser, jemand stirbt mit 60 Jahren am plötzlichen Herztod, als dass er 90 Jahre bei relativ guter Gesundheit wird, sich dann eine Schenkelhalsfraktur zuzieht, nach Operation und mehrwöchiger Intensivbehandlung wegen einer Pneumonie pflegebedürftig wird... Und vielleicht nur wegen gesunder Lebensführung so weit gekommen ist.

Sie werden mir zustimmen, dass diese Überlegungen zynisch sind. Aber gerade deshalb hat unsere rot-grüne Bundesregierung doch den Widerstand ihrer Vorgängerregierung gegen das Tabak-Werbeverbot erfolgreich fortgesetzt. Und deswegen hängen überall Zigarettenautomaten, an denen Kinder sich bedienen können. Bleiben wir in unserer Profession doch dabei: In erster Linie sind wir dem Wohl unserer individuellen Patienten verpflichtet, und nicht der Volkswirtschaft. Und zweitens ist Gesundheitsfürsorge teuer. (Auch Prävention, die sich bestenfalls nach Jahren auszahlt - nur werden wir dann schon wieder älter!) Wenn die Gesellschaft das nicht bezahlen will, ist das eine politische Entscheidung und keine medizinisch begründbare.

Zu Ihrem Beispiel des unfallsicheren Oberklassewagens für alle. Das wäre gerade keine Prävention, weil sich dadurch die Durchschnittsgeschwindigkeit und Unfallzahl auf unseren Straßen erhöhen würde. (Der Airbag gehört in jedes Auto, auch den Kleinwagen.) Prävention hieße strenge Geschwindigkeitsbegrenzung und Null-Promille-Grenze. Ich bin jahrelang NAW in einem ländlichen Gebiet gefahren und weiß, wovon ich spreche. Aber damit werde ich für unseren Autokanzler, den ADAC und die Bild-Zeitung, bis hin zu meinem Nachbarn (und manchen Ordinarius mit unfallsicherem Oberklassewagen) ganz schnell zu einem gefährlichen Bösmenschen.

Im Ernst: Wenn Sie Raucher von bestimmten Leistungen ausschließen wollen, wie ist es dann mit Alkoholnutzern? Ab welcher Promillegrenze soll jemand, der das zweite Mal nach Alkoholgenuss in einen Autounfall verwickelt ist, wegen seiner Knochenbrüche nicht mehr operiert werden? Wie oft darf man rasen, bevor man sein Recht auf unfallchirurgische Therapie verwirkt hat? Wie ist es mit Extremsportlern? Wie mit dem Freizeitsportler, der trotz Gonarthrosen das Tennisspielen nicht lassen kann? Wie mit der Frau, die dem Rat ihres Hausarztes nicht folgt, sich vom gewalttätigen Ehemann zu trennen, und deshalb auf Antidepressiva angewiesen ist?

Wir Ärzte kommen in Teufels Küche, wenn wir uns erst einmal auf solche Diskussionen einlassen. Nur ein Argument lasse ich gelten: Wenn ein Patientenverhalten den Erfolg einer medizinischen Maßnahme verhindert, kann man ihm damit nur schaden. Eine Herztransplantation bei einem aktiven Alkoholiker ist kontraindiziert, weil er die notwendige nachfolgende Therapie und Überwachung nicht zuverlässig genug durchführen kann, aber nicht etwa aus moralischen Gründen. Ihr Patient mit instabiler Angina pectoris kann aber von einer interventionellen Therapie profitieren. (Gibt es Studien, die den Nutzen bei Rauchern und Nichtrauchern vergleichen?)

Im übrigen, mein Standardspruch für Raucher ist: „Sie nutzen dem Finanzminister, der Rentenkasse, der Wirtschaft und auch mir als Ihrem Arzt. Die einzigen, denen Sie schaden, sind Sie selbst und Ihre Familie. So mancher ist da zumindest nachdenklich geworden.

Literatur

  • 1 Erdmann E. Gesundes Leben und die Kostenexplosion im Gesundheitssystem.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 331

Dr. Peter Strohmaier

Meisterweg 35

21337 Lüneburg

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