DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2004; 2(02): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-818839
DOLife
DOLife
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

Das Unmögliche wagen

Christoph Newiger
Further Information

Publication History

Publication Date:
01 July 2004 (online)

Simon Fielding

Ein Augenblick kann manchmal das ganze Leben ändern. Bei Simon Fielding war es ein schwerer Unfall, den er vor 15 Jahren erlitten hatte. Von einem Moment auf den anderen wurde er gezwungen, seinen bisherigen Beruf aufzugeben.

Was kann es Schlimmeres für einen Osteopathen geben, der mit Überzeugung und Leidenschaft tagtäglich seine Patienten in der eigenen Praxis behandelt? Und wo stünde heute die Osteopathie in England - aber auch europaweit - hätte sich Simon Fielding nach diesem Unfall nicht mit noch mehr Engagement in die Berufspolitik gestürzt? Hätte, wäre, wenn - der Erfolg hat gern viele Väter. Der Osteopaths Act, mit dem 1993 die Osteopathie im Vereinigten Königreich gesetzlich anerkannt wurde, ist untrennbar mit nur einem Namen verbunden: Simon Fielding.

Schlüsselerlebnisse

Für die Medizin hatte sich Simon Fielding schon von Klein auf interessiert. Mit zwölf Jahren stürzte er von einem Pferd und zog sich dabei anhaltende Kopfschmerzen zu. Eine sechsmonatige, schulmedizinische Behandlung brachte keinen Erfolg. Daraufhin untersuchte ihn ein Osteopath und stellte eine bilaterale Posteriorisation des Okziputs fest, die er erfolgreich behandelte. Die Kopfschmerzen verschwanden und die Osteopathie hatte einen ihrer glühendesten Anhänger gefunden.

Damals war die Osteopathie noch weit davon entfernt, anerkannt zu sein. Simon Fielding erinnert sich noch gut an jenes Sonntagsessen, bei dem er seinen Eltern offenbarte, dass er Osteopath werden wolle. Die Eltern hatten einen befreundeten, namhaften Chirurgen eingeladen, der bei Simons Verkündung beinahe am Sonntagsbraten erstickt wäre: "Wie kann euer Spross einen solchen abwegigen Beruf überhaupt in Betracht ziehen?", fragte er fassungslos Simons Mutter und bestärkte damit Simon nur in seinem Vorhaben.

Jahre später kam es zu einem weiteren, bezeichnenden Erlebnis: Simon Fielding arbeitete bereits als Osteopath in eigener Praxis, als ihn eines Tages eine junge Mutter aufsuchte, die an Beschwerden im Lendenwirbelbereich litt. Ihm gelang es, die Frau von ihren Schmerzen zu befreien, was diese ihrem Hausarzt berichtete. Doch dieser reagierte verärgert, weil sie sich einem "nicht ärztlichen Praktiker" anvertraut hatte und strich sie kurzerhand aus seiner Patientenkartei.

Zoom Image
Simon Fielding OBE D.O. (hier mit seiner Frau Deborah) wurde am 14.01.1953 in England geboren. "Osteopathie", so sagt er, "hat viel mit persönlicher und spiritueller Entwicklung zu tun. Viele, unter ihnen auch einige Osteopathen, haben deren enormes Potenzial und deren Beitrag, der die Osteopathie für das Gesundheitswesen leisten kann, noch nicht erkannt."

#

Der lange Weg zur Anerkennung

Für Simon Fielding war dies der Auslöser, sich nun für die Anerkennung der Osteopathie einzusetzen. Die Ausgangslage war alles andere als vielversprechend. Seit den 1930er Jahren waren vier Gesetzentwürfe gescheitert, zudem gab es konkurrierende Verbände, die alle die Osteopathie für sich beanspruchten.

Simon Fielding war damals Mitglied der Society of Osteopaths und als solcher nicht berechtigt, in den übermächtigen General Council and Register of Osteopaths (GCRO) aufgenommen zu werden. Zwei Jahre intensiver politischer Arbeit waren nötig, um den GCRO zu überzeugen, Mitglieder der Society in die eigenen Reihen zu integrieren. Zwei dieser Mitglieder gelangten dann in den Vorstand des GCRO, einer von beiden war Simon Fielding.

Bei jedem Vorstandstreffen brachte er das Thema der rechtlichen Anerkennung auf den Tisch und erhielt immer wieder die gleiche Abfuhr: es sei aussichtslos und nur vergeudete Arbeitszeit. Irgendwann aber gab der Vorsitzende seinen Widerstand auf und sagte: "Simon, wenn Du das wirklich umsetzen willst, dann geh und tu es".

Gesagt, getan; unter Nutzung der sogenannten Ten Minute Rule Bill wurde nur sechs Monate später ein erster, kurzer Gesetzentwurf im britischen Parlament präsentiert. Nun galt es, alle Mitglieder des britischen Unterhauses von der Notwendigkeit der rechtlichen Anerkennung zu überzeugen. Dazu erhielt jeder Osteopath im Vereinigten Königreich von Simon Fielding ein Paket mit Informationen und Anweisungen, wer sein Abgeordneter sei, wie er diesen zu kontaktieren und was er dabei vorzutragen habe. Um diese Paketaktion durchzuführen, standen ihm vier wichtige Helfer zur Seite: seine Frau, seine beiden Kinder und seine Sekretärin. Als Arbeitsplatz diente der Tisch zu Hause...

Der Erfolg der Aktion war überwältigend: jeder einzelne Abgeordnete kannte nun die Osteopathie und die allermeisten waren auch bereit, sie unabhängig vom politischen Couleur zu unterstützen.

Da die Regierung aber kein eigenes Osteopathiegesetz erstellen würde, blieb nur die sehr vage Möglichkeit des Private Member’s Bill: der Gesetzestext musste über einen Abgeordneten der Opposition eingebracht werden und benötigte die Unterstützung der Regierung und der Vertreter der Schulmedizin. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.

Da kam Hilfe von zweithöchster Stelle im Königreich. Prinz Charles lud die Vorsitzenden der Ärztegesellschaften sowie den Gesundheitsminister und seinen Stellvertreter zu einem Mittagessen ein und bat Simon Fielding, über die Osteopathie zu referieren. Unter der geschickten Moderation des Prinzen kam man schnell darin überein, dass die Osteopathie die rechtliche Anerkennung verdiene, die Regierung dies zu unterstützen habe und eine Arbeitsgruppe gegründet werden solle, um die Details des künftigen Gesetzes auszuarbeiten. Eineinhalb Jahre später hatte diese Arbeitsgruppe einen ausführlichen Gesetzesentwurf erstellt, der trotz Neuwahlen den Weg ins Parlament fand und am 1. Juli 1993 als Osteopaths Act verabschiedet wurde. Achtzig Jahre hatte die Osteopathie gebraucht, bis sie mit Hilfe von Simon Fielding endlich ihre rechtliche Anerkennung in England gefunden hatte.


#

Vom Osteopathen zum Offizier

Der Preis für diesen Erfolg war hoch. Simon Fielding, der in der Zwischenzeit unfallbedingt ohne Arbeit war, investierte über Jahre hinweg bis zu 70 Wochenstunden in die Anerkennung der Osteopathie. Unentgeltlich, da er hierfür keinen Penny erhielt. So musste seine Frau für die vierköpfige Familie aufkommen, während er bis zu fünf Mal die Woche von Maidstone nach London reiste, um an den zahlreichen Arbeitstreffen teilzunehmen. Im Gesundheitsministerium scherzte man über den anfangs noch Gehbehinderten: Mit seinem Krückstock sei er genau die richtige Werbung für den eigenständigen Beruf des Osteopathen!

Doch sein unermüdlicher Einsatz fand Anerkennung. 1995 wurde Simon Fielding für seine Bemühungen von der Queen zum "Officer of the British Empire" ernannt. Seitdem ziert das Kürzel OBE seinen Namen. Im darauffolgenden Jahr wurde mit Zustimmung des Geheimen Staatsrates der Allgemeine Osteopathische Rat (General Osteopathic Council, GOsC) gegründet und Simon Fielding auf Drängen des Staatsrates zu dessen ersten Vorsitzenden ernannt. Damit hatte man ihm die Verantwortung übertragen, sein Gesetz auch mit Leben zu erfüllen. Die größte Anerkennung erhielt er aber von Seiten der Schulmedizin. Nach Jahrzehnten der Anfeindung suchten ihn Vertreter des Allgemeinen Medizinischen Rates auf, um nach Vorbild des Osteopathen-Gesetzes das eigene ÄÄrzte-Gesetz zu modernisieren. Was für eine Genugtuung!


#

The Rolling Bone

Seine Biographie hat Simon Fielding keineswegs zu einer ernsten und verbissenen Person werden lassen. Humor, so verrät er, und sich selbst nicht immer ernst nehmen, waren wesentlich, um die Osteopathie zur Anerkennung führen zu können. Und so gibt es neben dem "offiziellen" und mit zahlreichen Auszeichnungen geehrten Simon Fielding auch den privaten, unkomplizierten Menschen, der zu Studentenzeiten als Perkussionist einer Rock-Band unter anderem durch Deutschland tourte und später als Dozent der ESO mit Kollegen als "Rolling Bones" auftrat. Noch heute liebt er gute Rock- und klassische Opernmusik, und würde gern akustische und elektrische Gitarre spielen lernen.

Vor zwei Jahren hat Simon Fielding den Vorsitz des GOsC an seinen Nachfolger abgegeben. Seitdem ist er Vorsitzender des Rates der Prince of Wales Stiftung für integrierte Gesundheit. Das Interesse an der Medizin liegt in der Familie: Mit seiner Frau Deborah, eine gelernte Krankenschwester und Akupunkteurin, die mittlerweile gern Häuser renoviert, hat er zwei Töchter.

Hannah (25) ist Zahnärztin und Charlotte (23) arbeitet als Logopädin.

Vor einigen Jahren hat sich die Familie ein eigenes Haus in Spanien gekauft, das zurzeit renoviert wird. Diesen Sommer, so gesteht er schmunzelnd, wird er sich einen alten Traum erfüllen, den er seit einem Blick über Nachbars Zaun im Alter von vier Jahren hegt: endlich in einem dann hoffentlich fertiggestellten, eigenen Schwimmbad zu baden.


#