DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2004; 2(01): 30-31
DOI: 10.1055/s-2004-818833
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

John Martin Littlejohn, Vater der europäischen Osteopathie

Christian Hartmann
Ammerseestr. 52, 82396 Pähl
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Publication History

Publication Date:
17 February 2004 (online)

John Martin Littlejohn wurde am 15.02.1865 in Glasgow als Pfarrerssohn geboren. Trotz bitterster Armut war das Elternhaus vom humanistischen Geist erfüllt. Der kränkliche aber hochintelligente und wissbegierige John Martin begann eine sprachwissenschaftliche Ausbildung in Nordirland, studierte Theologie und wurde Pfarrer. Doch schon nach wenigen Monaten wurde er von der Gemeinde entlassen. Offensichtlich hatte er allzu sehr das Entzücken einiger junger Damen geweckt. So kehrte er nach Glasgow zurück, erwarb mehrere Abschlüsse und Auszeichnungen in Jura, Theologie, Medizin, Philosophie und Soziologie und hielt 1886/87 seine ersten Vorlesungen. Zu diesem Zeitpunkt begann er an ernsten Blutungen im Hals zu leiden, die ihn zum Klimawechsel zwangen. Eine große Universitätskarriere fand damit ihr jähes Ende.

Amerika

1892 siedelte er mit seinen Brüdern James und William nach Amerika über und setzte seine Studien an der Columbia University in New York fort. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen übernahm der introvertiert barsche, aber brillant und vielseitig gebildete Analytiker schon bald die Leitung des Amity College in College Springs, Iowa. Seine Beschwerden wurden nicht besser und so kam es 1895 in Kirksville zur schicksalhaften Begegnung mit A.T. Still. Bereits eine Behandlung führte zur deutlichen Linderung. "Damals hatte ich bis zu sechs Blutungen täglich, aber seit jenem Tag hatte ich bis heute nicht einmal sechs Blutungen insgesamt."

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J. M. Littlejohn (1865-1947)
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Blanche Still 1906

Still benötigte dringend qualifizierte Lehrer an seiner 1892 gegründeten American School of Osteopathy. So bot er Littlejohn einen Posten als Physiologielehrer an. Tief beeindruckt von Stills Osteopathie kündigte dieser seinen renommierten Posten, begann 1897 seine Arbeit in Kirksville, schrieb sich 1898 als Student ein und wurde noch im selben Jahr Schuldekan. W.G. Sutherland war zu dieser Zeit nicht nur Schüler, sondern auch Studienkollege von Littlejohn. Da Letzterer bereits einige Aufsätze über Eigenbewegungen innerhalb des Schädels geschrieben hatte, darf man hierin einen nicht unerheblichen Einfluss auf Sutherlands spätere Entdeckung der kranialen Osteopathie vermuten.

Innerhalb der Fakultät gab es jedoch inzwischen einen tiefen Konflikt: Stills Anhängern galt der anatomische Zugang zur Osteopathie als heilig. Littlejohn und seinen Brüdern schien dies zu einfach; sie betrachteten die komplexere Physiologie als Kern der Osteopathie. Auch gab es einen weiteren, zeitlosen Konflikt: Akademisch gebildete Ärzte standen praxisorientierten Osteopathen gegenüber.

Zu allem Überfluss verliebte sich Littlejohn in die attraktive und gesellige Blanche Still. Seine gut gemeinten Avancen in Form von Lexika schienen allerdings nicht gerade passend und so wurde er zurück gewiesen. Als er schließlich auch als Dekan abgesetzt wurde, kam es zum endgültigen Bruch mit der ASO.


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Chicago

Mit seinen Brüdern, die ihn seit Glasgow begleitet hatten, ging er nach Chicago und gründete dort 1900 das Chicago College of Osteopathy. H. H. Fryette, Absolvent der ASO und Lehrer in Chicago beschrieb den Umzug mit den Worten: "Er nahm den Verstand mit sich."

Der Unterricht wurde in den theoretischen Fächern erweitert und die Physiologie als Kernfach etabliert. Trotz der ablehnenden Haltung der American Osteopathic Association florierte die Schule und entwickelte sich zu einer der wichtigsten wissenschaftlichen Quelle der frühen Osteopathie. 1910 wurde auf Betreiben der American Medical Association der Flexner-Report erstellt. Danach erhielten nur noch jene Institutionen staatliche Fördermittel, die universitäre Curricula und Standards aufweisen konnten. Man vermutet, dass der inzwischen verheiratete Littlejohn mit seinem feinen Gespür für politische Entwicklungen die verheerenden Folgen des Reports für die Unabhängigkeit der Osteopathie vorausgesehen hatte und daher einen Neuanfang in England vorzog.


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England

1913 zog die inzwischen achtköpfige Familie Littlejohn nach Bagger Hall nahe London um und John Martin begann noch während der Kriegsjahre mit "Krankenhausarbeit" und "Unterweisungen". 1917 gründete er mit der British School of Osteopathy in London und dem Journal of Osteopathy das osteopathische Fundament Europas. Bereits 1898-1902 hatte er die Osteopathie in England, Frankreich, Deutschland und Österreich vorgestellt. Aber auch in England hatte er sich schon bald den Angriffen der 1911 als Ableger der AOA gegründeten British Osteopathic Association und der British Medical Association zu erwehren. 1935 führte eine Kampagne der BMA zur ’Parliamentary Bill’ und verweigerte der Osteopathie die Anerkennung. Dann kam der Zweite Weltkrieg und die BSO schrumpfte auf eine kleine Klinik zusammen. 1947 verstarb schließlich der Begründer der europäischen Osteopathie in Bagger Hall.


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Nachwort

Stellt A.T. Still die Seele der Osteopathie dar, so ist John Martin Littlejohn unbestritten ihr Verstand. Er erweiterte ihr Konzept und legte damit den Grundstein für ihren späteren Siegeszug in Amerika. Die europäische Osteopathie wäre in der heutigen Form ohne ihn undenkbar und es bleibt zu hoffen, dass sein Wissen und seine Philosophie auch in Deutschland wieder mehr Gehör finden.

Bildrechte: © Still National Osteopathic Museum


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  • 1 Wernham J.. The Life and Times of John Martin Littlejohn. 1999 Eigenverlag.