manuelletherapie 2004; 8(3): 127-129
DOI: 10.1055/s-2004-813347
Kongressbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Balancing the Outcome of Manual Therapy

8th Conference of the International Federation of Orthopaedic Manipulative Therapists, Kapstadt/Südafrika, 21. - 26.3.2004T. Davies-Knorr1
  • 1Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Klinikum der Universität München
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Publication Date:
19 August 2004 (online)

Eine Vision der International Federation of Orthopaedic Manipulative Therapists (IFOMT) ist „die weltweite Förderung hochwertiger und einheitlicher klinischer und akademischer Standards in der Manuellen/Muskuloskelettalen Physiotherapie”. Mit über 750 Teilnehmern aus 40 Ländern gelang mit dem 8. IFOMT-Kongress sicherlich, eine „weltweite” Perspektive zu zeigen (Abb. [1]). Sowohl die Vorträge als auch die berufspolitischen Aspekte des Kongresses konnten einen Beitrag zur Verbesserung von Standards und Kommunikation zwischen Forschung und Klinik leisten.

Abb. 1 Einige deutsche und österreichische Teilnehmer.

Die wunderschöne Stadt mit ihrem Umfeld am südlichsten Zipfel von Afrika und das neue Cape Town International Conference Centre boten optimale Bedingungen für einen gelungenen Kongress. Die Organisation lag bei der Südafrikanischen Manuellen Therapie Gruppe (OMTG) des Nationalen Physiotherapie-Verbandes in Zusammenarbeit mit der Universität Cape Town und der IFOMT. Diese Aufgabe meisterten sie mit Bravour und es gelang ihnen, ein abwechslungsreiches Programm mit einem breiten Spektrum manueller therapeutischer Themen zusammenzustellen.

Die Vormittage waren für die Vorträge der Keynote und Invited Speakers reserviert. Nachmittags fanden parallele Sessions mit freien Vorträgen oder Kurzseminaren statt. Pre- und Post-Kongress-Kurse sorgten für das praktische Element.

Mit dem Hauptthema Balancing the Outcome of Manual Therapy reflektierten die südafrikanischen Organisatoren die aktuellen Wünsche nach weltweit besserer Kommunikation zwischen Klinikern und Forschern und nach Förderung eines besseren Transfers von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Die augenscheinlichen Probleme bei der Bemühung, die Forschung für Patienten relevant zu machen und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Evidence-based Clinical Practice wurden bereits am 1. Tag deutlich.

Mark Jones (Australien) argumentierte in seinem Keynote-Vortrag für eine Mischung aus quantitativer und qualitativer Forschung, „[...] damit das ganze Bild einbezogen wird” und die Patientenperspektive nicht verloren geht. „Quantitative Forschung alleine berücksichtigt die individuelle Behinderung und Erlebnisse nicht, Fragebögen als einzige Beurteilung dieser Aspekte sind unzureichend”.

Am 2. Tag wurde ein ganze Session der Evidence-based Manuellen Therapie gewidmet (Balancing the Outcome in Evidence). Professor Kari Bo (Norwegen) beschrieb die Gefahr, auf Statistiken zu fokussieren, ohne die Qualität der Intervention zu betrachten. Nach ihrer Erfahrung basieren die Schlussfolgerungen von Metaanalysen und Cochrane Reviews im Bereich der Physiotherapie auf inhomogenen Studien, womit sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Sie meint, es ist besser, sich auf eine gute randomisierte kontrollierte Studie (RCT) als auf eine Metaanalyse vieler schlechter RCT zu konzentrieren. Anita Gross (Kanada) diskutierte die Probleme, angesichts unzureichender Forschung angemessene Leitlinien zu entwickeln. Aber wie lassen sich diese Aspekte verbessern?

In einer weiteren Session des 2. Tages argumentierte Professor Gwen Jull (Australien), es scheint zunehmend klar, dass in Forschung und Klinik berücksichtigt werden muss, welche Patientengruppen von unseren Interventionen profitieren und welche nicht. Informationen darüber erlauben klinisch relevante Rückschlüsse. Aus klinischer Erfahrung ist auch bekannt, dass nicht jeder Patient mit einer bestimmten Diagnose gleichermaßen von der Physiotherapie profitiert. Dabei stellen sich folgende Fragen:

Warum ist dies so? Welche Patienten profitieren von der Therapie? Lassen sich die profitierenden Patientengruppen identifizieren?

In den letzten Jahren nahmen sich die Wissenschaftler der Manuellen und Physiotherapie dieser Fragen zunehmend an. Ein Trend zum Erkennen von Untergruppen war auch in Kapstadt deutlich.

Prof. Jull untermauerte ihre Aussage während der Plenarsitzung Balancing the Outcome in Management mit den Forschungsergebnissen aus ihrer Whiplash-(WAD)-Gruppe. Patienten nach Beschleunigungstrauma, die anfängliche mechanische oder thermische (Kälte-) Hyperalgesie aufwiesen, zeigten schlechteres Outcome als diejenigen ohne Hyperalgesie. In dieser Untergruppe waren die Patienten zudem auffälliger bezüglich dem psychosozialen Befund und anderen körperlichen oder sensomotorischen Beeinträchtigungen wie Beweglichkeit und Kinästhesie. Ein Muster zeichnet sich ab, das uns eventuell hilft, Patienten zu erkennen, die von Therapie profitieren werden.

Julie Fritz (USA) beschrieb eine auf Behandlung basierende (Treatment based) Klassifikation für die Evaluation und Behandlung von Patienten mit Kreuzschmerzen. Wim Daenkaerts (Belgien) stellte eine klinische Klassifikation des Kreuzschmerzes anhand einer Fallstudie vor. Die verschiedenen diskutierten Möglichkeiten der Klassifikation können helfen, die Therapie besser zu planen und z. B. zu erkennen, wenn ein multiprofessioneller Ansatz angebracht ist (Jull, Jones).

Die zunehmende Bestätigung und Berücksichtigung der wichtigen Rolle des ZNS bei muskuloskelettalen Problemen stellen einen weiteren Trend dar. Dr. Paul Hodges und Dr. Lorimer Moseley gaben einen Einblick in ihre Arbeit im Bereich der Motor Control. Prof. Tim Noakes (Professor of Exercise and Sports Science der Universität Kapstadt) präsentierte eine zum Nachdenken anregende Hypothese, dass muskuläre Erschöpfung (Fatigue) nicht durch Muskelphysiologie, sondern durch einen zentralen Prozess gesteuert wird, der versucht, den Körper gegen Organversagen zu schützen. Ein Regler (Governor) im unbewussten ZNS überwacht während körperlicher Anstrengung die Funktion der Organe. Ist ein Organ in Gefahr, schaltet er sich ein und verursacht muskuläre Erschöpfung, damit die Person mit der Anstrengung aufhören muss.

Viele Beiträge diskutierten auch die Kognition und Lernprozesse der Patienten und die Implikationen, bei denen die Physiotherapie angewendet wird. Dr. Paul Watson (Großbritannien) meinte, didaktische Unterstützung ist nicht ausreichend: „Schmerzen sind ein Produkt aus persönlichem Lernprozess, Kultur, Vorstellungen, Überzeugungen und Verständnis. Wenn wir Schmerzen haben, wird unser Verhalten davon getrieben. Wenn wir den Kontext nicht verstehen, in den die Schmerzen eingebettet sind, verstehen wir auch das Leiden des Patienten nicht. Schmerz ist eine psychische und körperliche Erfahrung.”

Während der Woche hörten die Teilnehmer sehr viel über den multifaktoriellen Charakter der funktionalen Gesundheit und Behinderung. Viele der wissenschaftlichen Beiträge bezogen sich auf ein biopsychosoziales Modell von Gesundheit, andere konzentrierten sich auf einen Aspekt.

Ein eher auf der Ebene der Körperstruktur und Funktion angesiedelter Vortrag ist hervorzuheben. Dr. Jane Greening aus Großbritannien zeigte in ihrer Arbeit, dass geringfügige Verletzungen von Nerven durch neurologisches Standardscreening und Nervenleitgeschwindigkeitstests nicht feststellbar sind. Anhand von Echtzeit-Ultraschall-Untersuchungen konnte sie zeigen, dass die Neurodynamik des N. medianus bei Patienten nach Beschleunigungstrauma und mit Nonspecific Arm Pain verändert ist. Bei unklaren Armschmerzen könnte Ultraschall als nichtinvasive Untersuchungsmethode eingesetzt werden.

Andere interessante Sessions behandelten eine Reihe von Themen mit dem Leitthema des Transfers von der Forschung zur Klinik. Am Mittwoch waren Sportverletzungen mit Beiträgen zu Tendopathien (Dr. Karim Khan, Kanada), Patellarsehnenverletzung (Dr. Jill Cook, Australien), wiederholte ischiokrurale Verletzung (Gisela Sole, Neuseeland) und ein ausgezeichneter Beitrag über patellofemorale Schmerzen von Dr. Kim Bennell (Australien) an der Reihe. Die 2. Mittwochsveranstaltung hatte Exercise Therapy als Thema.

Am Donnerstag waren die Hauptthemen Schmerzmanagement und Ergonomie mit beeindruckenden Beiträgen von Dr. Paul Watson (GB), Dr. Lorimer Moseley (Australien) und Prof. Leon Straker (Australien), der in eindrucksvoller Weise darstellte, welche Konsequenzen die „Computerrevolution” für unseren Bewegungsapparat hat und in Zukunft haben wird! Seine Forschung zeigte, dass in Kanada 5 % der Kinder in einer Klasse von 12-jährigen beim Benutzen eines Laptops über Rückenbeschwerden klagten. Vergleichsweise litten beim Fernsehen 13 % an Rückenschmerzen.

Eine Podiumsdiskussion am Freitag rundete die Woche ab. Die Keynote-Sprecher waren eingeladen, ihre Eindrücke vom Kongress und ihre Ausblicke für die Zukunft zu schildern. Hier konnte sich der reine Kliniker gut wiederfinden. Alle Podiumsmitglieder waren sich einig, dass die Forschung für den Patienten und die Kliniker arbeiten muss. Dafür sind sensitive und klinisch nutzbare Messinstrumente ebenso wie eine bessere Vorstellung erforderlich, wer von Manuelle Therapie profitiert.

Am Mittwoch Nachmittag fand die Generalversammlung der IFOMT statt, bei der 17 Mitgliedsorganisationen (MO) vertreten waren. Als neues IFOMT-Mitglied wurde die italienische Organisation (Gruppo di Terapia Manuale, GTM/AIFI) aufgenommen. Derzeit gibt es weitere 10 Registered Interest Groups als Anwärter für eine Aufnahme als Mitgliedsorganisation.

Prof. Gwen Jull wurde als besondere Anerkennung für ihre langjährige Unterstützung der IFOMT, insbesondere als Mitglied des Standards Committee zum Ehrenmitglied ernannt.

Aufregend war auch die Übernahme eine Definition der OMT:

Orthopädische Manuelle Therapie ist ein spezialisierter Bereich der Physiotherapie zur Behandlung neuromuskuloskelettaler Störungen. Sie basiert auf Clinical Reasoning und setzt hoch spezifische Vorgehensweisen der Behandlung ein, wie z. B. manuelle Techniken und therapeutische Übungen (Orthopeadic Manual Therapy is a specialized area of physiotherapy/physical therapy for the management of neuro-musculo-skeletal conditions, based on clinical reasoning, using highly specific treatment approaches including manual techniques and therapeutic exercises).

Orthopädisch Manuelle Therapie umfasst und wird angetrieben durch verfügbare wissenschaftliche und klinische Evidenz und dem biopsychosozialen Rahmen jedes individuellen Patienten (Orthopaedic Manual Therapy also encompasses, and is driven by, the available scientific and clinical evidence and the biopsychosocial framework of each individual patient).

Zum neuen IFOMT-Präsidenten wurde Michael Ritchie aus Kanada gewählt. Marina Wallin (Schweden) übernimmt das Amt der Vizepräsidentin, und die neuen Mitglieder des Executive Committee sind Annalie Basson (Südafrika), Duncan Reid (Neuseeland) und Lothar Jörger (Deutschland). Mit Letzterem hat die Manuelle Therapie im deutschsprachigen Raum nun ein Sprachrohr auf höchster IFOMT-Ebene.

Weitere allgemeine Informationen zu Manueller Therapie und IFOMT sind auf deren neuer Website www.ifomt.org zu finden.

Der nächste IFOMT-Kongress findet 2008 in Rotterdam (Niederlande) statt. Vielleicht ist der Veranstaltungsort für Europäer nicht so attraktiv wie Südafrika, aber er wird sicherlich wieder die Möglichkeit bieten, sich neu zu informieren, von den führenden Denkern unseres Fachgebiets anregen zu lassen, alte Freunde wieder zu sehen und neue Freundschaften zu schließen.

See you there!

Trisha Davies-Knorr

Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Klinikum der Universität München

Ziemssenstraße 1

80336 München

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