intensiv 2004; 12(2): 92-93
DOI: 10.1055/s-2004-813006
Leserbrief

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gratwanderung bei der Reduzierung von Personalkosten - Erfahrungsbericht über die Rufbereitschaft im OP mit je einer OP- und Anästhesiepflegekraft.

P. Kaufmann
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Publication Date:
30 March 2004 (online)

Kompromisslose Ablehnung der Personalreduzierung in der OP-Rufbereitschaft

Begründung

Das Resümee von Hr. Kaufmann, in der Rufbereitschaft im OP mit je einer OP-und Anästhesie-Pflegekraft auszukommen, ist ohne Wenn und Aber strikt abzulehnen!

Hr. Kaufmann meint nicht ohne Grund, sein Vorschlag zur Personalreduzierung sei eine Gratwanderung. Bei einer Gratwanderung befindet man sich auf einer „schmalen, schroffen Kante eines Bergrückens”, von dem man durch den geringsten Fehltritt in die Tiefe stürzen kann!

Hr. Kaufmann will, wie er selbst äußert, die Problematik aufzeigen und Anregungen bei der Durchführung geben, weil er der Meinung ist, dass diese Maßnahme in Fachkreisen nicht ausreichend diskutiert wird. Dieser Auffassung möchte ich widersprechen. In einer Ausgabe vom Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA), Juni 2002, Jahrgang 2, Ausgabe 2, wird eine Stellungnahme hierzu in dem Artikel „Pflegerische Assistenz - notwendig oder entbehrlich ?” abgegeben. Die Kernaussage des Artikels lautet: Auch wenn wir unter knappen ökonomischen Ressourcen mit Kompromissen leben müssen, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung bei der Abwägung zwischen Wirtschaftlichkeitszwängen und Sorgfaltspflichten bis heute noch Letzteren absoluten Vorrang einräumt, und sich daher nicht sicher vorhersagen lässt, ob und welche Kompromisse die Rechtsprechung billigen wird [1].

Der Fall

Was die Rechtsprechung nicht billigt, möchte ich mit meinem persönlichen Erlebnis unterstreichen. Nach meiner Fachpflegerausbildung arbeite ich nun schon im 27. Jahr in einem Krankenhaus der Grundversorgung mit ca. 200 Betten, fest integriert Unfall- und Bauchchirurgie, Innere Medizin, als Belegärzte operative Fachrichtungen. Bis vor acht Jahren Gynäkologie und Geburtshilfe, die aufgrund des Bettenbedarfsplans geschlossen wurde.

Wir hatten auch den fachübergreifenden Rufbereitschaftsdienst, wo sich OP- und Anästhesiepflegepersonal ergänzten - bis zu jenem Abend, wo es zur unaufschiebbaren Notoperation kam und der Patient bei der Einleitung erbrach, der Anästhesist nur nach mehreren Versuchen den Tubus applizieren konnte. Der Patient verstarb nach sechswöchigem Koma.

Die Rechtsprechung

Es kam nach Verhör bei der Kriminalpolizei zu Gutachten und Gegengutachten, bis nach vier Jahren das Prozessverfahren eröffnet wurde. Angeklagt war der Anästhesist, ich war u. a. als Zeuge geladen, da ich erst nach dem Ereignis wie der Chefarzt der Anästhesie hinzugerufen wurde. An diesem Abend hatte der OP-Springer für die Anästhesie Dienst, eine Aufgabe, der er schon fünf Jahre nachging und auch tagsüber bei Bedarf mithalf. Dem Staatsanwalt gegenüber beteuerte er, „dass er nie als Anästhesiepfleger ausgebildet wurde und in dieser Situation überfordert war!” Neben der Geldstrafe für den Anästhesisten wurde dem Krankenhausträger Organisationsverschulden vorgeworfen, weil dem Anästhesisten keine kompetente Anästhesiepflegekraft zur Seite stand. Gemäß einer Expertenempfehlung „sollte”, so die einschlägige, verlesene Richtlinie, ein solcher Helfer stets zur Verfügung stehen [2]!

Bereits am Tag nach dem tragischen Ereignis stellten mein Kollege und ich die Anästhesie-Rufbereitschaft mit jeweils 15 RD im Monat, bis es durch Neueinstellung in den darauffolgenden Jahren zur Entlastung kam. Eigentlich wäre mit dieser Tatbestandsschilderung zur Notwendigkeit der pflegerischen Assistenz in der Rufbereitschaft alles gesagt.

Goldstandard

Trotzdem möchte ich ohne Wenn und Aber darauf beharren, dass in der Rufbereitschaft ein so genannter „Goldstandard” gewährleistet wird, der sich aus einer Instrumentier-Springer- und Anästhesiepflegekraft zusammen setzt, um den Operateur und Anästhesisten fachgerecht und ohne Hetze zu unterstützen, zum Wohl und zur Sicherheit des sich uns anvertrauenden Patienten. Personell, fachlich und gerätetechnisch gut ausgerüstet, können Ausnahmesituationen gemeistert werden. Es muss niemand, wie Hr. Kaufmann in seinem Rückblick aufzeichnet, durch Doppelbelastung und daraus entstehenden psychischen Druck scheitern.

Fazit

In Zeiten von Qualitätsmanagement, Richtlinien, Normen, Expertenstandards, Zertifizierung und mehr würde eine solche Personalreduzierung ein „15-Jahres-Rückschritt” bedeuten. Nicht ohne Grund wurde 1976 erstmals von der DKG eine eigene Musterweiterbildung in Anästhesiologie und Intensivmedizin für das Pflegepersonal empfohlen, die 1988 novelliert, danach von einigen Bundesländern außer Kraft gesetzt wurde, worauf die DKG 1998 reagierte und Empfehlungen für alle nicht landesrechtlich geregelten Bundesländer verabschiedete.

Im Leitfaden für die Personalbedarfsermittlung im Bereich Anästhesie und Intensivmedizin ist ein zusätzlicher Personalbedarf in Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft vorgesehen [3].

Es wäre eine „Erbsenzählerei”, wollte man unumgängliche Sicherheitsstandards aus Kostenersparnis/Personalmangel außer Kraft setzen. Es käme keinem Autokäufer in den Sinn, aus Kostenersparnis auf Bremsen, Sicherheitsgurt und Airbag zu verzichten.

Herr Kaufmann appelliert an die Führungskompetenz der Chefärzte und Funktionsleitungen, um Unterstützung der Mitarbeiter, damit deren Ängste und Bedenken aufgefangen werden.

Ist der Fall „X” eingetreten, dass man von der Kriminalpolizei verhört wird, die Anhörungs- und Gerichtstermine sich über Jahre hinweg ziehen, nützt einem eine solche, wenn auch schriftlich protokollierte „Mitverantwortung” von Vorgesetzten recht wenig. Negativschlagzeilen lasten für Jahre auf dem Ansehen der Klinik, was sich in der Belegung widerspiegelt [4].

Es findet doch nahezu kein Kongress, keine Tagung und kein Symposium statt, in dem nicht der Jurist seine Fälle schildert und eine Bestandsaufnahme über die Qualität in der Anästhesie formuliert.

Die Aufgabenbereiche für das OP- und Anästhesiepflegepersonal wurden aufgrund des Patientenguts, der vielseitigen Operationstechniken, modernster Arbeitsgeräte und deren Überwachungsmonitore, schneller Wechselzeiten, DRG usw. so umfangreich, dass ein fachübergreifendes Arbeiten die Ausnahme darstellen sollte. Eine solche Ausnahme gibt es jedoch nicht im Bereitschaftsdienst und in der Rufbereitschaft!

Hier ist auch die DGF gefordert, als Interessenvertreter beider Funktionsdienste eine aussagekräftige Stellungnahme abzugeben, damit die Mitarbeiter und vornehmlich die kleineren Krankenhäuser nicht ohne Hilfe der Fachverbände auskommen müssen [5].

Literatur

  • 1 BDAktuell JUS-LetterProf. Dr. med. G. Hack., SingenAss. Jur. E. Weis, NürnbergPflegerische Assistenz-Notwendigoder entbehrlich? 2002BDA GeschäftsstelleIustitiareRoritzerstr. 2790419 Nürnberg. Internet: www.bda-nuernberg.de
  • 2 Wissenschaftliche Verlagsabtlg.Prof. Dr. E. Martin, Prof. Dr. K. PeterProf. D. K. Taeger Ludwig-Maximillians-Universität MünchenAnästhesie u. Geburtshilfe „personelle Ausstattung” 3/1986. 
  • 3 Bibliomed. Med. Verlagsgesellschaft, MelsungenDr. T. Kersting, Dr. rer. Pol. G. Baugut, Dipl. oec. W. PlückerLeitfaden für die Personalbedarfsermittlung im Bereich Anästhesie und Intensivmedizin 1992. 
  • 4 Fachbuchversand, H. Böhme, Jurist u.Soziologe in Mössingen 1995Rechtsfragen bei der Delegation ärztlicher Tätigkeiten an Pflegende „ÜBERNAHMEVERSCHULDEN”. 
  • 5 DGF. Stellenbeschreibung/Tätigkeitskatalog Fachschwester Anästhesie Verabschiedet vom Vorstand der DGF Winter. 1994

Stolecki D. Ist Weiterbildung ein qualitatives Steuerungsinstrument?
Intensiv 2003; 11 : 238 - 244

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