intensiv 2004; 12(2): 86-89
DOI: 10.1055/s-2004-812970
Abstract

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Personalausstattung im Pflegedienst und nosokomiale Infektionen: Zusammenfassung einer Arbeitsgruppentagung in Atlanta, USA

H.-T. Panknin1
  • 1Berlin
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Publication Date:
30 March 2004 (online)

Aufgrund der demografischen Entwicklung mit der erheblichen Zunahme alter und multimorbider Menschen in allen Industriestaaten wird in den nächsten Jahren mit einem enormen Anstieg des Bedarfs an Pflegekräften zu rechnen sein.

Die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen wenig attraktiven Gehälter, das geringe Sozialprestige und die fehlenden Karrieremöglichkeiten haben jedoch in den letzten Jahren eher zu einem Rückgang des Interesses an den Pflegeberufen geführt.

In den USA werden daher in vielen klinischen und ambulanten Einrichtungen examinierte Pflegekräfte durch angelernte Kräfte bzw. Hilfskräfte ersetzt, eine Entwicklung, deren Einfluss auf die Pflegequalität bisher wenig untersucht wurde.

Vor diesem Hintergrund fand im Juli 2001 eine Arbeitsgruppentagung in Atlanta, Georgia/USA, statt, auf der die Frage erörtert wurde, welchen Einfluss die Verminderung des Pflegepersonals auf die Rate nosokomialer Infektionen und andere Parameter der Pflegequalität hat. Teilnehmer der Tagung waren anerkannte Expertinnen/Experten auf dem Gebiet der Pflegeausbildung (z. B. Leiter/innen von Pflegeschulen), Vertreter der Amerikanischen Gesellschaft der Pflegekräfte, der Gesellschaft der Intensivpflegekräfte, Repräsentanten der großen Versicherungsgesellschaften sowie Universitätsdozenten mit Spezialgebiet Pflegequalität und -ergebnis. Die Tagung gliederte sich in drei Fragekomplexe:

Untersuchung der wissenschaftlichen Evidenz zum Zusammenhang zwischen Personalausstattung im Pflegedienst und nosokomialen Infektionen, Untersuchung der Faktoren, die die Personalausstattung beeinflussen und Entwicklung von Strategien, um den Personalschlüssel zu verändern.

Einleitend wurden einige demografische Beobachtungen aus den USA vorgestellt. Während die Zahl der Pflegebedürftigen aufgrund der steigenden Überalterung der Bevölkerung zunimmt, nimmt der Zufluss junger Berufstätiger zum Pflegeberuf messbar ab. Folge ist eine wachsende Überalterung des Pflegepersonals. So ging beispielsweise der Anteil der < 30-Jährigen an allen berufstätigen Pflegekräften im Zeitraum zwischen 1983 und 1998 um 41 % zurück, während dies im Durchschnitt aller anderen Berufsgruppen nur um 1 % der Fall war. In den Jahren 2008 - 2009 wird in den USA ein großer Anteil der derzeit aktiven Pflegekräfte das Rentenalter erreichen, wodurch ein massiver Verlust an Pflegekompetenz zu erwarten sein wird. Zu dieser Entwicklung hat fraglos die steigende Anzahl von Karriereoptionen für Frauen auf anderen Berufsfeldern beigetragen, auf denen sich mehr persönliche Entwicklungschancen bieten.

Die Beziehung zwischen der Personalausstattung im Pflegedienst und unerwünschten Behandlungs- und Pflegeergebnissen im Krankenhaus wurde durch eine kürzlich von Needleman und Mitarbeitern publizierte, nationale Studie belegt.

In dieser Studie untersuchten die Autoren den klinischen Verlauf von ca. fünf Millionen Patienten in 3000 Krankenhäusern quer über die USA. Die Personalausstattung und -qualifikation des Pflegedienstes korrelierte in dieser Studie signifikant mit entscheidenden Verlaufsparametern. Beispielsweise nahmen beigeringerer Ausstattung mit examinierten Pflegekräften Harnwegsinfektionen, Pneumonien, obere gastrointestinale Blutungen und akute Schockzustände zu. Als ein Parameter, der nur in geringem Maße von der Grunderkrankung des Patienten, jedoch sehr wesentlich von der Qualifikation und Präsenz des Pflegepersonals beeinflusst wird, wurde die Variable „akuter Tod durch plötzliche Komplikation” untersucht. Derartige, akut tödlich verlaufende Komplikationen - z. B. eine Lungenembolie - traten bei chirurgischen Patienten nach der Operation signifikant häufiger auf, wenn eine geringere Anzahl ausgebildeter Pflegekräfte auf der Station anwesend war.

Eine weitere Studie, an der Krankenhäuser aus fünf Ländern teilnahmen, deckte ähnliche Zusammenhänge auf (Aiken LH, 2001). In dieser Studie klagten 30 - 40 % der befragten Pflegekräfte, dass zu wenig examiniertes Pflegepersonal in ihren jeweiligen Häusern zur Verfügung stand, um qualitativ gute Pflege anzubieten. Bei 40 % der befragten Pflegekräfte aus den USA bestand eine erhebliche Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit, und 20 - 40 % planten einen Berufsausstieg im nachfolgenden Jahr. Weniger als die Hälfte der Pflegekräfte hatte das Gefühl, dass ihre Krankenhausverwaltungen adäquat auf ihre Probleme reagierten. Eine Personalknappheit im Pflegedienst korrelierte in den meisten Häusern mit einer schlechteren Ergebnisqualität, z. B. einer höheren Gesamtletalität der Patienten oder mehr Todesfällen infolge akuter, zu spät erkannter Komplikationen.

Die spezielle Frage der Infektionshäufigkeit in Abhängigkeit von der Personalausstattung untersuchten insgesamt sieben Studien, die in Tab. [1] zusammengestellt sind. Zusammengefasst zeigten diese Studien einen positiven Zusammenhang zwischen der Präsenz von examiniertem Pflegepersonal und einer Reduktion der Rate nosokomialer Infektionen. Erwartungsgemäß wurde vor allem die Häufigkeit von Pneumonien und Harnwegsinfektionen beeinflusst. Chirurgische Wundinfektionen werden in aller Regel direkt bei der Operation gesetzt und entstehen so gut wie nie bei der späteren Wundversorgung bzw. beim Verbandwechsel. Daher war kaum zu vermuten, dass dieser Parameter durch die Pflegequalität beeinflusst werden kann. Eine noch nicht in die Tabelle aufgenommene Studie wurde von den Centers for Disease Control (CDC) durchgeführt und erst kürzlich abgeschlossen. Diese Studie untersuchte im Zeitraum von 1997 - 1999 die Häufigkeit von venenkatheter-assoziierten Septikämien auf acht Intensivstationen. Zahlreiche patientenbezogene Variablen wurden hierbei ebenso analysiert wie die Anzahl und Qualifikation der Fachpflegekräfte. Im Ergebnis zeigte sich neben einer Korrelation zwischen einer Reihe von patientenseitigen Faktoren und der Häufigkeit von Septikämien auch ein Zusammenhang zwischen der am Patientenbett verbrachten Stundenzahl examinierter Intensivfachpflegekräfte und der Infektionsrate. Wurden die Patienten > 40 % der Zeit von einer examinierten Intensivfachpflegekraft betreut, ging die Rate der Katheterseptikämien signifikant zurück (Daten werden in Kürze publiziert.).

Tab. 1 Zusammenhang zwischen Personalausstattung im Pflegedienst und endemischen nosokomialen Infektionen: Ergebnisse internationaler Studien Autor(en), Jahr, Pub.organ Datenquellen Ergebnisse Vereinigung US-amerikanischer Pflegekräfte, 1997 Lichtig LK et al. J Nurs Admin 1999; 29 : 25 - 33 462 Krankenhäuser in New York und Kalifornien, 1992 und 1 994 Ein höherer Anteil von Pflegestunden durch examinierte Pflegekräfte korrelierte mit niedrigeren Infektionsraten (Rückgang der Infektionsraten um 0,4 bis 0,6 % bei 1 %-Zunahme des Pflegestundenanteils durch examinierte Pflegekräfte). Vereinigung US-amerikanischer PflegekräfteAmerican Nurses Association 2000 Versicherungsdaten von 1500 Krankenhäusern in neun Staaten; zusätzlich alle Kostenerstattungsdaten von 1000 Krankenhäusern in sechs Staaten Ein höherer Anteil examinierter Pflegekräfte am Gesamtanteil der Pflegekräfte war mit niedrigeren Infektionsraten assoziiert (Rückgang der Infektionsraten um 0,3 bis 0,7 % bei 1 %-Zunahme des Pflegestundenanteils examinierter Pflegekräfte). Kovner C, Gergen PJ.J Nurs Sch 1998; 30 : 315 - 321 Chirurgische Patienten aus 589 Krankenhäusern in zehn US-Staaten Eine höhere Personalausstattung mit examinierten Pflegekräften korrelierte mit geringeren Raten an Harnwegsinfektionen und Pneumonien. Needleman J et al. N Engl J Med 2002; 344 : 1715 - 1722 drei repräsentative Stichproben aus 799 Krankenhäusern in elf US-Staaten; 256 Datensätze aus einem Staat; Gesamtstichprobe von 3357 Krankenhäusern Harnwegsinfektionen bei internistischen Patienten wurden bei hohem Anteil examinierter Pflegekräfte um 4 - 12 % reduziert und um 4 - 25 % bei hohem Pflegestundenanteil der examinierten Fachkräfte. Pneumonien bei internistischen Patienten wurden unter den entsprechenden Vergleichsbedingungen um 6 - 8 % bzw. 6 - 17 % reduziert. Flood SD, Diers D. Nurs Mangr 1998; 19 : 34 - 43 zwei Krankenhausbereiche Eine Station, auf der das Pflegepersonal knapp war, hatte mehr Komplikationen, einschließlich Infektionen und insbesondere Harnwegsinfektionen. Die Kosten für die Therapie der entstandenen Komplikationen überstiegen die Kosten, die durch Personaleinsparungen erzielt wurden. Blegen MA et al. Nurs Res 1998; 47 : 43 - 50 33 Pflegebereiche in einem großen Krankenhaus Pneumonien und Harnwegsinfektionen nahmen ab, wenn der Anteil examinierter Pflegekräfte anstieg, und die Pflegestundenzahl insgesamt zunahm. Giraud T et al. Crit Care Med 1993; 21 : 40 - 51 Intensivpflegepatienten, die iatrogene Komplikationen entwickelten (ein Krankenhaus) 25 % der Komplikationen waren Infektionen. Bei hoher Arbeitsbelastung des Personals stieg die Komplikationsrate.

Während die oben genannten Studien sich mit endemischen Infektionen beschäftigen, untersuchten andere Autoren, ob auch Ausbrüche von nosokomialen Infektionen mit Überlastung und Knappheit von Pflegepersonal zusammenhängen. In der Tat zeigten acht entsprechende Studien eindeutige statistische Korrelationen zwischen diesen beiden Variablen (Tab. [2]).

Tab. 2 Zusammenhang zwischen Personalausstattung im Pflegedienst und Ausbrüchen von Krankenhausinfektionen *Autor(en), Jahr, Pub.organ Problem Ergebnisse Farrington MT et al. J Hosp Infect 2000; 46 : 118 - 123 sechs Ausbrüche von MRSA-Infektionen auf einer Intensivstation in einem Zeitraum von zwei Jahren Die Ausbrüche traten auf, wenn erhebliche Personalfehlzeiten zu verzeichnen waren. Haley R, Bergman D. J Infect Diis 1982; 45 : 875 - 885 Häufungen von S. aureus-Infektionen auf einer Neugeborenenstation über einen Zeitraum von zwei Jahren Die Infektionrate stieg um den Faktor 16 an, wenn das Verhältnis zwischen Kindern und Pflegekräften 7 : 1 überstieg. Vicca AF. J Hosp Infect 1999; 43 : 109 - 113 MRSA-Infektionen auf einer Intensivstation über 18 Monate Die Inzidenz von MRSA-Fällen war statistisch mit der Personalausstattung verknüpft (Rückgang der Besetzung mit Pflegekräften ≥ Zunahme von MRSA-Fällen). Harbarth S et al. Infect Control Hosp Epidemiol 1999; 20 : 598 - 603 Ausbruch von Enterobacter-cloacae-Infektionen auf einer 15-Betten-Neugeborenenstation In einer Fallkontrollstudie korrelierten folgende Faktoren mit der Infektionsdichte: Überbelegung der Patientenzimmer, Fehlzeiten bzw. Ausfälle von Pflegepersonal, geringere Compliance des Personals beim Händewaschen. Isaacs D et al. Arch Dis Child 1988; 63 : 533 - 535 Auftreten gentamicin-resistenter gram-negativer Erreger auf einer Neugeborenenstation über einen Zeitraum von 120 Wochen erhöhte Nachweishäufigkeit der resistenten Erreger in Perioden der Personalknappheit Fridkin et al. Infect Control Hosp Epidemiol 1996; 17 : 150 - 158 Infektionen zentraler Venenkatheter (ZVK) Signifikante Risikofaktoren für ZVK-assoziierte Infektionen waren totale parenterale Ernährung, Erkrankungsschwere der Patienten, Zeitdauer der maschinellen Beatmung, Zeitdauer des Krankenhausaufenthalts und Verhältnis zwischen Pflegekräften und Patienten (1 : 4 vs. 1 : 2). Eine höhere Anzahl von Patienten pro Pflegekraft erhöhte die Rate von ZVK-Infektionen bis zum Faktor 60. Archibald LK et al. Pediatr Infect Dis J 1997; 16 : 1045 - 1048 Ausbruch von Serratia marcescens-Infektionenauf einer kardiologischen, pädiatrischen Intensivstation Risikofaktoren für höhere Infektionsraten waren a) eine höhere Belegungsdichte und b) eine Abnahme der Pflegestunden qualifizierter Kräfte im Verhältnis zu den Patientenliegetagen. Robert J et al.Infect Control Hosp Epidemiol 2000; 21 : 2 - 7 Septikämien bei chirurgischen Patienten Die Septikämierate nahm zu, wenn fehlende Pflegekräfte durch Einsatz von Zeitpflegekräften (vermittelt durch eine Agentur) ersetzt wurden. Der Quotient Zeitpflegekräfte : Patienten korrelierte mit Zunahme von Infektionen, der Quotient reguläre Fachpflegekräfte : Patienten korrelierte negativ mit Infektionen. Abkürzungen: MRSA=methicillin-resistente Staphylococcus aureus; ZVK=zentraler Venenkatheter

Bei der Diskussion der Faktoren, die die Personalausstattung im Krankenhaus beeinflussen und den Rückgang des Interesses an der Pflegeausbildung verursachen, wurde vor allem das geringe Interesse seitens der Verwaltungen an einer gut strukturierten und qualifizierten Pflege, die im Krankenhaus einen akzeptierten Status hat und sich auch durch Fortbildungen weiterentwickeln kann, als wesentlicher Faktor identifiziert. Krankenhäuser, in denen der Geist einer „corporate identity” herrscht, d. h. eines bewussten Zusammenwirkens von Ärzten, Pflegepersonal, Verwaltung und Versorgungsdiensten, weisen weniger Personalfehlzeiten auf. Dies bedeutet, dass die Identifikation aller Mitarbeiter mit den Zielen und Perspektiven des Krankenhauses verstärkt werden muss, wenn letztlich wieder ein verstärkter Zufluss zu den Krankenpflegeschulen erreicht werden soll. Daneben ist jedoch auch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, um das negative Bild der Krankenschwester als „Hilfspersonal” in den öffentlichen Medien abzubauen. Hierzu gehört zweifellos auch die öffentlichkeitswirksame Darstellung der oben genannten Daten wissenschaftlicher Studien, die den Zusammenhang einer qualifizierten Pflege mit den Behandlungsergebnissen deutlich belegen.

Literatur

  • 1 Jackson M. et al . Nurse staffing and health care associated infections: Proceedings from a working group meeting.  Am J Infect Control. 2002;  30 199-206

Hardy-Thorsten Panknin

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