Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(1/2): 46
DOI: 10.1055/s-2004-812662
Leserbriefe

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Schwangerschaftsabbruch - Embryo-Fetozid - drohender Auto-Genozid? - Erwiderung

Zum Beitrag aus DMW 34-35/2003
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Publication Date:
02 January 2004 (online)

Die Zuschrift 2 von Herrn Dr. Schute ist generell zustimmend - ähnliche Zuschriften sind mir auch per E-mail in größerer Zahl zugegangen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Schute kritisiert allerdings meine eindeutige „Parteinahme“ für die Mutter im Falle einer Gefährdung von Mutter und Kind während einer Schwangerschaft. Er nimmt insbesondere Anstoß an meiner Formulierung, dass es sich bei der Entscheidung zugunsten der Gesundheit und des Lebens der Mutter um „ärztliches Basiswissen“ handele. Ich gebe zu, dass darin meine persönliche Einstellung sehr deutlich zum Ausdruck kommt, dass daneben jedoch auch das eher aus der katholischen Ethiklehre abgeleitete und strengere absolute Tötungsverbot seine Existenzberechtigung hat. Insofern ist der Einwand von Schute eine wichtige Ergänzung.

Ablehnende und sehr kritische Zuschriften wie diejenige des Kollegen Hofmann hatte ich in großer Zahl erwartet - im Interesse der Diskussion vielleicht sogar erhofft. Nun ist sie jedoch die einzige ihrer Art geblieben. Hofmann ist ein „Kind unserer Zeit“ und hat all die in meinen Augen fehlerhaften Standpunkte, die zu dem geschilderten Dilemma geführt haben, internalisiert.

Im Einzelnen:

1. Gewiss ist mir klar, dass es bei der Verwendung von Kontrazeptiva eine Versagerquote gibt. Dass diese aber bei der „überwiegenden Mehrzahl der Frauen, die sich mit dem Problem einer ungewollten Schwangerschaft an ihren Frauenarzt wenden ...“ zugrunde liegen soll, finde ich überraschend: Die Versagerquote wird doch in den Veröffentlichungen immer mit ...% pro 100 Frauenzyklen angegeben - und die Prozentzahlen, zumindest der hormonellen Kontrazeptiva, sind dabei verschwindend klein. Dass also bei 100000 Embryofetoziden pro Jahr die überwiegende Mehrzahl aus kontrazeptiv entstandenen Schwangerschaften stammen soll, möchte ich in Frage stellen.

2. Zur Frage des Zeitpunktes des Schwangerschaftsabbruchs: Wann ist er nicht straffrei?

3. Der Vergleich mit Genoziden aus der Geschichte wurde absichtlich gewählt, um das Problem in seiner ganzen Tragweite darzustellen. Als „Kind seiner Zeit“ ist sowas immer schwer oder unmöglich zu sehen - auch die Ärzte während des dritten Reiches haben den Genozid nicht erkannt.

4. Dass Schwangerschaftsabbrüche glücklicherweise nicht mehr häufig mit unsachgemäßen Methoden durchgeführt werden wie früher, findet natürlich meine Zustimmung genau so eindeutig wie die von Herrn Hofmann. Ich spreche ja auch nicht dem Schwangerschaftsabbruch jede Indikation ab. Mir geht es um die Vielzahl der Tötungen von gesunden Embryonen und Feten!

5. Frauen in Not sollten gewiss nicht im Stich gelassen werden! Aber was ist „Not“? Ist es „not-wendig“, ein begonnenes Studium zu beenden? Ist es „not-wendig“, seine Kinderzahl auf zwei zu begrenzen, wenn sich noch ein drittes Kind „anmeldet? Ist es wichtiger, einen Lebensstandard, der in unserem Lande meistens hoch ist, auf diesem Level zu halten, wenn ein neues Kind vielleicht zu einer kleinen Einschränkung zwingt? Ich möchte hier von „Pseudo-Not“ sprechen, voll wissend, dass es natürlich auch in unserem reichen Lande wirkliche Not gibt. Nicht ohne Grund habe ich in meinem Aufsatz zugestanden, dass man „nach der Jahrtausendwende eine Embryo-Fetozidrate von vielleicht ein paar tausend pro Jahr hätte erwarten dürfen ...“

6. Dass wir es heute mit mündigen PatientInnen zu tun haben, die mit entscheiden, ist auch in meinen Augen eine positive Entwicklung. Jeder erfahrene Arzt weiß aber auch, wie viel Einfluss er indirekt nimmt durch die Wahl seiner Worte, durch den eigenen Standpunkt, der sich sensiblen PatientInnen jenseits der verbalen Kommunikation mitteilt. Deshalb liegt es viel an uns Ärzten und der Philosophie, die wir selbst vertreten, wie die Entscheidung werdender Eltern während einer Schwangerschaft ausfällt. Jedenfalls sollten wir den Anfang machen!

Ich danke Ihnen für Ihre Zuschriften.

Prof. Dr. A. Fenner

Depenau 33

23552 Lübeck

Phone: 0451/70022

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