ZFA (Stuttgart) 2003; 79(10): 516-517
DOI: 10.1055/s-2003-43448
Forschung in der Allgemeinmedizin

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Randomisierte Studien in der Allgemeinpraxis - Was ist machbar? Ein Kommentar zum Artikel von W.C. Hager

Heinz-Harald Abholz1
  • 1Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication Date:
07 November 2003 (online)

Hager macht in seinem Text auf eine in Deutschland bisher nicht, international nur sehr randständig beachtete Problematik randomisierter Studien im spezifisch allgemeinmedizinischen Bereich aufmerksam. Ja, er bezweifelt die sinnvolle Durchführbarkeit dieser methodisch hochrangigen Studien für diesen Bereich, weil die spezifische Arbeitsweise der Allgemeinmedizin mit derartigen Studien nicht zu untersuchen sei.

Versteht man - ganz allgemein gesprochen - unter allgemeinmedizinischer Behandlung die Anwendung medizinischer Behandlungskonzepte unter gleichzeitiger Nutzung von Placebo-Medizin sowie interaktiver Komponenten mit therapeutischer Wirksamkeit, so ist gerade in Bezug auf die letzteren beiden Therapie-Ansätze Hager Recht zu geben: Derartige Untersuchungen sind schwierig und nur unter besonders zu benennenden, dann eher artifiziellen Bedingungen überhaupt durchführbar.

Am einfachsten sind noch klassische Studien des Nutzen-Nachweises einer Wirksubstanz gegenüber einem Placebo - wenn auch hier schon Hagers Überlegungen angewendet werden sollten. Besteht eine gewachsene Arzt-Patienten-Beziehung mit gegenseitigen Verbindlichkeiten und - dies kann auch erwähnt werden - mit ökonomischen Abhängigkeiten, wie sie im stationären Bereich nicht vorhanden sind, dann wird in der Hausarztpraxis selbst eine derartige Fragestellung nur schwieriger zu bearbeiten sein.

Wenn ich mich »meinem Patienten« nahe und verpflichtet fühle, selbst nicht überzeugt bin, dass möglicherweise Placebo oder die Substanz X gegenüber der Substanz Y gleichwertig sind, dann bin ich bedroht, die geforderte Randomisierung einer Studie zu brechen - so wie dies Hager für die obige Studie beschreibt.

Wenn ich nur mittels einer Telefon-Randomisierung an der Studie teilnehmen kann, dann bleiben andere Wege der Umgehung: Bei einer Telefon-Randomisierung wird erst der Patient mit Namen und/oder Identifikationsnummer an eine neutrale Studienleitung gemeldet, die von sich aus dann die Randomisierungs-Zuteilung an den durchführenden Arzt zurückmeldet. Bei einer solchen Telefon-Randomisierung kann der behandelnde Arzt nicht mehr die Zuteilung wechseln, es sei denn, er wird hierüber gegenüber der Studienleitung auffällig und damit insgesamt mit all seinen Patienten aus der Studie ausgeschlossen. Die Zentrale bemerkt nämlich jeden Wechsel.

Aber etwas anderes kann geschehen: Die Patienten, die bestimmte Präferenzen in der Therapie haben, und Patienten, die mir als Arzt »sehr lieb« sind und die ich als behandelnder Arzt einer bestimmten Therapie zugeordnet sehen möchte, werden gar nicht erst gemeldet, sie werden der Studienzentrale »vorenthalten«. Hierüber kommt es dann zu einer Selektion von bestimmten Patienten, die ich als Arzt - auf der Ebene von Emotionalität ausgedrückt - für die Studie hergebe, weil sie mir nicht so nahe sind.

Ist die Fragestellung der Wirksamkeit einer Substanz nicht mit einer solchen Selektion störbar (zum Beispiel die Wirksamkeit eines Antimycotikums bei Befall von Fußnägeln), dann ist mit Telefon-Randomisierung eine vernünftige randomisierte Studie durchführbar. Wenn es aber, wie Hager bei der Analyse der »Spritzenstudie« zeigt, um das Therapeutikum Placebo oder gar das Therapeutikum symbolhafter Interaktion zwischen Arzt und Patient geht, dann ist sehr wohl die Frage zu stellen, ob eine Telefon-Randomisierung mit der möglichen Vorselektion derjenigen Patienten, die selbst keine Präferenzen haben, und für die der Arzt auch keine Präferenz hat, beide also kühl und neutral zu handeln in der Lage sind, nicht zu einer sehr künstlichen, den Untersuchungsgegenstand im Grunde aussparenden Studie kommt: Wenn symbolhafte Interaktion etwas mit Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu tun hat, aber nur eine Kommunikation in hoher Neutralität und Leidenschaftslosigkeit durch das Design zugelassen ist, dann ist in der Tat zu fragen, ob dies noch der untersuchten Fragestellung entspricht. Denn zumindest in der Wirklichkeit der Versorgung wird ja in der Regel nicht auf dem Boden hoher Neutralität dem Patienten und einem Behandlungsprinzip gegenüber gehandelt.

Dass eine solche »Neutralität« die Untersuchung ermöglicht, ist auch in der so genannten »Spritzenstudie« deutlich geworden: Wurde sie - wegen gebrochener Randomisierung - wie eine Kohortenstudie analysiert, so stellte sich in der Tat heraus, dass bei zumindest den Patienten, die keine Behandlungspräferenz hatten (dies war gefragt worden und lag somit als Ergebnis vor), offensichtlich auch die dann geforderte Randomisierung eingehalten worden ist. Geht man - was nicht absolut zu beweisen ist - davon aus, dass hier die Randomisierung gelungen war, so kommt man zu dem von Hager zitierten Ergebnis: Die »Spritze« war überlegen. Und analysierte man nach unterschiedlichen Schweregraden der angegebenen Schmerzhaftigkeit, der Arbeitsunfähigkeit etc., so sah man, dass insbesondere bei den schweren Fällen die Spritze überlegen war.

Hieraus kann man schlussfolgern, dass derartige interaktive Phänomene wahrscheinlich doch - und trotz der Überlegungen von Hager - auch mit einer randomisierten Studie zu untersuchen möglich sind [1]. Man muss hier allerdings eine erhebliche Vorselektion auf Seiten der Patienten (keine Präferenz in der Therapie) und der Ärzte (keine Präferenz für den jeweiligen Patienten) treffen.

Eine andere bzw. zusätzliche Möglichkeit zur Ermöglichung einer randomisierten Studie kann darin gesehen werden, dass dem Arzt für nur ganz wenige Patienten eine schauspielerische Überspielung eigener Präferenzen abverlangt wird, dass er also mit Engagement den durch die Randomisierung vorgeschlagenen Weg dem Patienten gegenüber vertritt, also ggf. selbst symbolische Interaktionen »spielt«.

Ich glaube also, dass durch randomisierte Studien derartige Fragestellungen angehbar sind. Sie stellen wahrscheinlich jedoch immer nur eine Annäherung an das eigentlich zu Untersuchende dar. Dies ist zu vermuten, weil die so untersuchte Population und der Einsatz schauspielerischer Fähigkeiten von Seiten des Arztes immer etwas Künstliches im Vergleich zur üblichen Versorgungssituation darstellt: Behandlung in der Hausarztpraxis findet eben nicht mit »leidenschaftslosen« Patienten und Ärzten statt.

Ist damit einerseits Hager zuzustimmen, dass für die Untersuchung spezifisch hausärztlicher Behandlungsansätze eine methodische Einschränkung für randomisierte Studien vorliegt, so ist aber auch auf ähnlich große methodische Einschränkungen in Bezug auf die von Hager geforderten anderen methodischen Ansätze wie qualitative Studien, Kohortenstudien etc. hinzuweisen. Diese Studien haben gegenüber dem randomisierten Versuch ja andere, bekannte Nachteile der Verzerrung des Bildes von der Wirklichkeit (bias), so dass sie letztendlich methodisch als weniger sicher einzuordnen sind.

Ich gehe daher davon aus, dass man allgemeinmedizinische Therapiekonzepte nur in Bruchstücken, mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen untersuchen kann und am Schluss dann die Teilergebnisse mit ihren unterschiedlichen Einschränkungsbedingungen wieder zusammensetzen muss. Dem Geheimnis des Heilens ist wahrscheinlich methodisch nicht anders beizukommen.

Literatur

  • 1 Sheikh A, Smeeth L, Ashcroft R. Randomised controlled trials in primary care: scope and application.  Brit J Gen Pract. 2002;  52 746-51

Univ. Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz

Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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