Handchir Mikrochir Plast Chir 2003; 35(4): 267-269
DOI: 10.1055/s-2003-42139
Reisebericht

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Reisebericht über einen Auslandsaufenthalt am Chang Gung Memorial Hospital, Linkou, Taipeh, Taiwan

Report on a Stay at the Chang Gung Memorial Hospital, Linkou, Taipeh, TaiwanA. H. Schwabegger 1
  • 1Universitätsklinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie und Ludwig-Boltzmann-Institut für Qualitätssicherung in der Plastischen Chirurgie (Vorstand: o. Univ.-Prof. Dr. H. Piza-Katzer), Innsbruck, Österreich
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Publication History

Eingang des Manuskriptes: 2. Mai 2003

Angenommen: 5. Mai 2003

Publication Date:
10 September 2003 (online)

Von Professor Fu-Chan Wei wurde mir die Gelegenheit gegeben, vom 2. 9. bis 27. 10. 2002 als „Visiting Professor“ an der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie an o.g. Klinik neue Operationsmethoden kennen zu lernen und bestehende Kenntnisse speziell auf dem Gebiet der rekonstruktiven Mikrochirurgie zu vertiefen.

Das Chang Gung Memorial Hospital (CGMH) in Linkou/Taipeh, Taiwan, verfügt über 2777 Betten und steht unter privater Führung der „Formosa Plastica“, der größten Industrieholding der Insel. Angegliedert ist auch eine Privatuniversität unter demselben Namen. Die Abteilung für Plastische Chirurgie umfasst etwa 200 Betten, bis zu 50 Ärzte und führt zirka 800 plastisch rekonstruktive Operationen pro Monat durch. Der Schwerpunkt in der täglichen Routine liegt in der rekonstruktiven Mikrochirurgie (über 800 mikrovaskuläre Lappenplastiken pro Jahr, 16 ICU-Betten nur für Patienten mit mikrovaskulären Operationen) sowie in der kraniofazialen Chirurgie. Der Gründer und Pionier der Abteilung für Plastische Chirurgie am CGMH, Professor Samuel Noordhoff, bereits emeritiert, ist Spezialist für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten-Chirurgie und als solcher weltweit überaus bekannt. Auch ihn konnte ich persönlich kennen lernen.

Die Plastische Chirurgie selbst ist in fünf Abteilungen aufgegliedert, wobei die in Ausbildung Stehenden jeweils einen Zeitraum von zwei bis zwölf Monaten an den verschiedenen Abteilungen im Sinne einer Rotation verbringen. Dort sind sie dem jeweiligen Abteilungsleiter persönlich zugeordnet, und dieser kümmert sich höchstpersönlich um deren klinische Ausbildung. Die fünf Abteilungen sind: Rekonstruktive Mikrochirurgie, Rekonstruktive Traumatologie, Kraniofaziale Chirurgie, Abteilung für Brandverletzte und Allgemeine Plastische Chirurgie, denen jeweils ein Abteilungsleiter vorsteht. Interessanterweise bekleiden zwei renommierte Professoren der Plastischen Chirurgie die ranghöchsten Positionen im CGMH, nämlich den „Superintendent“ (Yu-Ray Chen, Kraniofaziale Chirurgie) und den „Vice-Superintendent“ (Fu-Chan Wei, Rekonstruktive Mikrochirurgie), entsprechend einem ärztlichen Direktor und Stellvertreter der gesamten Klinik. In diesen Funktionen haben sie allerdings nicht das Recht, gleichzeitig Abteilungsleiter zu sein, so dass andere Professoren der einzelnen Abteilungen diese Abteilungsleiterpositionen innehaben. Der Abteilungsleiter der Rekonstruktiven Mikrochirurgie (Prof. Hung-Chi Chen) ist gleichzeitig Leiter der gesamten Plastischen Chirurgie und hält diese Position auch für die anderen vier plastisch-chirurgischen Abteilungen an den CGM-Hospitals der Insel (Abb. [1]).

Abb. 1 (v. links) Prof. Dr. Hung-Chi Chen, Prof. Dr. Fu-Chan Wei, Prof. Dr. C.C. Chuang und der Autor.

Dem Dekan der Medizinischen Fakultät (Chang Gung Memorial Privatuniversität) andererseits ist es erlaubt, die Position des Abteilungsleiters (Allgemeinchirurgie) weiterhin innezuhaben.

Innerhalb des CGMH befindet sich auch eine große Abteilung für traditionelle Chinesische Medizin mit unübersehbarem Zustrom von Patienten, in den Wartezonen dafür finden sich Hunderte von Patienten. Bei den taiwanesischen Plastischen Chirurgen allerdings genießt diese traditionelle Chinesische Medizin einen unserer homöopathischen Medizin vergleichbaren Ruf, allerdings nicht so in der Bevölkerung. Tatsächlich finden, alle sozialen Schichten betreffend, viele Tumorpatienten erst nach ausgereizter Alternativmedizin und leider erst im Spätstadium, den Weg zum Chirurgen.

Die eigenen Ziele meines Aufenthaltes bestanden nun in der Schwerpunktbeobachtung sowie Erweiterung der spezifischen Kenntnisse in der rekonstruktiven Mikrochirurgie, insbesondere spezieller Lappenplastiken, Zehentransplantationen zur Funktionswiederherstellung der Hand sowie in der Tumorchirurgie und mikrovaskulären Rekonstruktionen im Kopf-Hals-Bereich. Ein weiterer Schwerpunkt der Wissens- und Kenntniserweiterung bestand in der kraniofazialen Chirurgie.

Das Chang Gung Memorial Hospital und dessen Abteilung für Plastische Chirurgie, insbesondere die Unterabteilungen „Rekonstruktive Mikrochirurgie“ sowie „Kraniofaziale Chirurgie und Chirurgie der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten“, genießen einen hervorragenden Weltruf aufgrund der unvergleichlich hohen Fallzahlen und der daraus resultierenden Erfahrungswerte, die sich in beachtlich zahlreichen Veröffentlichungen niederschlagen. Kontakte wurden meinerseits bereits im Vorjahr im Rahmen einer Teilnahme am Weltkongress für Rekonstruktive Mikrochirurgie (1st Inaugural WSRM 2001) in Taipeh geknüpft, zusätzliche Kontakte zu Familie Chen wurden noch durch den Vorstand unserer Klinik hergestellt.

Es wurde mir mehrmals die Möglichkeit angeboten, selbst Operationen durchzuführen. Mit Hinblick auf die multilokulären Operationen in der Operationszone mit 69 (!) Operationssälen bevorzugte ich jedoch die Möglichkeit der Rotation von Operation zu Operation, um nach Möglichkeit nichts von den fünf bis zehn (!) parallel laufenden plastisch-chirurgischen Operationen zu versäumen. Andererseits bemühen sich Fellows und Auszubildende einigermaßen kompetitiv um assistierte Operationen. Ein Arbeitszeitgesetz ist so gut wie unbekannt; mehrere Operationssäle sind eher in der Regel als ausnahmsweise bis nach 20 Uhr mit elektiven Eingriffen in Betrieb. Große vielstündige Eingriffe, nämlich elektive (!) mikrovaskuläre Operationen, werden häufig an das Ende des Operationsprogrammes gestellt, so dass selbige bis spät nach Mitternacht andauern, ungeachtet dessen, dass dieselben Chirurgen am Folgetag (morgens) wieder operieren.

Assistenten und Fellows sind mehrere Monate einem Professor zugeteilt, werden beobachtet und rasch ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend eingesetzt oder nicht eingesetzt (discrimination by ability). Dementsprechend hoch ist deshalb auch die Motivation zum Studium der Literatur in der sehr reichlich ausgestatteten Bibliothek.

Aufgrund meiner chirurgischen Erfahrung an meiner Stammklinik (Facharzt seit 1996, habilitiert und entsprechend chirurgisch gefordert seit 1999) konnte ich mich auf die Beobachtung spezieller Techniken konzentrieren und in Gesprächen auch administrative Vergleiche mit meiner Tätigkeit als geschäftsführender Oberarzt anstellen. Zum Beispiel findet Abteilungsleiter Prof. Hung-Chi Chen nur samstags Zeit für die notwendige Administration.

Innerhalb der Plastischen Chirurgie ist eine Station mit äußerst feudaler Einrichtung für die Ästhetische Chirurgie bereitgestellt, ausgerüstet mit modernsten Operations- und Lasereinrichtungen, Bettenzimmern im Fünf-Sterne-Hotelstil, finanziert durch die Krankenhausholding. Erst ab dem fünften Jahr nach der Facharztreife ist es den Assistenten gestattet, innerhalb dieser Einrichtung an Privatpatienten tätig zu werden.

In der Tätigkeit als Gastprofessor konnte ich vier Vorträge (Lectures) über mikrochirurgische Techniken und Entwicklungen aus unserer Klinik halten, gefolgt von sehr ausgedehnten und interessanten Diskussionen. Bei den Lectures handelte es sich um spezielle funktionelle Rekonstruktionsverfahren unter Verwendung mikrovaskulärer Lappentechniken. Die Detrusorrekonstruktion, die experimentelle Sphincter ani-Rekonstruktion und ganz besonders die bilaterale Handtransplantation in Innsbruck stießen auf sehr großes Interesse.

In einem Interview (in Chinesisch mit Übersetzung) durch eine Nationale Tageszeitung wurde ich gefragt: „Was führt einen Professor aus Österreich an diese Abteilung, ein Professor sollte doch schon alles wissen?“ Eine meiner Antworten darauf: „Als Arzt bleibt man Zeit seines Lebens Student der Medizin…“

Auch den Handelsdelegierten für Österreich in Taiwan, Dr. Wolfram Moritz, habe ich bei mehreren freundschaftlichen Gelegenheiten besucht und konnte von ihm einen kleinen Einblick in die äußerst interessante wirtschaftliche Situation des Landes erfahren.

Der Zeitpunkt war für meine Ziele gut gewählt. Jüngere Kollegen hingegen sollten zum Ziel des Erwerbes der für diese Klinik spezifischen Kenntnisse und Techniken, damit sie auch entsprechend eingesetzt und gefordert werden können, beinahe oder schon Facharztreife haben.

Der Aufenthalt war in jeder Hinsicht sinnvoll, und ein derartiger Erfahrungsgewinn kann auf das Wärmste weiterempfohlen werden. Nicht zuletzt aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten bei jedoch äußerst hilfsbereitem Personal sollten Kollegen in Ausbildung oder junge Fachärzte (im Sinne eines Fellowships) zum Zweck der Erlernung von bestimmten Techniken mindestens ein Jahr an dieser international äußerst renommierten Klinik und Abteilung verbringen. An der Abteilung für Plastische Chirurgie sind zur selben Zeit bis zu zehn Gastärzte und Fellows tätig. Bei längerem Aufenthalt bestehen reichlich Gelegenheiten und besondere Unterstützung für wissenschaftliche experimentelle und klinische Arbeiten. Nach kurzer Beobachtungszeit von einigen Wochen dürfen, entsprechende Fähigkeiten vorausgesetzt und abgeprüft, von den Fellows und auch von Gastärzten große Operationen selbst durchgeführt werden.

Wegen der sprachlichen Schwierigkeiten wird einem Toleranz, Geduld und Höflichkeit besonders abverlangt. Kaum jemand spricht Englisch, die jüngeren Akademiker verstehen Englisch zwar gut, sind aber oft nicht in der Lage, gut verständlich zu antworten. Lediglich bei international tätigen Akademikern (in Führungspositionen) ist das Englisch-Niveau gut. Allerdings ist durch die Anwesenheit von internationalen Fellows und Gastärzten der englisch- oder sonstige fremdsprachliche Gedanken- und Erfahrungsaustausch meist problemlos.

Nicht nur der Gewinn an fachlichem Wissen, sondern auch der besondere fernöstliche kulturelle Hintergrund bringen einen sehr interessanten Erfahrungszuwachs beim Umgang mit Patienten mit sich.

Besonders bei der interdisziplinären Behandlung von Tumorpatienten (ausgedehnte Gesichtstumoren) habe ich eine Zunahme der Sicherheit für kritische Entscheidungen erfahren. Die Beobachtung und die Diskussionen mit dem weltbekannten Chirurgen (Prof. Fu-Chan Wei) auf dem Gebiet der Zehentransplantation für den Ersatz von amputierten Fingern haben meine bislang spärlichen Erfahrungen doch deutlich erweitert.

Einzelne chirurgische Spezialtechniken und Operationsverfahren konnten an der eigenen Klinik bereits erfolgreich angewandt werden. Von der Gastgeberklinik werden eine weitere Kooperation und der Erfahrungsaustausch explizit gewünscht und sind mit einem weiteren Besuch unseres Klinikvorstandes (o. Univ.-Prof. Piza-Katzer) in Taipeh bereits in Planung.

Mein besonderer Dank gilt den Gastgebern und Professoren Fu-Chan Wei, Hung-Chi Chen, Yu-Ray Chen und Philip Chen, den Sponsoren (Österreichische Gesellschaft für Chirurgie, Deutschsprachige Arbeitsgemeinschaft für Mikrochirurgie der peripheren Nerven und Gefäße sowie Leopold-Franzens-Universität Innsbruck) und nicht zuletzt meiner Chefin, Frau Professor Piza-Katzer, und meinen Kolleginnen und Kollegen an der Stammklinik, die in den beiden Monaten der Abwesenheit meine Arbeit substituieren mussten.

a. o. Univ.-Prof. Dr. med. Anton H. Schwabegger

Universitätsklinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie

Anichstraße 35

6020 Innsbruck

Österreich

Email: anton.schwabegger@uibk.ac.at

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