Gesundheitswesen 2003; 65: 41-42
DOI: 10.1055/s-2003-38119
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rechtssicherheit beim Impfen

Legal Security in Respect of Vaccination ProceduresA. Nassauer1
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin
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Publication Date:
21 March 2003 (online)

Gerichtsverfahren von klagenden Patienten mit hohen Schmerzensgeldforderungen gegenüber den impfenden Ärzten haben stets große Beachtung gefunden. Immer wieder werden die Mediziner damit konfrontiert, wie viele Haftpflichtprozesse wegen schwerer Gesundheitsschäden durch Schutzimpfungen anhängig seien. Impfende Ärzte sind daher oft verunsichert und befürchten Entscheidungen, die sie finanziell ruinieren könnten. Tatsächlich sind aber genaue Zahlen der Klagen gegen Ärzte wegen Fehlern beim Impfen nicht bekannt und Verurteilungen sind extrem selten. Dabei muss bedacht werden, dass über gewonnene Prozesse in den Medien gerne berichtet wird, unterliegt der klagende Patient jedoch - d. h. dem beklagten Arzt konnte kein Fehler nachgewiesen werden -, ist dies in der Regel keine Notiz wert. So entsteht zwangsläufig der Eindruck, Ärzte verlören meist die Prozesse und müssten hohe Summen an Schmerzensgeld im Zusammenhang mit Impfungen zahlen.

Die Verunsicherung der Ärzte war in der Vergangenheit zeitweilig so groß, dass viele vor Impfungen zurückscheuten. Nun hat jedoch ein im Februar 2000 vom Bundesgerichtshof (BGH) verkündetes Urteil in vielen Punkten Klarheit geschaffen. Die wesentlichen Punkte der Entscheidung sollen deshalb hier in Kürze zusammengefasst werden:

Die aktuellen Empfehlungen der STIKO sind medizinischer Standard. Die empfohlenen Schutzimpfungen im Säuglings- und Kleinkindalter sind Routinemaßnahmen, und den Eltern ist der Entscheidungskonflikt durch die öffentlichen Empfehlungen weitgehend abgenommen. Den Eltern muss üblicherweise keine Bedenkzeit eingeräumt werden. Die Impfung muss deshalb auch nicht an einem gesonderten, von der Aufklärung zeitlich getrennten Termin stattfinden. Es muss über alle spezifischen Risiken der Impfung aufgeklärt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die möglichen Risiken der Impfung häufig oder selten auftreten. Zu Nebenwirkungen und Komplikationen genügt eine Aufklärung im Großen und Ganzen. Die Erläuterung einzelner medizinischer Diagnosen ist nicht erforderlich. Zur Aufklärung gehört auch die Beschreibung der impfpräventablen Erkrankung. Auf unnötige Dramatisierung soll verzichtet werden. Merkblätter sind üblich und haben für den Arzt den Vorteil der späteren Beweisbarkeit. Die alleinige Aufklärung durch ein Merkblatt ist nicht ausreichend. Es muss immer Gelegenheit zu einem Gespräch angeboten werden. Die Einwilligung zur Impfung kann mündlich erfolgen; eine Unterschrift ist nicht notwendig. Bei Routinemaßnahmen wie einer Impfung genügt die Einwilligung eines Elternteils. Der Arzt kann in der Regel darauf vertrauen, dass der andere Elternteil ebenfalls zustimmt. Bei der zweiten Impfung mit dem gleichen Impfstoff im Rahmen einer Grundimmunisierung ist keine erneute Aufklärung erforderlich.

Die einzelnen Feststellungen werden in der BGH-Entscheidung gut verständlich und nachvollziehbar begründet. (Die Entscheidung vom 15.2.2000 ist unter dem Aktenzeichen VI ZR 48/99 veröffentlicht und in NJW 2000, 1784-1788 nachzulesen [1].)

In der Vergangenheit hatte der BGH schon zweimal wegen Aufklärungsmängeln vor Schutzimpfungen durch Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu entscheiden [2] [3]. Glücklicherweise hat das nicht dazu geführt, dass der ÖGD seine Aktivitäten reduziert hat.

Wichtig ist, dass die eingangs erwähnte BGH-Entscheidung zwar eine Klage gegen eine niedergelassene Ärztin betraf. Sie enthielt aber auch wichtige Aussagen zu rechtlichen Voraussetzungen für Schutzimpfungen durch Gesundheitsämter.

Der ÖGD führt weiterhin Mütterberatung und Vorsorgeuntersuchungen durch. Auch im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen und danach werden Schutzimpfungen angeboten. Regelmäßig sind die Eltern bei den erstgenannten Terminen nicht zugegen. Deshalb haben DVV und RKI auf Bitten der Länder Anfang der 90er-Jahre Merkblätter mit einem Einwilligungsteil entwickelt, die von dem Deutschen Grünen Kreuz angeboten werden.

Die Verwendung von Merkblättern bei Schutzimpfungen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmals im Februar 2000 thematisiert worden und der BGH stellt klar, dass Merkblätter zur Information und Aufklärung vor medizinischen Eingriffen heutzutage üblich sind und für den Arzt den Vorteil der späteren Beweisbarkeit über Aufklärungsinhalte haben.

Zwar stellt das Gericht auch fest, dass zur Einwilligung eine Unterschrift nicht erforderlich ist; sie kann auch mündlich erfolgen. Da jedoch bei Reihenschutzimpfungen die Eltern regelmäßig nicht zugegen sind, dient die Unterschrift mindestens eines Sorgeberechtigten und der Nachweis, dass keine Fragen mehr zu beantworten sind (so eine Formulierung, die durch Ankreuzen bestätigt werden muss), als Beleg für eine wirksame Einwilligung.

Geringere Anforderungen - als hier nachvollzogen - sollten bei Schutzimpfungen durch den ÖGD nicht akzeptiert werden, da für die Impflinge und ihre Sorgeberechtigten trotz aller medizinischen Routine das „Tätigwerden einer Behörde” ein nicht unerhebliches Moment sein dürfte und das Einhalten gewisser Formalitäten bei nicht lang dauernden Arzt-Patienten-Verhältnissen vertrauensbildend für beide Seiten ist.

Zum Verhältnis von STIKO-Empfehlungen und öffentlichen Empfehlungen der Länder stellt der BGH fest, dass die STIKO-Empfehlungen den medizinischen Standard beschreiben und die Länder dem regelmäßig in ihren Erlassen folgen.

Diese Aussage wird nun auch durch § 20 Abs. 2 und 3 IfSG gestützt, wonach die Länder ihre Empfehlungen auf der Grundlage der STIKO-Empfehlungen aussprechen sollen. Da diese Vorschrift ein „gebundenes Ermessen” formuliert, müssten von den obersten Landesgesundheitsbehörden für ein Abweichen von den STIKO-Empfehlungen Gründe nachvollziehbar mitgeteilt werden.

Dies ist schon wegen des Umfangs des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs von ganz entscheidender Bedeutung, da diese staatliche Entschädigung nur gewährt wird, wenn eine Schutzimpfung im jeweiligen Land im Zeitpunkt ihrer Verabreichung auch tatsächlich öffentlich empfohlen war.

Literatur

Dr. Alfred Nassauer (Direktor und Professor)

Robert Koch-Institut

Nordufer 20

13353 Berlin

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