Zentralbl Chir 2003; 128(2): 142-143
DOI: 10.1055/s-2003-37768-2
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar auf Anforderung der Schriftleitung

R. Bremen-Kühne, W. Nebelung
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Publication Date:
11 May 2004 (online)

Zunächst gratulieren wir den Autoren der Arbeit zu dem Versuch, neue Aspekte in die Diskussion verschiedener pathologischer Entitäten der Hüftgelenkserkrankungen zu bringen. Allerdings weist die Arbeit einige methodische Mängel auf, die sich auf die Relevanz der getroffenen Schlussfolgerungen negativ auswirken. Es wurden retrospektiv Operationsberichte eines Fünfjahreszeitraumes danach abgesucht, ob solche Operationsberichte eine Ruptur der Sehne des Musculus glutaeus medius und deren Versorgung beschrieben. Offensichtlich fand keine spezielle Nachuntersuchung statt. Ein Vergleichskollektiv wurde nicht gebildet.

Bei 13 von 372 Operationsberichten fand sich die Schilderung einer Ruptur der Sehne des Musculus glutaeus medius. Die Autoren beschreiben in diesem für eine statistische Auswertung recht kleinen Kollektiv epidemiologisch wenig auffällige Charakteristika mit Ausnahme einer in allen Fällen vorliegenden Coxa valga antetorta.

Bei der Analyse der Anamnese dieser 13 Patienten berichten die Autoren über klinische Symptome, die sich in nichts von der typischen Symptomatik einer progredienten Coxarthrose unterscheiden und keinerlei Rückschlüsse auf eine spezielle Pathologie zulassen (deutliche Verschlechterung des Gangbildes im Sinne eines Trendelenburg-Hinkens sechs bis zwölf Monate vor der Operation sowie Schmerzen im Bereich des Trochanter major). Die postoperativen Resultate der benannten 13 Patienten zeigen den in der modernen Hüftendoprothetik regelhaft anzustrebenden Verlauf mit einer progredienten Verbesserung des Harris-Hip-Score auf einen Wert über 90 nach einem Jahr. Auch hier läßt sich anhand der klinischen Befunde in keiner Weise abgrenzen, ob bzw. zu welchem Prozentsatz dieser günstige Verlauf auf die Identifikation und operative Versorgung der beschriebenen Sehnenruptur zurückzuführen war oder welchen Anteil die insgesamt gelungene endoprothetische Versorgung eines Coxarthrosepatienten besessen hat.

Die spärliche zu dem Thema vorhandene Literatur wird zum überwiegenden Teil von radiologischer bzw. rheumatologischer Seite gestellt. In der von den Autoren zitierten Erstbeschreibung durch Bunker u. Mitarb. wurde ein traumatologisches Patientenkollektiv prospektiv untersucht und eine Inzidenz von 22 % Sehnenrupturen des Glutaeus medius bzw. Glutaeus minimus bei Patienten mit Schenkelhalsfrakturen festgestellt. Auch Bunker u. Mitarb. hatten die gefundenen Rupturen intraoperativ chirurgisch versorgt; sie fanden bei ihren Patienten allerdings keinen meßbaren Unterschied in der Hüftfunktion von Patienten mit normalen Muskelinsertionen und solchen mit chirurgisch versorgten Defekten der Glutaeus medius- bzw. -minimus-Sehne.

Die von Schuh u. Mitarb. retrospektiv gefundene Inzidenz von 3,5 % ebenso wie die sowohl präoperativ als auch postoperativ in keiner Weise von normalen Verläufen in der Hüftendoprothetik abgrenzbare klinische Performance lassen bei Betrachtung konkurrierender Ursachen für ein Trendelenburghinken oder eine Insuffizienz der pelvitrochanteren Muskulatur begründete Zweifel an der klinischen Relevanz der postulierten Kondition (G. medius-Sehnenruptur) in der Hüftendoprothetik zu. Die Ergebnisse von Bunker u. Mitarb. bieten ebenfalls keine Grundlage für die Annahme, eine entdeckte und operativ versorgte Ruptur der Sehne des Musculus glutaeus medius könnte die klinische Performance erkennbar verbessern. Die anekdotische Mitteilung von Schuh u. Mitarb., dass zwischenzeitlich eine Reihe von Patienten’ revidiert, bei diagnostizierter Ruptur operativ versorgt und dann von einem guten Verlauf mit erheblicher Verbesserung der Muskelkraft gekennzeichnet gewesen seien, kann die erwähnten Zweifel nicht ausräumen.

Eine methodisch besser vorbereitete Studie müßte prospektiv unter Bildung eines Vergleichskollektivs die Frage untersuchen, ob Patienten mit einer diagnostizierten Ruptur der Sehne des Musculus glutaeus medius und einer zeitgleich standardisiert vorgenommenen Alloarthroplastik des Hüftgelenkes, bei denen die vorgefundene Sehnenruptur durch chirurgische Naht versorgt wird, sich in meßbarer Weise von einem Vergleichskollektiv unterscheiden, bei dem auf die Versorgung der Sehnenruptur verzichtet wird.

Der nur begrenzt verwertbare Ansatz der vorliegenden Arbeit ist aus unserer Sicht nicht geeignet, begründete Zweifel an der klinischen Relevanz von Sehnenrupturen des M. glutaeus medius in der Hüftendoprothetik auszuräumen.

Dr. R. von Bremen-Kühne


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