Endoskopie heute 2002; 15(3): 135-136
DOI: 10.1055/s-2002-37144
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kapselendoskopie

Dünndarmspiegelung ohne EndoskopCapsule EndoscopyEndoscopy of the Small Intestine without an EndoscopeH.-J. Schulz1
  • 1Klinik für Innere Medizin, Krankenhaus Lichtenberg
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Publication Date:
12 February 2003 (online)

Keine methodische Neuerung in der gastrointestinalen Endoskopie der vergangenen Jahre ist zugleich mit soviel Hoffnung und Skepsis aufgenommen worden wie die Kapselendoskopie. Hoffnung und Erwartung, weil die für Patienten und Ärzte belastende flexible Dünndarmendoskopie (Enteroskopie) bisher keine vollständige Darminspektion ermöglicht und über tiefere Dünndarmabschnitte auch bei Einsatz von Dünndarmröntgen, Ultraschall, Computertomographie, Magnetresonanztomographie, Angiographie, Szintigraphie und transanaler Ileoskopie nur Teilinformationen gewonnen werden. Die Kapselendoskopie kann diese diagnostische Lücke in einer Bildqualität schließen, die auch erfahrene Endoskopiker beeindruckt.

Skeptiker bezweifeln, ob die Kapsel wirklich lückenlos den Dünndarm darstellt. Sie sehen Schwierigkeiten, Prozesse für mögliche Behandlungen präzise zu lokalisieren. Sie bemängeln die fehlende Möglichkeit zur Klärung der Dignität und die fehlende Möglichkeit, aufgefundene Läsionen, z. B. Blutungsquellen, direkt zu behandeln.

Unter Verkennung der gegenwärtigen technischen Möglichkeiten werden noch unerfüllbare Wünsche geweckt. Dazu gehört die Inspektion von Speiseröhre, Magen und Dickdarm „ohne Schlauch” oder die Erwartung mit der Kapselendoskopie, Krebsfrühdiagnostik im gesamten Verdauungskanal betreiben zu können.

Das mediale Interesse an der Videokapsel mit vermehrter Wahrnehmung der Gastroenterologie kann aber dennoch zur Propagierung des neuen Vorsorgeprogrammes für das kolorektale Karzinom genutzt werden.

Gegenwärtig zielt die Kapselendoskopie des Dünndarms vor allen Dingen auf den Nachweis von bisher nicht identifizierten Blutungsquellen, das Auffinden von Tumoren und den Nachweis von Entzündungen und deren Folgen.

Weitere Indikationen zur Kapselendoskopie sind Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Das betrifft insbesondere die Diagnostik von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn) und intestinalen Lymphomen, den Einsatz zur präoperativen Diagnostik und zur Nachsorge bei Polyposis-Syndromen sowie ihr Einsatz bei ungeklärten Bauchschmerzen und/oder Durchfällen.

Bei strenger Indikationsstellung ist die Kapselendoskopie auch bei Kindern durchführbar.

Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit Verdacht auf gastrointestinale Obstruktionen angezeigt. Eine Untersuchung ist nur erlaubt, wenn eine Passage behindernde Stenose sonographisch/radiologisch ausgeschlossen wurde oder/und die Patienten über mögliche operative Konsequenzen aufgeklärt werden. Dies ist besonders wichtig für Patienten mit Morbus Crohn oder nach Bauchoperationen.

Relative Kontraindikationen sind auch Patienten mit Herzschrittmachern oder anderen elektromedizinischen Implantaten sowie schwangere Patientinnen.

Anstelle eines Endoskops wird eine 11 × 26 mm große Kapsel wie ein Medikament geschluckt. Sie ist mit einer Kamera ausgestattet und kann Bilder in 8facher Vergrößerung direkt aus dem gesamten Dünndarm übermitteln, auch aus solchen Bereichen, die bislang ohne Operation nicht untersucht werden konnten. Pro Sekunde werden 2 Bilder auf einen Datenrekorder übertragen und später mit einem noch relativ hohen Zeitaufwand von 1 bis 2 Stunden in einer speziellen Auswerteeinheit analysiert. Der Auswertungsprozess kann durch parallel laufende Bildsequenzen und ein spezielles Bluterkennungssystem beschleunigt werden.

Die Lokalisation pathologischer Befunde erfolgt mit einem speziellen Lokalisationssystem und anhand der Passagezeit bezogen auf anatomische Strukturen wie Cardia, Pylorus und Valvula bauhini.

Die Kapselendoskopie wurde in Israel entwickelt, sie ist inzwischen weltweit für den Einsatz am Menschen zugelassen. In Deutschland führen Zentren u. a. in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Ludwigshafen, München und Wiesbaden wissenschaftliche Untersuchungen durch, die die Möglichkeiten und Grenzen dieser neuen Untersuchungsmethode bestimmen. Untersuchungsmöglichkeiten bestehen aber auch in kleineren Krankenhäusern und in Arztpraxen.

Weltweit wurden bisher ca. 20 000 Patienten mit erfreulichen Resultaten untersucht.

Bisher unentdeckte Blutungsquellen und Tumoren im Dünndarm können sichtbar gemacht werden. Durch Vermeidung wiederholter Untersuchungen und unnötiger explorativer Operationen können den Patienten Belastungen und den Krankenkassen bei korrekter Indikationsstellung zur Kapselendoskopie die Kosten erspart werden.

Im vorliegenden Heft werden Untersuchungsergebnisse und Erfahrungen aus deutschen Zentren mitgeteilt. Hervorzuheben ist die klinisch kontrollierte Studie von Ell u. Mitarb. bei der unklaren intestinalen Blutung. Die Kapselendoskopie ist im Vergleich zur Push-Enteroskopie deutlich leistungsfähiger. Die Konsequenz: Nach Ösophagogastroduodenoskopie und Koloileoskopie rutscht die Kapselendoskopie an die 3. Stelle der zu empfehlenden Untersuchungsmethoden.

Im Positionspapier der Sektion Endoskopie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) werden die „derzeitigen” Indikationen der Kapselendoskopie evaluiert. Es ist als Beitrag zur Qualitätssicherung einer Methode zu verstehen, die eine neue Dimension in der Gastroenterologie eröffnet. Sie unterzieht die auf nationalen und internationalen Kongressen (Kongress der DGE-BV in München 2002, Internationales Kapsel-Symposium in Rom 2002, DDW in San Francisco 2002, Kongress der DGVS in Bonn 2002) und in Fachzeitschriften publizierten Untersuchungsergebnisse einer kritischen Evaluation.

Steht die Videokapselendoskopie am Beginn einer Entwicklung zu einem komplexen Diagnostik- und Therapieangebot für den Verdauungskanal?

Wird sie also nach weiterer Verbesserung der Lokalisation aufgefundener Läsionen und der Qualität ihrer Darstellung die Röntgendarstellung des Dünndarms als primäre Untersuchungsmethode mit weitem Indikationsspektrum ablösen? Oder gibt es bald eine steuerbare Kapsel, die dann auch die Inspektion des Dickdarms mit entsprechenden Vorsorgeindikationen ermöglicht?

Die Zukunft muss auch zeigen, wie der methodische Ansatz der Kapselendoskopie durch zusätzliche Technologien diagnostisch und therapeutisch weiter entwickelt werden kann.

Die Kapselendoskopie ist sicher eine wertvolle Ergänzung, aber kein Ersatz für die flexible Endoskopie des Verdauungskanals.

Prof. Dr. H. J. Schulz

Klinik für Innere Medizin · Krankenhaus Lichtenberg

Fanningerstr. 32

10365 Berlin

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