Z Geburtshilfe Neonatol 2002; 206(5): 203
DOI: 10.1055/s-2002-34960
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Leserbrief

Strauss et al. „Vorgeburtliche Diagnostik von Nierenparenchymerkrankungen” (Z Geburtsh Neonatol 2001; 205 : 71 - 75) und Strauss et al. „Fetale obstruktive Uropathie - Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten” (Z Geburtsh Neonatol 2001; 205 : 117 - 121)Letter to the Editor 
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Publication Date:
23 October 2002 (online)

Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege gehören zu den häufigsten angeborenen Anomalien. Die routinemäßig bei jeder Schwangeren durchgeführten Ultraschalluntersuchungen haben zu einer deutlichen Steigerung der Zahl von pränatal diagnostizierten Nierenparenchymerkrankungen und Harnwegsobstruktionen geführt. Da die Pränataldiagnostik von Nierenfehlbildungen durch Fortschritte der Ultraschalltechnik, der Fetalchirurgie und der Genetik in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel erlebt hat, sind Fortbildungsartikel zu diesem Themenkomplex zu begrüßen. Die beiden Übersichtsarbeiten von Strauss et al. in dieser Zeitschrift verdienen aber in keiner Weise die Bezeichnung Fortbildungsartikel, denn ihr Inhalt spiegelt nicht den aktuellen Wissensstand wider, sondern liefert dem Leser verwirrende und falsche Informationen. Von Pränatalmedizinern sollte erwartet werden, dass sie die Klassifikation von angeborenen Nierenparenchymerkrankungen beherrschen, stattdessen verwechseln die Autoren fortlaufend die Begriffe Potter-Syndrom (nicht mehr geläufig) und Potter-Sequenz sowie poly- und multizystische Nierenerkrankungen.

Bei der Klassifikation polyzystischer Nierenerkrankungen werden heute im klinischen Gebrauch die genetischen Bezeichnungen den pathoanatomischen vorgezogen. Somit unterscheidet man zwischen den autosomal-rezessiven polyzystischen (ARPKD) und den autosomal-dominanten polyzystischen (ADPKD) Nierenkrankheiten.

Für die ARPKD ist das defekte Gen bereits 1994 auf Chromosom 6p lokalisiert worden. Aufgrund der häufig infausten Prognose und des frühen Todes ist die ARPKD eine der Krankheiten mit einer großen Nachfrage nach vorgeburtlicher Diagnostik, zumal die ultrasonographische Pränataldiagnostik als unsicher eingestuft werden muss. Für die ADPKD ist nicht nur ein Genort - 16p und nicht 16q -, sondern auch ein zweiter auf Chromosom 4q kartiert worden. Unter molekulargenetischen Gesichtspunkten werden die Bezeichnungen PKD1 für die auf Chromosom 16p und PKD2 für die auf Chromosom 4q lokalisierten Formen gebraucht. Unverständlich bleibt, wie es bei der ADPKD laut Strauss et al. zu unilateralen Varianten der Erkrankung kommen kann.

Die multizystische Nierendysplasie ist die häufigste zystische Nephropathie im Kindesalter. Ihre Inzidenz beträgt nicht 1 : 40 000, sondern 1 : 4000. Das empirische Wiederholungsrisiko beträgt 5 %, bei Nierenfehlbildungen von Familienangehörigen steigt es bis zu 50 %! Nicht „meist”, sondern nur sehr selten tritt bei Kindern mit unilateraler multizystischer Nierendysplasie im späteren Leben eine arterielle Hypertonie auf. Die Prognose einer bilateralen multizystischen Nierendysplasie ist nicht „als sehr ernst anzusehen”, sondern als infaust. Unverständlich bleibt, wie die von Strauss et al. beschriebenen Neugeborenen mit bilateraler Nierenagenesie 51 Tage ohne Nierenersatztherapie überleben konnten.

Welchen Sinn ergeben die von Strauss et al. gemachten statistischen Zahlenspielereien aller in „einen Topf geworfenen” pränatal diagnostizierten zystischen Nierenerkrankungen? Hier werden „Äpfel mit Birnen” verglichen!

Zu dem ebenfalls von Strauss et al. verfassten Artikel über fetale obstruktive Uropathien sei nur vermerkt, dass eine unilaterale Harnwegsobstruktion ohne weitere Begleitfehlbildungen keine Indikation zu einer invasiven Diagnostik darstellt. Es werden nicht Harnstoff-, Kalium- und Phosphatkonzentrationen im fetalen Urin gemessen, sondern als prognostische Marker neben Natrium, Chlorid, Kalzium, Osmolalität, Gesamteiweiß und β2-Mikroglobulin bestimmt, die bei schlechter Nierenfunktion ansteigen. Alternative Marker sind β2-Mikroglobulin oder Cystatin C im Fetalblut.

Mehrfach wird die Bezeichnung „Kinderurologe” benutzt, die es laut den uns bekannten Weiterbildungsordnungen in Deutschland nicht gibt. Die vorgeburtliche Diagnose einer schweren Harnwegsfehlbildung erfordert für eine optimale Beratung der Eltern nicht erst postnatal, sondern bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine enge Zusammenarbeit zwischen Geburtshelfer (Pränatalmediziner) und Kinderarzt (pädiatrischer Nephrologe).

Fortbildungsartikel sollten unseres Erachtens von Experten geschrieben werden und aktuelle gesicherte Informationen zu bestimmten medizinischen Themen liefern. Diesen Anforderungen genügen die beiden Artikel von Strauss et al. nicht. Gynäkologen, Pädiatern und Urologen, die Kinder mit Harntraktfehlbildungen prä- und postnatal betreuen, sei zur weiterführenden Lektüre über diese Thematik das exzellente, kürzlich von Wullich und Zang im Springer Verlag herausgegebene Buch „Genetik von Krankheiten des Urogenitalsystems” empfohlen.

Prof. Dr. med. Martin Kirschstein, Kinderarzt - Neonatologie, Kinderklinik, Allgemeines Krankenhaus Celle, Siemensplatz 4, D-29223 Celle

Dr. med. Reinhard Jensen, Kinderarzt - Neonatologie, Kinderklinik, Westküstenklinikum Heide, Esmarchstr. 50, D-25746 Heide

Prof. Dr. med. Ulrich Gembruch, Bereich Pränatale Medizin, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Med. Universität zu Lübeck, Ratzeburger Allee 160, D-23538 Lübeck

Prof. Dr. med. Christof Sohn, Klinikum Hannover, Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, Podbielskistr. 380, D-30659 Hannover

Prof. Dr. med. Martin Kirschstein

Kinderarzt - Neonatologie

Kinderklinik

Allgemeines Krankenhaus Celle

Siemensplatz 4

29223 Celle

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