Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(10): 589-590
DOI: 10.1055/s-2002-34526
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anästhesiologische Forschung - Stiefkind der Forschungsförderung in Deutschland?

Research in Anesthesiology - Stepchild of Financial Support in Germany?A.  Junger1 , G.  Hempelmann1
  • 1Abteilung Anaesthesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie, Universitätsklinikum Giessen
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Publication Date:
07 October 2002 (online)

Editorial

Wiederholt wurde in den letzten Jahren in Deutschland die finanzielle Forschungsförderung in der Humanmedizin diskutiert. Gelder zur Unterstützung und Finanzierung von Forschungsvorhaben stammen im Wesentlichen aus drei Quellen:

Staatliche Institutionen wie das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technologie (BMBF), Länder, Hochschulen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder Max-Plank-Institute Stiftungsmittel Drittmittel aus der Industrie

Aufgrund knapper staatlicher und kommunaler Haushaltskassen werden Zuschüsse für Forschung und Lehre permanent reduziert. Kultus- und Wissenschaftsministerien wollen nur noch in sehr begrenztem Umfang der im Grundgesetz verankerten Verpflichtung nachkommen. Um die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre zu gewährleisten, existieren in Deutschland wirtschaftsunabhängige Geldgeber. Diese unter Punkt 1 genannten Institutionen sind unmittelbar von den Budgetkürzungen betroffen, da diese aus öffentlichen Steuergeldern finanziert werden. Um diese Defizite auszugleichen, sind Forschungseinrichtungen auf das Einwerben von Drittmitteln angewiesen. Bei diesen Drittmitteln handelt es sich entweder um Stiftungsgelder oder direkte finanzielle Unterstützung von Seiten der Industrie. Vor allem mit industriellen Drittmitteln werden heutzutage wichtige Bestandteile der klinischen Forschung finanziert [1]: Personal und Material für Grundlagenforschungsprojekte, Ergebnispräsentation auf internationalen Tagungen etc.

Ausgelöst durch den „Herzklappenskandal” ist jedoch das Einwerben industrieller Drittmittel in Verruf geraten [2]. Hier scheint ein beachtenswerter Gegensatz zwischen verschiedenen staatlichen Instanzen zu bestehen. Während Kultus- und Wissenschaftsministerien aufgrund leerer Kassen die Hochschullehrer dazu anhalten, industrielle Drittmittel einzuwerben, sieht die Gerichtsbarkeit darin eine materielle und immaterielle Vorteilsnahme. Was früher als Auszeichnung für einen Forscher angesehen wurde, wird heute kriminalisiert. Darüber hinaus werden diese Gelder von manchen Verwaltungen an Universitäten als zweitklassige Mittel für Auftragsforschung betrachtet und mit nicht unerheblichen ,Overhead-Kosten’ im Gegensatz zu staatlichen Fördermitteln belastet. Hier macht sich ein ,schwarzer’ Neid bemerkbar, der forschungshemmend ist! Ein weiteres gravierendes Hindernis ist durch die kostenpflichtige Inspektion durch die zuständigen Regierungspräsidenten entstanden. Warum dieses nicht nach Aktenlage erfolgen kann und nur bei Drittmittelstudien erfolgt ist nicht nachvollziehbar. Es scheint sich hier nur um einen deutschen Weg zu handeln, der die zur Verfügung stehenden Mittel noch weiter vermindert und ein weiteres Forschungshemmnis darstellt!

Ein möglicher Weg aus diesem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kommerz ist die Forschungsförderung durch Stiftungen. Vor allem die „begutachtete Vergabe” von Stiftungsmittel scheint rechtlich unproblematisch zu sein. In dem Beitrag dieser Ausgabe von Boldt und Zoch wurde das Stiftungswesen hinsichtlich der Förderung einzelner medizinischer Fachgebiete hinterfragt [3]. Die Autoren bemerken, dass die Anästhesie, als eines der größten Fächer mit der größten Mitarbeiterzahl mit 9 geförderten Projekten und einem Förderumfang von ca. 45 000 € im Jahr 2000 deutlich hinter anderen Fachdisziplinen liegt. So wurde die Dermatologie in diesem Zeitraum bei 13 Projekten mit einem Fördervolumen von ca. 160 000 € unterstützt. Leider wurde nicht untersucht und wird nicht mitgeteilt, was eigentlich die Ursache dieser schlechten Position der Anästhesie ist. Wie viel Prozent der eingereichten Anträge auf Förderung wurden in den jeweiligen Fachgebieten genehmigt? Liegt hier ein Ungleichgewicht, oder wurde lediglich eine geringe Anzahl an Anträgen eingereicht? In der Diskussion ihres Beitrages verweisen die Autoren auf eine von ihnen durchgeführte und bereits publizierte Untersuchung [4], in der sie beklagen, dass die Förderung durch die DFG in den Jahren von 1994 bis 1998 ebenfalls sehr dürftig ausfiel. In diesen 5 Jahren wurden die drei Fächer Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie mit ca. 284,9 Mio DM gefördert wobei lediglich 9,6 Mio DM auf die Anästhesie entfielen. Der größte Teil des ,Kuchens’ wurde mit 226,1 Mio DM der Inneren Medizin zugeteilt. Gleiches gilt für die Forschungsförderung durch Stiftungen. Die Innere Medizin war das mit Abstand meistgeförderte Fach mit 70 unterstützten Projekten und über 1,8 Mio € [3].

Ist also die Anästhesie ein Stiefkind der Forschungsförderung in Deutschland?

Die geringe anästhesiebedingte Komplikationsrate könnte weitere Forschungsaktivitäten in diesem Bereich unseres Fachs als „nichtförderungswürdig” erscheinen lassen. Dagegen steht die zunehmende Bedeutung der Behandlungsqualität (z. B. Steuerbarkeit von Anästhetika, Übelkeit und Erbrechen, Aufwachverhalten, Awareness etc.), und was dies betrifft gibt es trotz guter Fortschritte durchaus noch Verbesserungs- und somit Forschungsbedarf. Die Bereiche Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin unseres Fachs stehen hierbei außer Diskussion. Weitere Gründe für die geringe Würdigung anästhesiologischer Forschungsprojekte durch die verschiedenen Förderungsinstanzen (Interessendefizit, Qualitätsdefizit, Erfolgsdefizit, Informationsdefizit etc.) wurden ausführlich in den Arbeiten von Boldt et al. diskutiert [3] [4].

Auffällig ist, dass der Stellenwert der Anästhesie in der Forschungsförderung dem Bild, das anscheinend die Öffentlichkeit von unserem Fach hat, entspricht [5]. So beklagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin in dem zweiten Teil seiner Eröffnungsrede anlässlich des Deutschen Anästhesiekongresses 2002 zurecht, dass Laienpublikum, Patienten und Angehörige nach wie vor zu wenig über unsere Kernkompetenzen wissen. Dies trifft z. T. auch auf Kollegen anderer Fachgebiete zu, was besonders traurig ist. Ein weiteres Indiz ist die geringe Berücksichtigung unseres Fachgebiets bei der geplanten Einführung des flächendeckenden pauschalierenden Entgeltsystems im nächsten Jahr [6] [7]. In diesen German Refined Diagnoses Related Groups (GR-DRGs) sind die Positionen der Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie stark unterrepräsentiert [8].

Man muss davon ausgehen, dass dieses „unzulängliche Bild” der Anästhesie auch in den entsprechenden Institutionen der Forschungsförderung und Gutachtergremien besteht. Boldt und Maleck [4] spekulierten darüber, ob die DFG die Fehlentwicklung der Forschung des überaus einflussreichen Ferdinand Sauerbruch unterstützt hätte anstelle des relativ unbekannten Kuhn, der mit der endotrachealen Intubation und Überdruckbeatmung einen ebenso einfachen wie genialen Weg zur Lösung des Problems „Thoraxchirurgie” aufgezeigt hatte.

Spekulationen, Klagen und Jammern bringen uns aber nicht weiter - was können wir also tun, um diesen Missstand zu beseitigen? Hier möchten wir uns dem Aufruf des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin anschließen [5], neben einer intensivierten Öffentlichkeitsarbeit vor allem im täglichen Kontakt mit Patienten und Angehörigen die Chance zu ergreifen, unser Wirken als Anästhesisten, Schmerztherapeuten, Intensiv- und Notfallmediziner anderen näher zu bringen und unser Wirken im Bereich „perioperative Medizin” transparent zu machen. Gleiches gilt für den Umgang mit Kollegen anderer Fachdisziplinen. Nur wenn wir gegenüber anderen operativen und konservativen Fächern selbstbewusst als kompetente Partner im Bereich der perioperativen Medizin auftreten, werden wir als gleichberechtigt anerkannt. Viele von uns wissen, dass aufgrund des „Schnittstellen-Charakters” unseres Fachs und den daraus resultierenden täglichen Kompetenzrangeleien mit anderen Fachabteilungen, dies leichter gesagt als getan ist. Dennoch halten wir dies für eine wirksame Maßnahme, um unser äußeres Bild in der Gesellschaft und somit auch bei Kollegen, potenziellen Stiftern und Mitglieder entsprechender Institutionen der Forschungsförderung gerade zurücken.

Weiterhin sei angemerkt, dass neben der Ausweitung des Stiftungswesens ein Weg gefunden werden muss, um die industrielle Drittmittelfinanzierung wieder salonfähig zu machen. Die Offenlegung von erhaltenen finanziellen Mitteln für Forschungsprojekte und Vortragstätigkeit in Publikationen und Kongressprogrammen wäre ein gangbarer Weg, wie er in den angloamerikanischen Ländern praktiziert wird. Ohne diesen beträchtlichen Beitrag zur Finanzierung von Forschungsprojekten wurde Deutschland als attraktiver Forschungsstandort sonst bald der Vergangenheit angehören.

Literatur

  • 1 Dick W. Forschung - Publikationen - Impact-Faktoren - „I-Mittel”-Korruption.  Anaesthesist. 2000;  49 371-372
  • 2 Clade H. Drittmittelfinanzierung: Unsicheres Terrain.  Dtsch Ärztebl. 2002;  98 31-32
  • 3 Boldt J, Zoch Th B. Forschungsförderung in Deutschland - die Bedeutung der Stiftungen. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002
  • 4 Boldt J, Maleck W. Anästhesie und Deutsche Forschungsgemeinschaft.  Anästh Intensivmed. 2001;  42 958-962
  • 5 Tarnow J. Ansprache des Präsidenten der DGAI anlässlich der Eröffnung des Deutschen Anästhesiekongresses am 22. Juni 2002 in Nürnberg.  Anästh Intensivmed. 2002;  43 396-398
  • 6 Clade H. Krankenhäuser: Rahmenbedingungen für Fallpauschalen.  Dt Ärztebl. 2000;  97 A-2816
  • 7 Roetman B, Zumtobel V. Klinische Informationssysteme: Strategien zur Einführung.  Dt Ärztebl. 2001;  98 A-892
  • 8 Schleppers A. Der Weg von den Australian Refined DRGs zum German Refined DRG-System Teil 3.  Anästh Intensivmed. 2001;  42 697-698

Dr. med. Axel Junger

Abteilung Anaesthesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie
(Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. G. Hempelmann)
Universitätsklinikum Giessen

Rudolf-Buchheim-Str. 7

35392 Giessen

Email: Axel.Junger@chiru.med.uni-giessen.de

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