Aktuelle Neurologie 2002; 29: 54-57
DOI: 10.1055/s-2002-27804
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

AMSP - ein Modell zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für die Epileptologie?

AMSP - A Model for Improved Drug Safety in Epileptology?Lutz  G.  Schmidt1 , Renate  Grohmann2
  • 1Psychiatrische Klinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 2Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München
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Publication History

Publication Date:
03 May 2002 (online)

Entstehungsgeschichte

Aufgrund der 1961 durch das Schlafmittel Thalidomid verursachten Missbildungen rückten unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln (UAW) in den Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit. Als Konsequenz wurden in vielen Ländern der Welt von ärztlichen oder staatlichen Organisationen sog. Spontanerfassungssysteme eingerichtet, um frühzeitig seltene, aber schwerwiegende UAW zu erfassen, die oftmals erst in der Nachzulassungsphase zu beobachten sind. Zusätzlich wurden im Bereich internistischer Kliniken Überwachungssysteme, sog. Drug Monitoring- oder Drug-Surveillance-Projekte aufgebaut, mit denen UAW in Bezug zur Anwendungshäufigkeit systematisch untersucht wurden. In den USA wurde das seit 1964 durchgeführte Boston Collaborative Drug Surveillance Programm (BCDSP) bekannt [1], woran in Deutschland das Klinikum Steglitz unter der Leitung von Kewitz über mehrere Jahre beteiligt war [2]. Darüber hinaus wurde 1971 von Weber u. Mitarb. in der Medizinischen Klinik der Universität Heidelberg ein Arzneimittelüberwachungssystem errichtet [3]. Mit diesen Untersuchungen wurde methodische Arbeit geleistet; Begriffsdefinitionen für UAW, Zusammenhangsbeurteilung und Schweregrad wurden entwickelt. Diese Untersuchungen lieferten erstmals Daten über die Art und Häufigkeit von UAW unter den Bedingungen des klinischen Alltags, das heißt bei Patienten verschiedener Altersgruppen einschließlich Risikogruppen mit Komorbidität und Mehrfachmedikation. Aktuelle computergestützte Drug-Surveillance-Projekte auf der Basis des digitalen Krankenblattes werden zur Zeit an der Medizinischen Universitätsklinik in Erlangen durchgeführt [4].

In der Psychiatrie wurde Ende der 70er Jahre aufgrund der Rücknahme des Neuroleptikums Clozapin wegen der in Finnland und in der Schweiz lokal gehäuft beobachteten Agranulozytosen ein systematisches Erfassungssystems für UAW von Psychopharmaka als notwendig erachtet. Auf Initiative der wissenschaftlichen Vereinigung der deutschsprachigen Psychiater AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie) wurde die Arbeitsgruppe AMÜP (Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie) gegründet und mit Unterstützung des damaligen Bundesgesundheitsamtes von Mai 1979 bis Dezember 1989 an den Psychiatrischen Kliniken der Freien Universität Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München die sog. AMÜP-Studie durchgeführt. Darin wurde eine Kohorte zufällig ausgewählter stationär-psychiatrischer Patienten prospektiv mit der Methode des sog. Intensiv Drug Monitorings (IDM) überwacht, womit die vollständige Erfassung aller UAW der verabreichten Psychopharmaka ermöglicht wurde; alle übrigen Patienten der beteiligten Kliniken wurden systematisch mit Hilfe der sog. organisierten Spontanerfassung (OSE) überwacht, in der die zum Absetzen der angeschuldigten Medikation führenden UAW erfasst wurden. Mit Abschluss der AMÜP-Studie lagen Referenzdaten zur Art und Häufigkeit der UAW für die wichtigsten Vertreter der Psychopharmakagruppen unter verschiedensten Erfassungsbedingungen und klinischen Konditionen im stationären Bereich vor, auch waren Teilprojekte mit ambulanten Patienten durchgeführt worden [5].

Im Anschluss an die AMÜP-Studie wurde unter der Bezeichnung „Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie Bayerns” (AMÜP Bayern) die Erfassung unerwünschter Psychopharmakawirkungen im Verbund der Bayerischen Bezirkskrankenhäuser eingeführt [6]. Außerdem wurde unter Leitung der Psychiatrischen Klinik der LMU München das System „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie” (AMSP) aufgebaut und auf 33 Kliniken in Deutschland und der Schweiz ausgedehnt, die inzwischen in regionalen Untergruppen gegliedert sind [7]. Inzwischen werden darin jetzt etwa 20 000 stationäre Patienten pro Jahr überwacht. Das AMSP-Projekt erhält finanzielle Unterstützung durch die pharmazeutische Industrie über einen Pool, an dem sich fast alle forschenden Hersteller von Psychopharmaka beteiligen. Zur Fortsetzung der Arbeit wurde im Jahre 2000 AMSP e. V. als gemeinnütziger Verein gegründet.

Literatur

  • 1 Borda I T, Slone D, Jick H. Assessment of adverse drug reactions within a drug surveillance programme.  JAMA. 1968;  205 99-102
  • 2 Kewitz H. Erhebungen über die Arzneitherapie in der Klinik.  Verh Dtsch Ges Inn Med. 1977;  83 1487-1502
  • 3 Weber E. Arzneimittelnebenwirkungen in Abhängigkeit von dem Verordnungsmuster.  Verh Dtsch Ges Inn Med. 1977;  83 1502-1512
  • 4 Dormann H, Krebs S, Muth-Selbach U, Criegee-Rieck M, Radespiel-Troger M, Levy M, Hahn E G, Brune K, Schneider H T. Adverse drug reactions in patients with gastroenterological diseases: does age increase the risk?.  Aliment Pharmacol Ther. 2001;  15 171-180
  • 5 Grohmann R, Rüther E, Schmidt L G. Unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka. Ergebnisse der AMÜP-Studie. Berlin, Heidelberg, New York; Springer 1994
  • 6 Dobmeier M, Franke C, Haen E, Wolfersdorf M. Anwendung und schwere UAW von Antiepileptika in der Psychiatrie.  Psychopharmakatherapie. 2001;  8 23-27
  • 7 Grohmann R, Engel R, Hippius H, Rüther E. Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie - das AMSP-System.  Arzneimitteltherapie. 1999;  17 87-92
  • 8 CPMP Working Party on Efficacy of Medicinal Products . Note for Guidance Good Clinical Practics for Trials on Medicinal Products in the European Community.  Pharm Ind. 1990;  52 1476-1504
  • 9 Sassim N, Grohmann R. Adverse drug reactions with clozapine and simultaneous applications of benzodiazepines.  Pharmacopsychiatry. 1988;  21 306-307

Prof. Dr. med. Lutz G. Schmidt

Psychiatrische Klinik der Universität Mainz

Untere Zahlbacher Straße 8

55131 Mainz

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