NOTARZT 2001; 17: 49-50
DOI: 10.1055/s-2001-16132
SICHERUNG DER PROZESSQUALITÄT
Sicherung der Prozessqualität
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was ist unter einer „flächendeckenden, bedarfs- und fachgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes” im Sinne der Länder-Rettungsdienstgesetze aus der Sicht des Verwaltungsrechts zu verstehen?

M.  R. Ufer
  • Richter am Verwaltungsgericht Hannover
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die im Titel der Arbeit gestellte Frage betrifft die wesentlichen Elemente der Definition des Systembegriffs „Rettungsdienst”.
(BW: §§ 1, 2 RDG; BY: Art. 18 BayRDG; BE: § 2 RDG; BB: §§ 1, 3 BbgRettG; HB: § 3 BremRettDG; HH: § 6 HmbRDG; HE: § 3 HRDG; MV: §§ 1, 6 RDG M-V; NI: §§ 2, 4 NRettDG; NW: § 6 RettG NRW; RP: § 2 RettDG; SL: § 2 SRettG; SN: § 2 SächsRettDG; ST: § 2 RettDG-LSA; SH: § 6 RDG; TH: § 1 ThürRettG)

Sie umschreibt auch die einzuhaltende Qualität des Sicherstellungsauftrages der Träger des öffentlichen Rettungsdienstes und bestimmt seinen Umfang. Die Sicherstellung bezieht sich auf die Teileinrichtungen des bodengebundenen Rettungsdienstes mit Krankenkraftwagen und den Luftrettungsdienst sowie je nach Bundesland auch auf einen Wasser- und Bergrettungsdienst, wobei bestimmte Regelungsbereiche u. a. aufgrund von Zuständigkeiten des Bundes ausgenommen sind (z. B. betriebliches Rettungswesen, Sanitätsdienst der Bundeswehr usw.). Träger des bodengebundenen öffentlichen Rettungsdienstes sind in den Flächenstaaten ganz überwiegend die Landkreise und kreisfreien Städte sowie in Bayern, dem Saarland und Sachsen die Rettungszweckverbände. Träger des Luftrettungsdienstes sind überwiegend die Bundesländer (Ausnahme z. B. § 10 Abs. 3 RettG NRW: Kreise und kreisfreie Städte als Trägergemeinschaft und Kernträger). Eine gänzlich abweichende Rettungsdienststruktur besteht in Baden-Württemberg (Rettungsdienstorganisationen als Leistungsträger und lediglich Auffangträgerschaft der Land- und Stadtkreise). Der Sicherstellungsauftrag verlangt im Ergebnis die vom Träger zu gewährleistende Funktionsgarantie des Rettungsdienstes im jeweiligen Rettungsdienstbereich. Von dieser Funktionsgarantie begünstigt ist die Bevölkerung des jeweiligen Bundeslandes im Sinne aller sich dort tatsächlich aufhaltenden Personen und nicht etwa ein nach Versicherungsmerkmalen abgegrenzter Personenkreis. Organisationsmängel des Trägers können Amtshaftungsansprüche des Patienten oder seiner Hinterbliebenen auslösen.

Das Gebot einer flächendeckenden Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes erfordert, dass Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport an jedem Punkt des jeweiligen Bundeslandes gewährleistet sein müssen. Die Inkaufnahme versorgungsfreier Gebiete ist unzulässig. Das Gebot der dauerhaften Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes erfordert, dass Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport ohne Unterbrechung und zeitliche Begrenzung gewährleistet sein müssen. Die Beschränkung auf eine der beiden Teilaufgaben durch den SicherstelIungspflichtigen ist nach der Mehrzahl der Landes-Rettungsdienstgesetze gegenwärtig unzulässig, wobei eine abweichende Struktur außer in Baden-Württemberg in Berlin vorgegeben ist (§ 5 RDG: lediglich Auffangträgerschaft hinsichtlich des qualifizierten Krankentransports) und abweichende Gestaltungsmöglichkeiten in Hessen bestehen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 HRDG). Die gesetzliche Einbeziehung des qualifizierten Krankentransports in den Sicherstellungsauftrag öffentlicher Träger ist Gegenstand einer seit einem Jahrzehnt geführten kontroversen verfassungs- und EG-rechtlichen Diskussion. Das Gebot der fachgerechten Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes erfordert, dass Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport dem Stand der notfallmedizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen. Nichts anderes schreibt § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V für die Versorgung des Personenkreises der gesetzlich krankenversicherten Patienten vor. Das Gebot der fachgerechten Versorgung wird zunehmend durch ein Geflecht von medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen verschiedener Einrichtungen geprägt. Je nach Schwere der medizinischen Notfallsituation ist in Deutschland der Einsatz eines Notarztes gefordert, um eine fachgerechte Versorgung bereits am Notfallort zu gewährleisten (u. a. § 4 Abs. 1 Satz 1 RDG M-V; § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsRettDG). Das Gebot der bedarfsgerechten Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes erfordert, dass Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport dem Bedarf entsprechend unter Berücksichtigung der vorstehenden Gebote ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ausgestaltet werden müssen.

Die Versorgung ist ausreichend, wenn die gesetzlich definierten Aufgaben im Einzelfall innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne fachgerecht erfüllt werden können. Dabei ist der gesamte geschützte Personenkreis zu erreichen. In der Notfallrettung steht dabei die Wahrung der Therapiechancen des Notfallpatienten im Vordergrund. Nahezu alle Landes-Rettungsdienstgesetze verlangen dabei auch Vorkehrungen zur Bewältigung eines medizinischen Großschadensereignisses unterhalb der Katastrophenschwelle. Konkret ausreichend ist die Versorgung, wenn sie ohne Verstoß gegen die oben stehenden Gebote den Organisations-, Besetzungs- und Ausstattungsvorgaben des Bundes- und Landesrechts genügt. Von wesentlicher Bedeutung ist für die Notfallrettung dabei die von der Mehrzahl der Bundesländer durch Gesetz, Verordnung oder Plan vorgegebene regelmäßige Einhaltung einer aus notfallmedizinischer Sicht möglichst kurzen Hilfsfrist, die in Deutschland uneinheitlich definiert ist.
(durch Gesetz oder Verordnung geregelt in BY: § 1 der 2. AVRDG; BB: § 7 VO-Plan; HE: § 22 HRDG; MV: § 7 RDG M-V; NI: § 2 BedarfVO-RettD; RP: § 8 RettDG; SN: § 2 SächsRettDG; ST: § 7 RettDG-LSA; SH: § 7 DVO-RDG; TH: § 6 ThürRettG)

Von geringerer Bedeutung ist die Einhaltung einer von wenigen Bundesländern im qualifizierten Krankentransport geregelten Wartezeit, die allerdings wegen der möglichen Entwicklung von Notfallsituationen nicht unterbewertet werden darf.

Die Versorgung ist zweckmäßig, wenn die Ausgestaltung von Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport den Zielen eines effektiven und den Qualitätsanforderungen entsprechenden Rettungsdienstes genügt. Die Ausgestaltung darf das Maß des Notwendigen weder unter- noch überschreiten. Nichts anderes schreibt § 12 Abs. 1 SGB V für die Versorgung der gesetzlich krankenversicherten Patienten vor.

§ 70 SGB V fordert darüber hinaus eine gleichmäßige und humane Versorgung. Die Versorgung ist gleichmäßig, wenn im räumlichen Zusammenhang für die ausreichende Bereitstellung von geeigneten Leistungen gesorgt worden ist.

Die Versorgung ist wirtschaftlich, wenn das günstigste Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung hergestellt werden kann. Entweder ist mit den gegebenen Mitteln der größtmögliche Erfolg zu erreichen (Maximalprinzip) oder ein bestimmter Erfolg ist mit den geringstmöglichen Mitteln zu erreichen (Minimalprinzip). Aufwand und Nutzen sind in einem Kosten-Nutzen-Vergleich gegeneinander abzuwägen, wobei auf der Nutzenseite Art, Dauer und Nachhaltigkeit des Erfolges einbezogen werden müssen. Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung. Bei der Frage, ob insbesondere die Notfallrettung wirtschaftlich erbracht wird, ist allerdings zu berücksichtigen, dass den in der Situation der Notfallrettung akut bedrohten Rechtsgütern Leben und Gesundheit überragender Verfassungsrang nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zukommt.

Ob Leistungen des Rettungsdienstes vom Träger vor einer Vergabe zur Durchführung durch Dritte öffentlich mit der Folge auszuschreiben sind, dass der billigste Anbieter den Zuschlag erhält, wird auf der Grundlage der Rettungsdienstgesetze je nach Bundesland unterschiedlich gesehen (Ausschreibung z. B. ausdrücklich vorgesehen im Saarland: § 8 Abs. 3 SRettG; von der Rechtsprechung wegen der Kontinuitätsvorgabe in § 5 Abs. 1 Satz 4 NRettDG sowie des hoheitlichen Charakters der Aufgabenerfüllung ausdrücklich abgelehnt in Niedersachsen). Den Organen der EG liegen zu dieser Frage Beschwerden von Unternehmern vor.

Das öffentliche Interesse an einer flächendeckenden, bedarfs- und fachgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes wird bei der Neuzulassung von Bewerbern über die Funktionsschutzklausel geschützt (Ausnahme: Baden-Württemberg beim qualifizierten Krankentransport). Ihre Berechtigung wird ebenfalls verfassungs- und EG-rechtlich kontrovers diskutiert, ist in der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte dem Grunde nach jedoch unstreitig.

Michael R. UferRichter am Verwaltungsgericht Hannover 

Schliekumer Straße 33 b

31157 Sarstedt

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