Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(4): 247-250
DOI: 10.1055/s-2001-15987
PRAXISBERICHT
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wohnortnahe berufliche Rehabilitation für Frauen unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von Tele-Tutoring

Community Based Vocational Rehabilitation of Women With Special Regard to the Use of TeletutoringH. Busse, G. Kochowski, M. Kramm, K. Sauter
  • Berufsförderungswerk Michaelshoven, Köln
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Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Das Modellprojekt im Überblick

Verlauf des Projekts

Im Juli 1997 startete im Berufsförderungswerk Michaelshoven der Modell-Lehrgang „Wohnortnahe berufliche Rehabilitation für Frauen unter besonderer Berücksichtigung von Tele-Tutoring”. Er ermöglichte behinderten Frauen mit und ohne Kindern in 24 Monaten die Ausbildung zur Bürokauffrau.

Die betroffenen Frauen mussten nur in den Vormittagsstunden im Berufsförderungswerk Michaelshoven (im Folgenden: Bfw) anwesend sein. Die übrige Zeit der zweijährigen Ausbildung konnten sie individuell zu Hause gestalten. Dafür waren alle Teilnehmerinnen und die AusbilderInnen des Lehrgangs mit PC ausgestattet worden. Die Hard- und Software war so angelegt, dass die Teilnehmerinnen bei Bedarf eine Videokommunikation durchführen konnten. Außerdem war es möglich, Dateien zu versenden, gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten sowie Aufgaben von einem Server abzuholen und nach Bearbeitung wieder abzulegen.

Mit 24 Teilnehmerinnen begann der Lehrgang. 19 Frauen hatten zuvor den Rehabilitations-Vorbereitungslehrgang durchlaufen. Die Motivation der Teilnehmerinnen war von Beginn an sehr hoch. Viele hatten sich schon über einen längeren Zeitraum vergeblich bemüht, eine Möglichkeit zu finden, die ihnen die berufliche Wiedereingliederung trotz familiärer Pflichten gestattete.

Nach intensiver Schulung kamen alle Frauen sehr schnell mit der neuen Technik zurecht. Vielfach wurde im Lehrgang geäußert, der Umgang mit dem Computer und die neuen Möglichkeiten der Kommunikation „machen viel Spaß”. Die Teilnehmerinnen nutzten die neuen Medien intensiv.

Von Seiten der Ausbildung wurde dies unterstützt. Handlungsorientierung und Teilnehmerzentrierung, das Motto der Ausbildung im Bfw Michaelshoven, wurden auch auf den Bereich des Tele-Tutoring übertragen. Dies bedeutete, dass die Teilnehmerinnen Aufgaben bekamen, die so angelegt waren, dass eine gemeinsame Bearbeitung nötig wurde. Die Ausbilderinnen standen für Rückfragen ebenfalls über das Medium zur Verfügung. Auf diese Art entstand eine intensive virtuelle Kommunikation.

Anfängliche Bedenken, die Frauen hätten Schwierigkeiten, die nötige Disziplin für das selbständige Arbeiten am Nachmittag bzw. Abend aufzubringen, wurden schnell zerstreut. Die meisten Teilnehmerinnen „stürzten” sich in die Technik. Als Problem stand das Team vielmehr vor der Aufgabe, hier Überforderung zu vermeiden, damit die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen werden konnte.

Für einige Teilnehmerinnen musste die Maßnahme leider vorzeitig beendet werden. Vier Frauen konnten aus gesundheitlichen Gründen die Ausbildung nicht abschließen, bei zwei Teilnehmerinnen brach der Rehabilitationsträger die Maßnahme wegen hoher unentschuldigter Fehlzeiten ab, eine Teilnehmerin wurde schwanger, möchte aber die Ausbildung zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen und abschließen. In die Prüfung gingen somit 17 Frauen, von denen 16 die Prüfung im ersten Anlauf bestanden.

Eine Nachbefragung ein halbes Jahr nach Abschluss der Maßnahme ergab, dass über 80 % der ehemaligen Teilnehmerinnen einen Arbeitsvertrag unterschrieben hatten. Die Frauen nutzten bei ihren Bewerbungsbemühungen auch die Unterstützung durch den Vermittlungsservice des Bfw Michaelshoven.

Eingangsvoraussetzungen und Zusammensetzung

Die Zusammensetzung der BKF 1 hat sich im Verlauf der Maßnahme, wie bereits im vorhergehenden Kapitel dargestellt, verändert. Für eine repräsentative Darstellung der soziografischen Daten der Teilnehmerinnen wurde die Zusammensetzung des Kurses zur Mitte der Ausbildung - April 1998 - gewählt.

Der Lehrgang war in mehrfacher Hinsicht sehr heterogen zusammengesetzt. Der überwiegende Teil der Teilnehmerinnen (85 %) war zu diesem Zeitpunkt, nicht unüblich für Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation, zwischen 26 und 40 Jahre alt. Das bedeutete für die Maßnahme, dass die meisten Frauen sich während der „Familienphase” für die Wiedereingliederung in den beruflichen Alltag entschieden hatten.

Die schulischen Voraussetzungen der Frauen waren relativ gut. Alle Frauen verfügten über einen Schulabschluss. Der Anteil der Frauen mit Realschulabschluss, Fachhochschulreife oder Abitur lag mit 60 % vergleichsweise hoch, einige Teilnehmerinnen hatten mehrere Semester Studienerfahrung. Dennoch hatten 45 % der Frauen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Hier bestätigten sich typisch weibliche Biographien. Für neun Frauen bot das Bfw damit die Möglichkeit, überhaupt einen Berufsabschluss zu erlangen. Einige Teilnehmerinnen waren dagegen jahrelang in ihrem erlernten Beruf tätig.

Der überwiegende Teil der Frauen hatte Familie und somit zusätzliche Pflichten im Bereich Haushalt, Kindererziehung, Pflege von pflegebedürftigen Familienangehörigen usw., andere Frauen konnten aufgrund ihrer Erkrankung entweder nur an einer reinen Frauenmaßnahme oder nur halbtäglich[1] an einer Ausbildung teilnehmen.

Der Umschulungsgrund lag bei 45 % der Frauen in einer psychischen Vorerkrankung oder einer Drogenabhängigkeit. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass auch bei den Rehabilitandinnen, bei denen als Grundleiden eine somatische Erkrankung bestand, teilweise zusätzlich psychische Störungen vorlagen. Dies traf auf ca. 40 % der somatisch Erkrankten zu.

Hervorzuheben ist, dass es für eine Teilnehmerin wichtig war, sich - zumindest zu Beginn der Maßnahme - nur in einem weiblichen kollegialen Umfeld zu bewegen. Zwei Frauen waren aufgrund ihrer schweren körperlichen Erkrankung auf diese Form einer Maßnahme angewiesen. Wie zu erwarten war, hatte der größte Teil der Rehabilitandinnen ein bis zwei Kinder, wobei die jüngsten Kinder im April 1998 vier Jahre alt waren. Zwei Frauen hatten zusätzlich pflegebedürftige Familienangehörige zu versorgen. Für ca. zwei Drittel der Mütter bestand eine zusätzliche Belastung darin, ihre Kinder allein zu erziehen.

Diese bunte Zusammensetzung spiegelte sich auch in den unterschiedlichen Lernerfahrungen wider. Hier spielten vor allem die recht große Altersdiskrepanz und die unterschiedlichen schulischen Voraussetzungen eine Rolle. Für die jüngeren Teilnehmerinnen lagen schulische Lernprozesse noch relativ nahe, während bei den älteren mit dem Abstand vom „Lernen” auch eine mehr oder weniger große Angst vor der Ausbildung vorlag. Einiges jedoch verband den gesamten Lehrgang. Für alle Teilnehmerinnen stellte die begonnene Ausbildung einen völlig neuen Lebensabschnitt dar. Die Frage der Vereinbarkeit von Familie, Freundeskreis und Ausbildung bewegte die meisten stark. Schnell wurde allen Frauen klar, dass sie während der Zeit der Ausbildung und wahrscheinlich auch für die angestrebte Berufstätigkeit neue Prioritäten setzen mussten. Eine effektive Zeitplanung war für alle Teilnehmerinnen ein Problem, das während der Maßnahme immer wieder bearbeitet werden musste.

Äußerst positiv fiel die insgesamt hohe Motivation der Frauen auf. Viele sahen den Lehrgang als Chance, nach krankheits- und teilweise familienbedingtem Ausstieg aus dem Berufsleben einen qualifizierten Neubeginn zu wagen. Die Teilnehmerinnen zeigten sich neugierig und positiv gespannt auf die Ausbildung.

1 „Halbtäglich” bezieht sich ausschließlich auf die Präsenzzeit. Die Maßnahme wurde als Vollzeitmaßnahme durchgeführt.

Helmut Busse,
Gudrun Kochowski,
Martina Kramm,

Karin Sauter

Berufsförderungswerk Michaelshoven

Sürther Straße 171
50999 Köln

Email: sauter@bfw-michaelshoven.de

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