Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(4): 254-257
DOI: 10.1055/s-2001-15982
BERICHT
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Weg zu einem einheitlichen Rehabilitationsgesetz -
Anforderungen an ein SGB IX aus interdisziplinärer Sicht

33. Praktikerseminar des Instituts für Sozialrecht der Ruhr-Universität Bochum am 18. 11. 2000The Avenue Towards Unifying Rehabilitation Law. An Interdisciplinary Perspective of Demands on a Book 9 of the German Social Code - 33rd Practician' Seminar of the Bochum University Institute of Social Law, Nov. 11, 2000P. Kostorz, K. Meyer
  • Institut für Sozialrecht der Ruhr-Universität Bochum
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Am 18. November 2000 veranstaltete das Institut für Sozialrecht der Ruhr-Universität Bochum sein 33. Praktikerseminar. Zu dem Thema „Der Weg zu einem einheitlichen Rehabilitationsgesetz - Anforderungen an ein SGB IX aus interdisziplinärer Sicht” referierten Prof. Dr. jur. Matthias Schnath (Bochum), Leitender Verwaltungsdirektor Hans Gerwinn (LVA Westfalen), Prof. Dr. med. Jürgen Fischer (Norderney), Prof. Dr. rer. soc. Clemens Adam (Dortmund) sowie Prof. Dr. jur. Anita Pfaff (Augsburg). Entsprechend ihrer jeweiligen fachlichen Ausrichtung beleuchteten sie das Thema aus der Sicht des Verfassungsrechts, der gesetzlichen Rentenversicherung, der Medizin, der Soziologie bzw. der Sozialökonomie.

In seinen Eröffnungsworten wies der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Sozialrecht, Professor Dr. jur. Friedrich E. Schnapp, darauf hin, dass bereits die in den Jahren 1970 und 1996 durchgeführten Praktikerseminare thematisch dem Rehabilitationsrecht, nämlich der Koordination der Rehabilitation bzw. der Rehabilitationsmaßnahmen, gewidmet waren. Damit sei sowohl vor als auch nach der Verabschiedung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes 1974 ein nahezu gleichlautendes Thema diskutiert worden. Dies weise nach Schnapp darauf hin, dass die damals bestehenden Defizite, welche im Wesentlichen in einem allzu unkoordinierten und häufig nicht aufeinander abgestimmten Verfahren der Leistungserbringung bestanden, auch durch diese Kodifikation nicht ausgeräumt werden konnten. Mit dieser sog. „Schnittstellenproblematik” setze sich auch ein derzeit am Institut für Sozialrecht bearbeitetes Forschungsvorhaben auseinander. Ziel des Projekts sei es, die Mängel in der gegenwärtigen rehabilitationsrechtlichen Systematik aufzuzeigen und Vorschläge für eine Optimierung zu erarbeiten. Ein besonderes Augenmerk werde dabei auf die Diskussion eines 9. Buches zum Sozialgesetzbuch gelegt. Trotz der zum Teil kontrovers diskutierten Detailfragen werde übereinstimmend anerkannt, dass eine die Politik auf dem Weg zu einem SGB IX beratende Rehabilitationswissenschaft unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen vereinen müsse. Diesem Postulat sei mit der Auswahl der Referentin und der Referenten zur diesjährigen Veranstaltung Rechnung getragen worden, was auch der Rektor der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. rer. pol. Dietmar Petzina, betonte.

Als erster Referent beleuchtete Schnath die verfassungsrechtlichen Vorgaben für ein behindertengerechtes Rehabilitationsrecht. Als Ansatzpunkte für eine Prüfung, inwieweit der Gesetzgeber auf dem Weg zu einem SGB IX von Verfassungs wegen Mindeststandards zu beachten habe, nannte er zum einen das Sozialstaatsgebot in den Art. 20, 28 GG und zum anderen das in den Art. 3 GG aufgenommene Benachteiligungsverbot.

Aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Sozialstaatsgebots bei der Ausgestaltung von Hilfe für Behinderte (BVerfGE 40, 121 ff.) ergebe sich ein abstraktes, auf Mindestvoraussetzungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins und den Rahmen des Möglichen beschränktes Eingliederungsgebot. Schnaths Ansicht nach sei dieser „Vorbehalt des Möglichen” am besten als „Haushaltsvorbehalt” zu charakterisieren.

Aus dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltenen Benachteiligungsverbot ergebe sich keine verfassungsrechtliche Position, die nicht bereits über das Gebot der Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 GG i. V. m. Art. 3 GG geschützt sei. Außerdem falle die Bestimmung mit der individuellen Zuschreibung von Behinderung (wegen „seiner” Behinderung) hinter der Erkenntnis zurück, dass stets die Lebensumstände darüber entscheiden, ob aus einem Funktionsdefizit auch eine Behinderung werde.

In Abgrenzung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG stehe das Benachteiligungsverbot des 2. Satzes einer kompensierenden Gesetzgebung gegenüber Behinderten nicht entgegen. Andererseits folge aus einem Vergleich mit Art. 3 Abs. 2 GG, wonach die Überwindung tatsächlicher Benachteiligungen von Frauen ausdrücklich Verfassungsauftrag sei, dass sich ein solcher Auftrag zur gesetzlichen Ausgestaltung kompensierender Sozialleistungsansprüche aus dem Benachteiligungsverbot nicht ergebe.

Letztlich gelangte Schnath auf der Grundlage der Auslegung des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nach Wortlaut und Systematik zu dem Ergebnis, dass eine gegenüber den allgemeinen Sozialstaatsaufgaben genauer zu definierende gesetzgeberische Handlungspflicht nicht bestehe.

Dem Benachteiligungsverbot sei lediglich ein derivatives Teilhaberecht und keinesfalls ein subjektiver Anspruch der Behinderten auf gesetzgeberisches Tätigwerden zu entnehmen. Daraus folgerte Schnath, dass die Eingliederungshilfe des Bundessozialhilfegesetzes als letztes Netz zur Sicherung der Mindestvoraussetzungen bedarfsgerechter Behindertenbetreuung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings ergebe sich aus den Elternrechten die Notwendigkeit, für behinderte Kinder zumindest teilstationäre Betreuungsangebote vorzuhalten. Anderenfalls könne das Postulat der Vereinbarkeit von Eltern- und Erwerbsarbeit nicht erfüllt werden.

Schnaths Quintessenz lautete, dass der Gesetzgeber zwar gegenüber den Belangen Behinderter stets und ernsthaft guten Willens sein müsse, alles andere aber eine Frage der Sozialpolitik und damit des gesellschaftspolitischen Diskurses sei.

Im Anschluss stellte Gerwinn die Position der Rentenversicherungsträger zur Reform und Weiterentwicklung des Rehabilitationsrechts in einem SGB IX dar. Ausgehend von dem klaren Bekenntnis zu einer solchen Neukodifikation hob er zunächst den hohen fachlichen Standard im bestehenden Rehabilitationswesen hervor, der sich sowohl in der Rechtsanwendung der einzelnen Träger als auch in der Leistungsgewährung, also der Arbeit des Rehabilitationsteams mit dem Rehabilitanden widerspiegele. Dies sei in erster Linie der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Rehabilitationssystems und der damit verbundenen Herausbildung bedarfsgerechter und effizienter Versorgungsstrukturen zu verdanken. Auch das geplante SGB IX biete daher die Chance, die beständig erfolgte Systemverbesserung fortzuschreiben, notwendige Anpassungen vorzunehmen und die bestehenden Vorschriften weiter zu optimieren sowie ggf. zu flexibilisieren.

Wichtig war ihm diesbezüglich vor allem die rechtzeitige Einleitung von Rehabilitationsleistungen. In der Praxis zeigten sich die hier bestehenden Defizite insbesondere an der Schnittstelle zwischen ambulanter Krankenbehandlung und Rehabilitation; der Wechsel von der stationären Behandlung zur Rehabilitation funktioniere dank des etablierten Anschlussheilbehandlungsverfahrens wesentlich problemloser. Hier mahnte er eine bessere Beratung der Behinderten durch niedergelassene Ärzte und Vereinbarungen der Rentenversicherungsträger mit den Krankenkassen zur Optimierung der Einleitungsverfahren an; eine Notwendigkeit gesetzlicher Vorgaben sah Gerwinn nicht.

Er forderte des Weiteren eine stärkere Einbindung von rehabilitativen Maßnahmen in den Bereich der Krankenbehandlung, da der Grundsatz der „Rehabilitation von der ersten Stunde” - beispielsweise durch eine rechtzeitige Frühmobilisation rehabilitationsbedürftiger Patienten - nach wie vor nicht verwirklicht sei. Dies führe dazu, dass bestehendes Rehabilitationspotenzial nicht genutzt werde. Problemverstärkend wirke hier die Einführung von Fallpauschalen, die einen Rückgang der Krankenhausverweildauer zur Folge hätten, was zwangsläufig zulasten der Frühmobilisation gehe. Gerwinn schlug als Lösung Veränderungen im Finanzierungssystem für medizinische Leistungen vor, das stärker als bisher auf die Versorgung chronisch Kranker ausgerichtet werden sollte.

Im letzten Teil seines Vortrages ging Gerwinn kritisch auf den vorliegenden Referentenentwurf zum SGB IX ein. Generell forderte er eine Beibehaltung und Stärkung der gegliederten Struktur des Rehabilitationssystems. Das setze allerdings ein Mehr an sozialer Selbstverwaltung bei einem Minder an staatlicher Steuerung voraus. Nach dem aktuellen Stand der Beratungen zum SGB IX befürchtete Gerwinn demgegenüber eine zu starke staatliche Reglementierung des Rehabilitationswesens durch z. T. komplizierte Verwaltungs- und Verfahrensvorschriften, die den einzelnen Trägern zu wenig eigene Gestaltungsmöglichkeiten böten.

Fischer begann sein Referat zu den Anforderungen an die Weiterentwicklung des Rehabilitationsrechts aus Sicht der Rehabilitationsmedizin mit einem Katalog von insgesamt 10 wünschenswerten Punkten. Danach sollten z. B. umfassende Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen im Vergleich zu kurativmedizinischen Leistungen ein stärkeres Gewicht erhalten, bestehende Schnittstellenprobleme im Rehabilitationswesen abgebaut, rehabilitative Behandlungskonzepte stärker in die Akutmedizin integriert, das Rehabilitationssystem entbürokratisiert, der Ausbau von Qualitätssicherungskonzepten in der Rehabilitation forciert sowie die Notwendigkeit von Aus-, Fort- und Weiterbildung der in der Rehabilitation tätigen Berufsgruppen stärker betont werden. Im Folgenden ging Fischer auf vier weitere Aspekte näher ein.

Zunächst sprach er sich für trägergruppenübergreifende einheitliche und verbindliche Begrifflichkeiten aus, wodurch die rehabilitativen Bemühungen bewusster gemacht und das Rehabilitationssystem für alle Beteiligten transparenter gestaltet werden können. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war diesbezüglich die Weiterentwicklung der ICIDH. So liege dem modifizierten Konzept der ICIDH-2, die sich in wesentlichen Punkten von der ersten Fassung aus dem Jahre 1980 unterscheidet, beispielsweise ein Begriff von Funktionsfähigkeit zugrunde, der die Dimensionen der Körperfunktionen und -strukturen, der auf die persönliche Situation bezogenen Aktivitäten und der Partizipation als Wechselwirkung zwischen der gesundheitlichen bzw. persönlichen Situation des Betroffenen und seiner individuellen Umweltfaktoren umfasse. Hierdurch sei die ICIDH-2 nicht nur defizit-, sondern auch und gerade ressourcenorientiert. Da die Rehabilitation insbesondere auf eine Besserung der Dimensionen Aktivitäten und Partizipation ausgerichtet sein sollte, böte dieses Konzept daher eine bessere Möglichkeit, Krankheitsfolgen aufzuzeigen und den Behinderten oder Kranken daraufhin an ihren subjektiven Bedürfnissen ausgerichtete und individualisierte Hilfen zu gewähren als bisher. Fischer regte daher an, dieses Konzept bei künftigen gesetzgeberischen Aktivitäten zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang plädierte er auch für die Konkretisierung von Rehabilitations- und Therapiezielen. Einen Beitrag zur praktischen Umsetzung und verbesserten Zielerreichung könnten hier Leitlinien in Form von Empfehlungen oder Arbeitshilfen bieten. Hier forderte Fischer eine stärkere finanzielle Unterstützung der Entwicklung solcher Leitlinien und kam damit gleichzeitig zum letzten Aspekt seiner Ausführungen, der Forderung nach einem weiteren Auf- und Ausbau der Rehabilitationsforschung.

Im Folgenden beleuchtete Adam das Thema der Veranstaltung aus soziologischer Sicht und wies einleitend ebenfalls auf differierende Begrifflichkeiten im Bereich der Rehabilitation hin. Aufgrund der Relativität von Behinderung benutze das geplante SGB IX diesen Terminus auch und gerade für chronisch kranke Menschen, die nach dem allgemeinen Sprachgebrauch jedoch nicht als behindert gälten.

In seinen weiteren Ausführungen ging auch Adam primär auf die Belange der nach allgemeinem Sprachgebrauch behinderten Menschen ein und stellte das SGB IX zunächst in den Kontext aktueller gesellschaftlicher und sozialpolitischer Entwicklungen. Ein offensichtlicher Wandlungsprozess sei diesbezüglich die Tendenz zu der von Ulrich Beck beschriebenen Risikogesellschaft mit einer zunehmenden Individualisierung einzelner Lebensverläufe und der Pluralisierung von praktizierten Lebensstilen. Er wies darauf hin, dass mit der Ausbreitung dieser individuellen Freiheiten analog auch individuelle Risiken zunähmen und äußerte die Befürchtung, dass ein etwaiger Abbau sozialer Sicherheiten im Rahmen einer restriktiveren Sozialpolitik in erster Linie Behinderte belaste, da Behinderung ein erhöhtes Lebensrisiko darstelle und sich die Probleme der Risikogesellschaft bei diesem Personenkreis mithin potenzierten. Eine zuverlässige Unterstützung eigenständiger und eigenverantwortlicher Lebensgestaltungen sei daher unumgänglich, um behinderungsbedingte Nachteile bei der Nutzung neuer individueller Lebenschancen auszugleichen und individuelle Risiken, wie sie bei behinderten Menschen relativ häufiger auftreten, abzusichern.

Ein solches gezieltes Risikomanagement müsse nach Adam mit einem Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik einhergehen. Danach dürften behinderte Menschen nicht länger als hilfsbedürftige Leistungsempfänger, sondern müssten als selbstbestimmte gesellschaftliche Akteure gesehen werden. Entsprechend plädierte er dafür, dieses Leitbild auch im SGB IX zu verankern, und forderte ein Aufbrechen paternalistischer Strukturen. Hierzu gehörte für ihn der Aufbau freier, trägerunabhängiger Beratungsstellen zur Förderung der Selbstbestimmung Behinderter, in welchen Menschen mit Behinderungen stärker als bisher beratend tätig werden könnten.

Insgesamt müsse die zukünftige Sozial- und Behindertenpolitik eine stärker aktivierende sein und die Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft sowie ihre Eigenverantwortung besonders betonen. Nur so sei nach Adam ein erstrebenswerter und notwendiger gesellschaftlicher Dialog „auf Augenhöhe” zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu erreichen.

Pfaff schloss den Vortragsteil der Veranstaltung mit ihrem Referat zu ökonomischen Aspekten des Rehabilitationswesens. Sie begann ihre Ausführungen mit der Darstellung aktuellen Zahlenmaterials, das im Folgenden als Grundlage ihrer Analyse diente. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, welche Sparpotenziale ein erfolgreiches Rehabilitationssystem bietet.

Besonders zu betonen sei demnach das Einsparpotenzial in der gesetzlichen Rentenversicherung durch ausbleibende Frühverrentungen nach erfolgreich durchgeführten Rehabilitationsleistungen. Neben hohen Einsparungen auf der Leistungsseite kämen zusätzlich Einsparungen durch längere Erwerbstätigkeitszeiten und die dadurch bedingten fortlaufenden Beitragszahlungen der Versicherten hinzu.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirke sich eine vermiedene bzw. verzögerte Berentung ausschließlich mittelbar aus, da die von Renten erhobenen Beiträge geringer ausfielen als die von Erwerbseinkommen. Pfaff wies jedoch darauf hin, dass sich das Einsparpotenzial durch erfolgreich abgeschlossene Rehabilitationsverfahren mit der Reform der Erwerbsminderungsrenten zum Jahr 2001 für die Krankenversicherung erhöhen werde. Da diese Renten fortan vorrangig als Zeitrenten gewährt würden, die in der Regel erst ein halbes Jahr nach Eintritt des Versicherungsfalls beginnen, hätten die Krankenkassen nach ausgeschöpfter Lohnfortzahlung künftig übergangsweise Krankengeld zu gewähren.

Entscheidender als die mikroökonomische Betrachtung einzelner Träger sei nach Pfaff jedoch der Blick auf das Gesamtsystem: Da das Rehabilitationswesen trotz der zweigspezifischen Gliederung der Sozialordnung insgesamt kollektiv finanziert sei, müsse bei der Beurteilung ökonomischer Fragestellungen eine trägergruppenübergreifende Sichtweise vorherrschen; der Blick auf das Verhältnis der einzelnen Träger untereinander könne - wie ihre bisherige Analyse zeige - lediglich die enorme Zahl sozialpolitischer Verschiebebahnhöfe in diesem Sozialleistungsbereich verdeutlichen. Ähnliches gelte für die zahlreichen Selbstbeteiligungen, die keinesfalls Kostenreduzierungen bewirken könnten, sondern lediglich eine Kostenverlagerung bedeuteten, so dass die Ausgaben für das Rehabilitationswesen aus makroökonomischer Perspektive gleich blieben.

Pfaff sprach am Ende ihres Vortrags vier Aspekte an, um das Rehabilitationswesen als Gesamtsystem effektiver und effizienter zu gestalten: Zunächst sollten stärker als bisher ökonomische Steuerungsinstrumente genutzt werden, wobei sie - wie bereits Gerwinn - insbesondere für Änderungen der bestehenden Vergütungsformen, z. B. durch eine angemessene Vergütung erfolgreichen Case-Managements, plädierte. Weiterhin seien sowohl auf der Ebene der Leistungsbewilligung und -trägerschaft als auch der Leistungserbringung Verbesserungen bei Logistik und Controlling erforderlich. Ähnlich wie Fischer forderte auch sie die Einführung von klaren trägerübergreifenden und das Gesamtsystem definierenden Rehabilitationszielen, um Effektivität und Effizienz der eingeleiteten Maßnahmen besser überwachen zu können, und sprach sich schließlich für umfassende Qualitätskontrollen bei der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen aus. Abschließend hob Pfaff jedoch hervor, dass ökonomische Gesichtspunkte keinesfalls die finale Zielsetzung eines Rehabilitationssystems bestimmen dürften.

Am Nachmittag fand wie gewohnt eine Diskussion zum Veranstaltungsthema statt. Konsens konnte zunächst darüber erzielt werden, dass das beabsichtigte SGB IX nicht nur eine Transformation des Reha-Angleichungsgesetzes einschließlich seiner Mängel werden dürfe. Sinnvoll könne nur eine wirkliche Reform sein.

Hinsichtlich einer verstärkten Einbeziehung der Krankenkassen in das Rehabilitationswesen wurde die Befürchtung geäußert, dass dies einer optimalen Versorgung der Betroffenen zuwiderlaufen könnte. Mit einer vermehrten Einbeziehung ginge zugleich ein vermehrtes Kostenaufkommen einher, welches die zueinander im Wettbewerb stehenden Krankenkassen naturgemäß scheuen würden. Dies gelte umso mehr, als Rehabilitation für die Krankenkassen nicht zwingend mit Einsparungen in anderen Bereichen verbunden sei.

Weiterhin wurden die für das SGB IX vorgesehenen sog. Gemeinsamen Servicestellen näher beleuchtet, welchen eine Pilotfunktion zugeschrieben werden soll. Kritisch wurde hierzu angemerkt, dass die Frage der Kostentragung ungeklärt sei. Außerdem sei es diesen Stellen ohnehin nicht zugedacht, verbindliche Aussagen machen zu können, so dass letztlich auch das Geld hierfür gespart werden könnte.

Im weiteren Diskussionsverlauf wurde noch die Einführung eines Reha-Passes angesprochen, der die bereits erbrachten Leistungen transparent machen soll. Da hierdurch der Schutz der Sozialdaten berührt werde, käme es letztlich auf das politische Wollen an. Als weitere Gedanken wurden in die Diskussion eingebracht, dass bei einer Weiterentwicklung des Rehabilitationsrechts auch die Erosion familiärer Strukturen Berücksichtigung finden müsse und dass trotz aller Unzulänglichkeiten nicht verkannt werden dürfe, dass Sozialsysteme zur Sicherung sozialer Gerechtigkeit unabdingbar seien. Vielfaches Lob erfuhr schließlich das Rehabilitationswesen in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Resümierend kann festgehalten werden, dass auch das 33. Praktikerseminar des Instituts für Sozialrecht wieder den Rahmen für einen lebhaften Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis bot und von einer anregenden Interdisziplinarität geprägt war.

Korrespondenzadresse:

Peter Kostorz,
Kerstin Meyer

Institut für Sozialrecht
Ruhr-Universität Bochum

Universitätsstraße 150

44780 Bochum

Email: ifs@ruhr-uni-bochum.de

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